Brücken bauen zwischen dem Libanon und Deutschland

Universität Erfurt

Libanesische und Erfurter MESH-Studierende mit MESH-Koordinatorin Dr. Mara Albrecht (2. v. l.). 

Die Universität Erfurt bietet in Kooperation mit zwei Partneruniversitäten im Libanon das binationale Master-Programm „Geschichte und Soziologie/Anthropologie des Vorderen Orients in globaler Perspektive“ (MESH) an. Gefördert vom DAAD im Rahmen des Programms „Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss“, hat sich das Projekt als gesellschaftlicher Brückenbauer etabliert.

Der Libanon liegt als Küstenstaat am östlichen Rand des Mittelmeers zwischen Syrien und Israel in einer krisengeschüttelten Region. Laut Weltbank befindet sich das Land in einer der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen seit 150 Jahren. Im August 2020 erschütterte eine Explosion im Hafen der Hauptstadt Beirut die rund sieben Millionen Menschen zählende Bevölkerung zusätzlich. „Gleichzeitig ist der Libanon ein Land, das mit seiner Offenheit und seiner Vielfalt extrem attraktiv ist“, erklärt Prof. Dr. Birgit Schäbler. Die Professorin für Geschichte Westasiens hat mit ihrer Kollegin Dr. Mara Albrecht vor rund zehn Jahren an der Universität Erfurt den internationalen Doppelabschluss-Masterstudiengang „Middle Eastern Sociology/Anthropology and History“ (MESH) mit der Université Saint-Joseph in Beirut und der Université Saint-Esprit de Kaslik ins Leben gerufen.

Hohe Nachfrage, große Strahlkraft
„MESH ist einzigartig in Deutschland, weil es ein interdisziplinäres, also geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliches Programm ist, das sich mit dem Nahen Osten in seinen globalen Verflechtungen befasst“, erklärt Mara Albrecht. Die Nachfrage nach einem Platz im viersemestrigen Studiengang ist hoch. „Grundsätzlich haben wir immer rund 20 Bewerbungen auf zehn verfügbare Plätze an den Partneruniversitäten“, schildert Albrecht. Trotz der Krisen ist das Interesse noch einmal gestiegen. „MESH zieht Studierende aus ganz Deutschland sowie junge Menschen aus der ganzen Welt nach Erfurt, wo sie gemeinsam mit den Studierenden aus dem Libanon studieren“, so Albrecht. Für den Universitätsstandort Erfurt bedeutet das: gesteigerte Diversität, Internationalität und Interkulturalität. „Gerade für eine kleinere Universität wie Erfurt in Ostdeutschland ist das ein großer Gewinn. Denn dort zieht es Master-Studierende nicht automatisch so hin wie zum Beispiel nach Berlin.“ Um diesen Effekt zu verstärken, sind die Seminare und auch die Veranstaltungen der libanesischen Gastdozierenden für die Studierenden der Geschichtswissenschaft ebenfalls geöffnet. Für das Projekt wurde ausgehandelt, dass die deutschen Studierenden die im Libanon üblichen, hohen Studiengebühren nicht zahlen müssen. Die Studiengebührenreduktion ist eine der Voraussetzungen für die Förderung im DAAD-Doppelabschlussprogramm, welches das MESH-Projekt unterstützt und von dem die deutschen Studierenden neben dem Abschluss beider Universitäten somit besonders profitieren.

Als Direktorin des Orient Instituts Beirut kennt Schäbler die Geschichte des Nahen Ostens und die Charakteristika der libanesischen Gesellschaft außerordentlich gut. Für sie ist MESH ein weiterer Bestandteil der vom DAAD umgesetzten Außenwissenschaftspolitik im Libanon: „So werden Brücken zwischen den Ländern gebaut.“ Die Projektverantwortliche schaut sich auch die Entwicklungen auf dem Bildungsmarkt genau an. Hier könne Deutschland jetzt noch sichtbarer werden. „Vor dieser Krise sind die Studierenden aus dem Libanon vor allem nach Frankreich oder in die USA gegangen“, so Schäbler. Heute seien junge Libanesinnen und Libanesen Deutschland gegenüber sehr aufgeschlossen, wenn es für sie darum gehe, internationale Studienerfahrungen zu sammeln. „Während viele andere Länder aufgrund ihrer Außenpolitik oder Kolonialgeschichte kritisiert werden, sind wir hierzulande eigentlich immer die Guten.“

