„Hochschulbildung für Geflüchtete ist kein Luxus“

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Im Vorfeld des G7-Gipfels mit deutschem Vorsitz haben die wissenschaftlichen Austauschorganisationen der G7-Staaten gemeinsam mit Partnern aus acht weiteren Ländern im Mai eine Erklärung zum „Wissenschaftsaustausch in Zeiten weltweiter Krisen“ veröffentlicht. Der DAAD hatte zu diesem Treffen in die Hauptstadt eingeladen. Die sogenannte „Berliner Erklärung“ setzt ein Zeichen für den Schutz bedrohter Studierender und Forschender in aller Welt. Die Hintergründe erklärt der Leiter der DAAD-Außenstelle Brüssel, Michael Hörig.

Wie kam es zu dieser gemeinsamen Erklärung der Austauschorganisationen?
In der DAAD-Außenstelle Brüssel verfolgen wir gemeinsam mit einigen unserer Partnerorganisationen schon länger eine Initiative rund um die Themen „Students at Risk“ und „Higher Education in Emergencies“. Wir treffen uns regelmäßig und haben auch schon verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. Zusammen mit unseren französischen und niederländischen Partnern Campus France und Nuffic realisieren wir beispielsweise das Projekt HOPES-LEB im Libanon. Als der Berliner Termin für das Treffen der Austauschorganisationen im Vorfeld des G7-Gipfels geplant wurde, wollten wir diese Zusammenarbeit auf die G7-Ebene erweitern und haben in diesem Kontext die Berliner Erklärung vorbereitet, auch weil das Thema wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine noch einmal extrem an Brisanz gewonnen hat. Im Dokument haben wir versucht, die beiden Ansätze „Students at Risk“ und „Higher Education in Emergencies“ aufzunehmen und die Erklärung so zu formulieren, dass sich alle Austauschorganisationen darin wiederfinden können. Das ist uns anscheinend gelungen. 

„Hochschulbildung für Geflüchtete ist kein Luxus“

DAAD/Lannert

Michael Hörig leitet seit Januar 2022 die DAAD-Außenstelle Brüssel. Diese vertritt den DAAD bei den EU-Institutionen.

Worum geht es genau bei „Students at Risk“ und „Higher Education in Emergencies“?
Das sind zwei Konzepte, die eng miteinander verknüpft sind und doch unterschiedlichen Ansätzen nachgehen. „Students at Risk“ bietet Studierenden, die in ihrem Heimatland verfolgt werden und das Land verlassen müssen oder möchten, eine Möglichkeit, ihr Studium in einem sicheren Drittland fortzusetzen. In den entsprechenden Programmen wird die Gefährdungslage jeweils individuell geprüft. Der Ansatz „Higher Education in Emergencies“ offeriert Geflüchteten generell die Chance, in anderen Ländern eine Hochschule zu besuchen. Hier wird die Gefährdungslage nicht überprüft, weil sie sich bereits aus dem Geflüchteten-Status ergibt. In diesem Zusammenhang stehen die Nachbarländer im Vordergrund. Im Fall von Syrien zum Beispiel hat zwar auch Deutschland viele Syrerinnen und Syrer in den Hochschulalltag integriert, aber das ist wenig im Vergleich zu der herausragenden Rolle, die Länder wie Jordanien oder Libanon dabei gespielt haben. 

Welche DAAD-Programme zum Schutz von Studierenden und Forschenden stehen in diesem Zusammenhang besonders im Fokus?
Als eine Art Blaupause für „Students at Risk“ ist das Hilde Domin-Programm zu nennen. Es unterstützt weltweit gefährdete Studierende sowie Doktorandinnen und Doktoranden, denen in ihrem Herkunftsland formal oder tatsächlich das Recht auf Bildung verweigert wird, dabei, ein Studium in Deutschland aufzunehmen oder fortzusetzen, um einen Studien- oder Promotionsabschluss an einer deutschen Hochschule zu erlangen. Darüber hinaus haben wir das Leadership for Africa-Programm: Mit dem geben wir Geflüchteten aus afrikanischen Ländern die Möglichkeit, sich fortzubilden und ein Studium in Deutschland zu absolvieren, unterstützen aber auch in Kombination Geflüchtete und einheimische Studierende im Land selbst. Beispiele für „Higher Education in Emergencies“ sind das bereits oben erwähnte HOPES-LEB im Libanon, das dort Hunderten Menschen zu einem Studienabschluss oder einer zusätzlichen Bildungsqualifikation verholfen hat, und unsere Beteiligung am EU-Programm EDU-Syria. Letzteres vergibt unter der Federführung der German Jordanian University Stipendien an syrische Geflüchtete und benachteiligte Menschen in Jordanien. 

