Einsatz für die „First Generation“

ArbeiterKind.de

Katja Urbatsch im Gespräch: "Arbeiterkinder können in der Regel nicht auf ein Netzwerk zurückgreifen, das ihnen den Start ins Berufsleben erleichtert"

Mit ihrer Initiative ArbeiterKind.de engagiert sich Katja Urbatsch seit zehn Jahren für mehr Bildungsgerechtigkeit. Nun hat die DAAD-Alumna dafür das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft wird seit den 1960er-Jahren diskutiert – und ist auch im Jahr 2018 ein ungelöstes Problem. „Noch immer entscheiden sich bloß rund 23 Prozent der Kinder aus hochschulfernen Familien für ein Studium; bei Jugendlichen aus einem akademischen Elternhaus sind es 77 Prozent“, sagt Katja Urbatsch. Deshalb hat sich die Gründerin und Geschäftsführerin von ArbeiterKind.de das Thema Bildungsgerechtigkeit zur Aufgabe gemacht: Ihre Initiative motiviert seit 2008 Jugendliche aus nicht-akademischen Elternhäusern zum Hochschulabschluss und hilft ihnen dabei, den eingeschlagenen Weg zu meistern. Für ihre Verdienste um Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier die DAAD-Alumna Anfang Oktober im Schloss Bellevue mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Dabei kennt Katja Urbatsch aus eigener Erfahrung die Probleme der „First Generation“: Die Ostwestfälin studierte Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität (FU) Berlin und hatte als erste Akademikerin in ihrer Familie zunächst mit einigen Hürden zu kämpfen. „Ich wusste beispielsweise anfangs nicht, wie eine Hausarbeit gestaltet sein muss“, sagt Urbatsch. „Jugendliche, deren Eltern ein Studium absolviert haben, kennen hingegen oft schon vor Studienbeginn die universitären Anforderungen und Strukturen, zudem werden sie von ihren Eltern meist finanziell und auch emotional unterstützt.“

Wertvolle Amerika-Erfahrung

Neuland war für Katja Urbatsch ebenso das Thema Auslandsstipendium: „Das Bewerbungsverfahren des DAAD hat mich damals vor eine große Herausforderung gestellt. Es war mir nicht klar, was von mir erwartet wird oder wie ein Motivationsschreiben auszusehen hat“, erläutert sie. Urbatsch überzeugte das Auswahlgremium – und reiste 2002 mit einem DAAD-Stipendium in der Tasche für ein Jahr in die USA an die Boston University. Dort eröffneten sich neue Perspektiven: „Die Türen der Professoren standen für uns Studierende stets offen. Ich habe Literaturtipps erhalten, und auch der Stundenplan wurde mit mir besprochen. Außerdem haben verschiedene Serviceeinrichtungen mir den studentischen Alltag erleichtert.“ Der amerikanische Pragmatismus hat Katja Urbatsch geprägt und inspiriert. „An der Boston University kam es nicht darauf an, woher man kam und was man bereits wusste. Vielmehr versuchten die Dozenten, alle auf das gleiche Level zu bringen. Das ist auch eine Idee von ArbeiterKind.de.“

DAAD-Alumna Katja Urbatsch im Porträt

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ArbeiterKind.de gibt einer wichtigen Zielgruppe des akademischen Austauschs eine Stimme

Heute ermutigt die DAAD-Alumna andere zu einem Auslandsaufenthalt. „Studierende aus einkommensschwachen Familien verzichten oft aus finanziellen Gründen auf einen Auslandsaufenthalt, das möchte ich mit ArbeiterKind.de ändern.“ Ein Anliegen, das sie mit dem DAAD teile: Die Förderorganisation unterstütze Erstakademiker und schaffe neue berufliche Perspektiven. „Der DAAD hat mir mein Studium in den USA ermöglicht. Die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, prägen mich und meine berufliche Laufbahn nach wie vor positiv. Zudem hat mir das Stipendium nach meiner Rückkehr immer wieder Türen geöffnet – bis heute. Daher hat der DAAD auch die große Chance, durch die Vergabe von Stipendien mit Blick auf unterrepräsentierte Gruppen zu mehr Diversität in akademischen Führungspositionen beizutragen.“

Deutschlandweites Netzwerk

Der Hinweis auf Stipendien gehört zu einem Schwerpunkt der Initiative ArbeiterKind.de, die mit vielfältigen Informationen auch das Selbstvertrauen der Jugendlichen stärkt: Das deutschlandweite Netzwerk von etwa 6.000 ehrenamtlichen und 25 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht Schülern, Studierenden und Eltern vor Ort als Ansprechpartner zur Seite, mit praktischen Tipps zu Studien- und Finanzierungsmöglichkeiten, lokalen Stammtischen, Workshops und Trainings. Finanziell unterstützt wird die gemeinnützige Organisation unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Wissenschaftsministerien verschiedener Bundesländer. „Wir wachsen stetig und können unser Angebot beständig erweitern“, freut sich Urbatsch. Mittlerweile begleitet das Team seine Schützlinge bis zum Berufseinstieg. „Arbeiterkinder können in der Regel nicht auf ein Netzwerk zurückgreifen, das ihnen den Start ins Berufsleben erleichtert“, erklärt sie. „Auch ich bin nach meinem Studium in ein tiefes Loch gefallen und habe erst nach einem Jahr am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit gefunden.“

Seit 2008 lebt Katja Urbatsch wieder in Berlin, wo sich das Hauptbüro von ArbeiterKind.de befindet. Dem GCSC ist sie jedoch weiterhin durch ihre Promotion im Fach Amerikanistik verbunden. „In der Aufbauphase von ArbeiterKind.de habe ich für meine Dissertation keine Zeit gefunden, aber jetzt liege ich damit in den letzten Zügen.“

Christina Pfänder (26. November 2018)

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