Margret Wintermantel im Gespräch: Vom Wert des Austauschs

Thilo Vogel

Margret Wintermantel: "In der Arbeit für den DAAD erlebe ich immer wieder aufs Neue, wie wertvoll gerade der Kontakt und die Kommunikation über nationale und kulturelle Grenzen hinweg für das gegenseitige Verständnis ist"

Wenn DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel am heutigen Montag ihren 70. Geburtstag feiert, liegt hinter ihr bereits eine über fünfjährige Amtszeit an der Spitze des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Im Gespräch mit ihr wird deutlich: Der Blick der DAAD-Präsidentin richtet sich vor allem in die Zukunft. Ein Interview über persönliche Prägungen, Einsatz gegen Abschottung und Wissenschaftsfeindlichkeit – und den Weg des DAAD in den kommenden Jahren.

Frau Professor Wintermantel, wenn man sich wie Sie auch nach jahrzehntelangem Einsatz für Hochschulbildung und akademischen Austausch noch immer für diese Themen engagiert, darf wohl von einer Leidenschaft gesprochen werden. Was treibt Sie in Ihrer Arbeit für den DAAD an?

Margret Wintermantel: Seit meinem Studium der Psychologie faszinieren mich Fragen rund um die kognitive und emotionale  Entwicklung und die zwischenmenschliche Kommunikation. Wie schaffen wir es, uns anderen verständlich zu machen, aber auch die Perspektiven anderer Personen zu übernehmen und zu verstehen? In der Arbeit für den DAAD erlebe ich immer wieder aufs Neue, wie wertvoll gerade der Kontakt und die Kommunikation über nationale und kulturelle Grenzen hinweg für das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen ist. Es geht dabei nie alleine um das Kennenlernen des anderen, sondern immer auch darum, die eigene Subjektivität zu reflektieren und die eigene Identität zu gestalten. Unsere Forschungsergebnisse zeigen übrigens, wie sehr gerade ein Studium oder auch ein Forschungsaufenthalt im Ausland Menschen bereichert, nicht nur als Erkenntnisfortschritt, sondern auch in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit.

Sie selbst sind als junge Wissenschaftlerin für Forschungsaufenthalte in die USA gegangen. Wie hat Sie das geprägt?

Ich kam damals aus Heidelberg, einer Universität, die sich schon immer als Teil einer internationalen wissenschaftlichen Community verstanden hat. Doch ich hatte dort auch erfahren, dass man über ein Forschungsthema eigentlich alles, was zuvor publiziert war, gelesen haben muss, um überhaupt mitreden zu können. Hierarchie und Seniorität spielten eine allzu große Rolle. In Ann Arbor oder Berkeley war das anders: Es gab kleine Forschungsteams und man konnte viel unbefangener und offener miteinander sprechen und arbeiten, und dabei die wissenschaftliche Methodik und rationales Argumentieren einüben.

Trifft es Sie da noch einmal besonders, wenn Sie die Entwicklung in den USA unter Präsident Trump betrachten, wo dramatische Kürzungen der Budgets in der Wissenschaft drohen?

Budgetkürzungen in Bildung und Forschung sind nie angenehm, vor allem wenn sie politischen Richtungen folgen und nicht wissenschaftlich begründet sind. Ich hoffe sehr, dass das derzeitige politische Klima in den USA den freien und kritischen Geist an den amerikanischen Spitzenuniversitäten nicht vertreiben kann. Was uns zusätzliche Sorgen macht, ist das Misstrauen, das abschätzige und herabwürdigende Gerede gegenüber den Wissenschaften, und das verantwortungslose Streuen „alternativer Fakten“. Gerade weil in der Wissenschaft niemand glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, sind methodisch saubere Arbeit, offene Diskussion und datengestützte Befunde zentral.

Der DAAD setzt sich weltweit für Freiräume des kritischen Denkens ein. Abschottung vor dem Fremden und Ignoranz von wissenschaftlichen Erkenntnissen schaden allen – auch denen, die den Populisten applaudieren.

Fragen der Abschottung beschäftigen in diesen Tagen auch Europa – vom bevorstehenden Brexit bis zu den Sorgen vor einem Erfolg des europafeindlichen Front National bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Wie blicken Sie in diesen Tagen auf Europa?

Wir feiern 2017 das 30-jährige Bestehen des Erasmus-Austauschprogramms, das der DAAD seit Anbeginn als Nationale Agentur im Hochschulbereich verantwortet. Insgesamt 4,4 Millionen Studierende haben bisher durch Erasmus den Wert des europäischen Austauschs erfahren, unter ihnen mehr als 650.000 deutsche Studierende. Wir sehen bei den Erasmus-Alumni, dass sie eine besondere europäische Identität entwickelt haben. Zugleich scheint es, dass der grenzenlose europäische Austausch mitunter fast zu selbstverständlich angenommen wird. Wir wünschen uns von der „Generation Erasmus“, dass sie stärker politische Diskussionen sucht und den Wert des offenen Europas betont.

Wenn wir weiter in die Zukunft blicken: Welche Themen werden Sie und den DAAD in den kommenden Jahren besonders beschäftigen?

Die Förderung mit Stipendien wird selbstverständlich unsere Hauptaufgabe bleiben, auch die Internationalisierung der deutschen Hochschulen durch eine Vielzahl verschiedener Programme der Kooperation wird uns weiterhin intensiv beschäftigen. Gleichzeitig gibt es neuere Entwicklungen, die unsere Arbeit prägen und verändern werden: Internationalisierung kann heute nicht ohne Digitalisierung gedacht werden. So beschäftigt uns die Frage, wie wir das außergewöhnlich breite Bildungsangebot der deutschen Hochschulen mit neuen Werkzeugen zielgerichteter vermitteln können. Der DAAD wird weiterhin seine „Strategie 2020“ verfolgen, mit den strategischen Handlungsfeldern „Stipendien für die Besten“, „Weltoffene Strukturen“ und „Wissen für Wissenschaftskooperationen“. Mit unserem weltweiten Netzwerk aus Außenstellen, Informationszentren und rund 450 Lektoraten haben wir ein enormes Wissen über die internationale Zusammenarbeit – unsere Möglichkeiten, dieses Wissen weiterzuentwickeln und auch weiterzugeben, werden weiter an Bedeutung gewinnen.

Interview: Johannes Göbel (3. April 2017)