Mit der gemeinsamen Erklärung hat der DAAD mit den Partnerorganisationen den Schutz bedrohter Studierender und Forschender in den Vordergrund gerückt. Welche Taten folgen jetzt auf diese Erklärung?
Die Resonanz war gut. Gemeinsam mit Partnerorganisationen und der ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der EU haben wir die Erklärung breit gestreut. So stand das Thema bereits beim Treffen der Generaldirektorinnen und -direktoren Hochschulbildung der EU im Mai auf der Agenda und war Gegenstand der Diskussion. Die EU-Forschungsministerinnen und -minister haben im Juni eine Erklärung zum Thema Ukraine veröffentlicht und dafür die Berliner Erklärung als Hintergrundpapier eingereicht. Sie hat unserem Thema Sichtbarkeit verschafft und die Institutionen führender Industrienationen dazu gebracht, den Dialog in ihren eigenen Ländern voranzutreiben. Es ist also gelungen, die Zusammenkunft der Partnerorganisationen im Rahmen des G7-Gipfels zu nutzen, um für das Thema eine gewisse Dynamik zu erzeugen und darauf hinzuweisen, dass Hochschulbildung auch für Geflüchtete kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit. Syrien zum Beispiel befindet sich jetzt im 11. Jahr des Konflikts. Die Kinder, die damals noch die Grundschule besucht haben, sind inzwischen im studierfähigen Alter und der Konflikt ist immer noch nicht vorbei. Deshalb müssen wir den Ansatz verfolgen, dass auch Geflüchteten eine Langzeitperspektive im Bildungswesen geboten wird, und Hochschulbildung ist natürlich ein Aspekt davon. Dass man das unter allen Komponenten mitdenkt, ist unser zentrales Anliegen. Auf diesem Gebiet passiert noch zu wenig, und wir haben in der EU viel Arbeit vor uns.

„Hochschulbildung für Geflüchtete ist kein Luxus“

DAAD

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des vom DAAD organisierten „G7+Partners Higher Education Summit 2022“ in Berlin. 

Wie arbeiten die Partnerländer zusammen, um die in der Berliner Erklärung gesteckten Ziele zu erreichen?
Wir arbeiten daran, den Austausch zu diesem Thema auszubauen. Und wir unterstützen uns gegenseitig ganz konkret, zum Beispiel wenn verfolgte Studierende oder Forschende etwa in die USA möchten, aber dort zunächst kein Visum bekommen. Dann eruieren wir, inwieweit ein Aufenthalt in Europa eine mögliche Zwischenlösung sein könnte. Und natürlich versuchen wir, mit unseren Partnerorganisationen auch neue Projekte zu akquirieren, die sich darauf konzentrieren, die Probleme von verfolgten Studierenden oder „Higher Education in Emergencies“ zu lindern. Zusammengefasst: Wir werden weiterhin auf das Thema aufmerksam machen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben, voneinander lernen und neue Programme entwickeln.

(Britta Hecker, 23. Juni 2022)

Weitere Informationen

Hilde Domin-Programm
Der DAAD bietet aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA) das Hilde Domin-Programm an. Das Stipendienprogramm soll weltweit gefährdete Studierende sowie Doktorandinnen und Doktoranden, denen in ihrem Herkunftsland formal oder de facto das Recht auf Bildung verweigert wird, darin unterstützen, ein Studium in Deutschland aufzunehmen oder fortzusetzen, um einen Studien- oder Promotionsabschluss an einer deutschen Hochschule zu erlangen. Die im Rahmen des Programms nominierten und ausgewählten Studierenden sowie Doktorandinnen und Doktoranden werden in Studiengängen ihrer persönlichen Wahl und individuellen Qualifikationen entsprechend eingeschrieben und erhalten ein Stipendium, das die notwendigen Kosten des Studiums- bzw. Forschungsaufenthalts deckt. 2021 wurden insgesamt 85 Stipendien in zwei Auswahlrunden vergeben. Das Programm ist bis Ende 2026 durch das AA finanziert, eine Verlängerung wird angestrebt. Ab 2023 werden die Geförderten in einem überfachlichen Qualifikationsprogramm weitergebildet.