Enge Betreuung der Studierenden
Bei den deutschen Studierenden spüren Albrecht und Schäbler nach Beginn der Förderung durch den DAAD insbesondere seit 2015 ein abermals gesteigertes Interesse. „Viele sind in der Arbeit mit Geflüchteten engagiert und wollen dann auch in die Länder gehen, um in Projekten, Praktika oder in der Forschung zu arbeiten“, erklärt Albrecht. „Man kann heute nicht mehr nach Syrien oder in den Jemen – das hat die Attraktivität des vielfältigen Libanon noch einmal erhöht“, ergänzt Schäbler. Um die Studierenden gut und richtig zu begleiten, ist ein hoher Betreuungsaufwand notwendig. „Dadurch, dass das Programm so gut organisiert ist und unsere Studierenden in Gruppen unterwegs sind, fühlen sie sich immer sehr sicher“, berichtet Albrecht. Auch umgekehrt bekommen die Studierenden aus dem Libanon Hilfe – zum Beispiel bei der schwierigen Visa-Beantragung – und werden in Erfurt auch in extracurriculare Aktivitäten eingebunden. Für die Betreuung der Studierenden und die Umsetzung des Doppelabschluss-Studiengangs können – neben Stipendien – im Rahmen der DAAD-Förderung auch Personalmittel zur Verfügung gestellt werden.

Im ersten Semester erlernen die Studierenden an der jeweiligen Heimatuniversität geschichtswissenschaftliche bzw. soziologische und anthropologische Theorien und Methoden. Zudem können sie ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Englischkenntnisse auf Abitur-Niveau sind Zulassungsvoraussetzung, Französischkenntnisse auf Niveau B1 bis zum Auslandsaufenthalt im dritten Semester für deutsche Studierende nachzuweisen. Arabischkenntnisse sind von Vorteil, aber kein Muss, da Arabischkurse auf unterschiedlichen Niveaus in Erfurt und im Libanon angeboten werden. Im weiteren Verlauf des Studiums werden dann Vergleiche zwischen Orient und Okzident sowie anderen Weltregionen angestellt und vor allem in der Auslandsphase die Soziologie und Anthropologie des Vorderen Orients erforscht. „Diese Verbindung ist an sich intellektuell und inhaltlich schon sehr attraktiv. Wir machen das dann noch in globaler Perspektive“, erklärt Schäbler. Für die Libanesinnen und Libanesen, die „vor allem an der libanesischen Geschichte interessiert sind, da diese zu Hause wenig vermittelt wird“, sei das Semester in Erfurt „ein großes Aha-Erlebnis, weil sie nunmehr von außen auf ihr Land schauen können“, so die Wissenschaftlerin. „Dann sehen sie, dass auch wir im Westen Probleme haben und vielleicht andere Lösungsansätze wählen.“ Vor allem junge Frauen aus dem Libanon seien die Trägerinnen des Wandels: „Auf ihnen ruht die Hoffnung des Landes.“

Gute Berufschancen
Ziel des DAAD-Förderprogramms ist es unter anderem, die Karrierechancen der Doppelabschluss-Absolventinnen und -Absolventen zu erhöhen – ein Anspruch, der sich im geförderten Projekt bestätigt. Denn wer den Master-Studiengang erfolgreich abschließt, hat gute Chancen auf einen schnellen Berufseinstieg. „Einige gehen in die Wissenschaft und promovieren, viele gehen in den Journalismus, zu NGOs, internationalen Organisationen, Auslandsbüros politischer Stiftungen, in die Integrationsarbeit, Jugend- und Erwachsenenbildung oder in die freie Wirtschaft zu Unternehmen mit Bezug zu einer Region im Nahen Osten“, berichtet Albrecht. „Wir versuchen deshalb, unsere Alumni so einzubinden, dass diese den Studierenden Einblicke ins Berufsleben geben können.“

Niklas Kuschkowitz (2. August 2022)

Weitere Informationen

Der Masterstudiengang „Geschichte und Soziologie/Anthropologie des Vorderen Orients in globaler Perspektive“ mit Doppelabschluss erhält seit 2011 eine Förderung des DAAD im Rahmen des Programms „Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss“. Im Zentrum der Förderung stehen der Auf- und Ausbau internationaler Strukturen an den deutschen Hochschulen und die Mobilität der deutschen Studierenden. Die Universität Erfurt hat in den ersten Projektphasen Personal- und Sachmittel zur Planung und Entwicklung des Doppelabschlussstudiengangs erhalten. Im Rahmen der Anschlussförderung werden die zur Verfügung gestellten Mittel vornehmlich für Stipendien und Gastdozenturen sowie für Reisemittel und zur Betreuung der Alumni eingesetzt.