Indiens Prioritäten decken sich mit Deutschlands Stärken

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DAAD-Vizepräsident Joybrato Mukherjee und UGC Chairman Ved Prakash bei der Unterzeichnung der Vereinbarung für das neue Programm „Deutsch-Indische Hochschulpartnerschaften“

Professor Joybrato Mukherjee, Vizepräsident des DAAD und Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat im Rahmen der deutsch-indischen Regierungskonsultationen Anfang Oktober die Vereinbarung für das neue DAAD-Programm „Deutsch-Indische Hochschulpartnerschaften“ unterzeichnet. Im Interview spricht der DAAD-Vizepräsident über die Wertschätzung des akademischen Austauschs auf höchster politischer Ebene, das Potenzial der bilateralen Beziehungen und die Reaktionen in Indien auf seine Teilnahme an der Reise von Bundeskanzlerin Merkel.

Herr Professor Mukherjee, die Unterzeichnung des neuen Hochschulpartnerschaftsprogramms zwischen dem DAAD und der indischen University Grants Commission (UGC) fand im Rahmen der deutsch-indischen Regierungskonsultationen statt. Zeigt sich so auch die Bedeutung, die dem akademischen Austausch von beiden Seiten zugemessen wird?

Joybrato Mukherjee: Die Vereinbarung mit der University Grants Commission wurde im Beisein von Bundesbildungsministerin Wanka unterzeichnet. Darüber hinaus wurden die Verträge in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Merkel und Premierminister Modi ausgetauscht, unmittelbar nach den Presse-Statements der Regierungschefs und als eines der wenigen Abkommen, das nicht zwischen Ministerien geschlossen wurde. Daraus kann man schon ableiten, dass der akademische Austausch ein ganz wichtiges Element der Intensivierung der deutsch-indischen Beziehungen ist und auch künftig sein wird.

Austausch mit Indien: DAAD-Vizepräsident Professor Mukherjee im Interview

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​​Auch mit dem indischen Wissenschaftsminister Harsh Vardhan (4. v. l.) kamen Bundesministerin Wanka und DAAD-Vizepräsident Mukherjee in Neu-Delhi zusammen

Was zeichnet das neue Abkommen aus?

Bemerkenswert ist zum einen die substanzielle gemeinsame Finanzierung von deutscher und indischer Seite: Jeweils dreieinhalb Millionen Euro werden über einen Zeitraum von vier Jahren investiert. Sieben Millionen Euro sind schon eine außergewöhnliche Summe. Deutsche Hochschulen, die bei ihrer Internationalisierung auf indische Partner setzen möchten, können das Programm „Deutsch-Indische Hochschulpartnerschaften“ sehr gut für ihre Profilbildung nutzen. Das gilt für die indischen Partner gleichermaßen. Das neue Programm führt das Element der deutsch-indischen Ausschreibung fort und kann die Internationalisierungsstrategien auf beiden Seiten nachhaltig fördern. Es folgt auf das erfolgreiche DAAD-Sonderprogramm „A New Passage to India“, das in den vergangenen Jahren bereits Studierende, Graduierte und Institutionen beider Länder einander nähergebracht hat. Darauf können wir nun mit dem neuen Programm aufbauen.

Was macht Indien zu einem zentralen Partner für Deutschland?

Den Beziehungen zwischen dem bevölkerungsreichsten Land der Europäischen Union und der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt kommt eine besondere Bedeutung zu. Diese Bedeutung wird erst allmählich entdeckt. Premierminister Modi hat mehrfach erklärt, dass sich Indiens Prioritäten mit Deutschlands Stärken treffen. Das gilt nicht nur für den wirtschaftlichen, sondern auch für den wissenschaftlichen Bereich. Deutsche Expertise ist bei vielen Herausforderungen gefragt, von der Reinigung des Ganges bis zur Verbesserung der Ingenieurausbildung. Darüber hinaus teilen beide Länder eine gemeinsame Wertegrundlage; ihre parlamentarischen Demokratien haben eine gleich lange Geschichte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In einer Zeit, die gerade auch von Konflikten unterschiedlicher Wertvorstellungen geprägt ist, sind Indien und Deutschland „natural allies“. Das ist nicht zuletzt für die akademische Zusammenarbeit von Bedeutung.

In einem Gespräch mit dem indischen „Telegraph“ haben Sie die Stärke der Wissenschaftsautonomie in Deutschland betont. Warum war Ihnen dieser Punkt wichtig?

Vorausgegangen war eine Frage nach der Stärke von Deutschlands Wissenschafts- und Hochschulsystem. Das ist im Übrigen etwas, das ich bei Begegnungen weltweit erlebe. Es ist nicht übersehen worden, dass wir mittlerweile nach den USA und Großbritannien das drittattraktivste Land für internationale Studierende sind – und alle fragen sich, warum. Auf die Frage des „Telegraph“ habe ich mit zwei Punkten geantwortet. Der eine Punkt sind natürlich die verstärkten Investitionsanstrengungen von Bund und Ländern in den vergangenen Jahren, mit der Exzellenzinitiative als herausragendem Maßnahmenpaket. Aber mindestens genauso wichtig ist die seit rund 20 Jahren in allen Bundesländern vorangetriebene Autonomie der Hochschulen: die Bereitschaft, sie aus dem staatlichen Micromanagement zu entlassen und sie weitgehend selbstständig agieren zu lassen. Ich glaube, dass Indien jetzt in einer Phase ist, in der die Verantwortlichen intensiv darüber nachdenken, wie sie das Hochschulsystem in der Breite attraktiver gestalten können. Mir war wichtig anzumerken, dass dazu neben Investitionsbereitschaft auch der politische Wille gehört, den Hochschulen das notwendige Maß an Freiheit zu geben. Wissenschaft gedeiht am besten, wenn sie sich frei entwickeln kann.

Die Anfrage des „Telegraph“ war nicht die einzige Reaktion auf Ihre Teilnahme an der Reise der Bundeskanzlerin. Dass eine Persönlichkeit mit indischen Wurzeln als Mitglied einer offiziellen deutschen Regierungsdelegation nach Indien reiste, wurde mit Aufmerksamkeit registriert und vielfach positiv bewertet. Wie haben Sie das erlebt?

Dazu hat sicherlich auch die besondere Konstellation beigetragen, dass Staatspräsident Pranab Mukherjee – sozusagen der ranghöchste Gastgeber – den gleichen Nachnamen trägt. Aber ich möchte das nicht an meiner Person festmachen. Es ist ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass Deutschland im Jahr 2015 ein kulturell weitaus vielfältigeres Land ist als vor 20, 25 Jahren. Weltweit wird wahrgenommen, dass Deutschland heute ein weltoffenes, liberales, kulturell reiches Land ist – mit vielen Minoritäten, deren Physiognomie nicht der des prototypischen Deutschen entspricht. Und dass die Deutschen bis in die politische Spitze hinein damit entspannt umgehen und das als Bereicherung empfinden. Aktuell kommt hinzu, dass weltweit auf die Flüchtlingsthematik geblickt wird. Premierminister Modi hat Bundeskanzlerin Merkel explizit dafür gedankt, dass sie trotz der aktuellen Herausforderungen nach Indien gereist ist. Die Flüchtlingsthematik rückt die Frage in den Fokus, wie Deutschland mit der zunehmenden ethnischen, religiösen und kulturellen Heterogenität seiner Bevölkerung umgeht. Ich beobachte Respekt und Bewunderung dafür, wie unser Land das bisher gemacht hat.

Interview: Johannes Göbel (21. Oktober 2015)