Leibniz-Preis für DAAD-Alumna: Professorin Marietta Auer im Porträt

nahdran photografie, sandra hauer

Die Rechtswissenschaftlerin und DAAD-Alumna Prof. Dr. Marietta Auer. 

Herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Rechtstheorie und der Rechtsgeschichte: Für die Formulierung eines umfassenden rechtstheoretischen Verständnisses des Privatrechts im Verhältnis zum öffentlichen Recht wird Prof. Dr. Marietta Auer, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie sowie Professorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2022 geehrt.

Nicht immer sind es bereits die Doktorarbeiten und Habilitationsschriften, die bahnbrechende Ergebnisse auf einem wissenschaftlichen Fachgebiet hervorbringen. Bei Marietta Auer war das anders. In ihrer 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) abgeschlossenen Dissertation „Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit. Generalklauseln im Spiegel der Antinomien des Privatrechts“ zeigte Auer grundlegende Spannungen zwischen individualistischer Freiheit und „kollektivistischer“ Sorge für die Schwächeren, zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit sowie zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung auf.

Konflikt zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht
Das Privatrecht der Moderne umfasst Rechtsbereiche, die sich mit der Selbstorganisation von Rechtsverhältnissen beschäftigen, zum Beispiel das Vertrags-, sowie das Erb- und Familienrecht. Nicht selten stehen sie in spannungsreicher Beziehung zum öffentlichen Recht und seinem Gemeinwohlanspruch. Selbstwidersprüche und Selbstaufhebungstendenzen, arbeitete Auer heraus, stellten die Geltung des Privatrechts in historischen sowie aktuellen Situationen permanent infrage. Auer beleuchtet mit ihrer Forschung die unterschiedlichen Seiten des Privatrechts, dessen entscheidende Prinzipien in der Privatautonomie wurzeln. 

Die Hochschullehrerin vollendete ihre Habilitationsschrift 2012 und vertiefte darin die Fragestellung ihrer Doktorarbeit. Sie entwickelte nichts weniger als eine Theorie des Privatrechts der Moderne, in der das Recht – insbesondere das Recht auf Eigentum – als grundlegend für die Konstitution sozialer Beziehungen und des modernen Selbst angesehen wird. Danach folgte die Wissenschaftlerin einem Ruf der Justus-Liebig-Universität Gießen auf die Professur für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie.

Vom DAAD maßgeschneidertes USA-Stipendium

Schon direkt im Anschluss an ihr Studium der Rechtswissenschaft an der LMU erhielt Auer tiefergehende Denkanstöße – nicht nur für Ton und Sprache wissenschaftlicher Veröffentlichungen, sondern gerade auch für ihre Themen: Mit einem vom DAAD maßgeschneiderten Stipendium an der Harvard Law School in den USA 1999/2000 lernte sie andere Sichtweisen und Interpretationen kennen, von denen sie noch heute profitiert. „Die Konfrontation mit dem Common Law und dem zeitgenössischen US-Rechtsdenken verschaffte mir wesentliche neue Impulse“, sagt Auer. „Sowohl fachlich als auch persönlich war das Auslandsjahr von allergrößter Bedeutung für mich.“ Ihre Verbindung zur Harvard Law School hielt die Rechtswissenschaftlerin aufrecht; 2012 erlangte sie dort den „Doctor of Juridical Science“.

Zwei „Bücher des Jahres“
Eine weit anerkannte Stärke von Marietta Auer ist es, ihre Forschungsansätze und Aussagen zum Privatrecht übersichtlich und verständlich zu kommunizieren. Diese grundlegenden Bereiche der Rechtswissenschaft, die vielen Laien als eher trockenes, theoretisches Fach erscheint, vermittelt sie fassbar und nachvollziehbar. Auch der Kreis namhafter Peers, der sich jährlich zur Lektüre und Prämierung der besten juristischen Abhandlungen trifft und darüber in der „Neuen Juristischen Wochenzeitschrift“ des Verlags C. H. Beck berichtet, erkannte dieses Potenzial und wählte sowohl die Dissertation als auch die Habilitationsschrift jeweils unter die „Juristischen Bücher des Jahres“ (2005 bzw. 2015). „Es hat sicher nicht geschadet, dass ich versuche, kurze, inhaltlich dichte und stilistisch lesbare Bücher zu schreiben“, so Auers bescheidene Einschätzung dazu.   

Neben dem Bemühen um eine verständliche Darstellung der eigenen Forschung ist die optimale Vorbereitung ihrer Studierenden ein weiteres wichtiges Anliegen für die Rechtswissenschaftlerin. An der LMU in München engagierte sie sich viele Jahre lang für eine verbesserte Vorbereitung der Studierenden auf die juristischen Staatsprüfungen. „Dabei handelt es sich um dreistündige Fallrepetitorien auf Examensniveau, die der Vorbereitung auf das erste juristische Staatsexamen dienen“, erklärt Auer. Bald wurde München zum Vorreiter für diese Art von universitärer Examensvorbereitung in Deutschland; inzwischen ist sie in der ganzen Bundesrepublik etabliert. Für ihre Verdienste im Rahmen des Münchner Examenstrainings erhielt Auer bereits 2006 den „Preis für gute Lehre“, den das Bayerische Wissenschaftsministerium für herausragende Lehrleistungen an Bayerns staatlichen Universitäten vergibt. Anerkennung für dieses Engagement erhält die Hochschullehrerin allerdings auch auf ganz inoffizielle Weise: „Bis heute werde ich immer wieder von ehemaligen Absolventinnen und Absolventen darauf angesprochen, wie hilfreich diese Art von gezieltem Examenstraining war“, sagt sie.

Ihre richtungsweisende Forschung und Expertise, das Talent zur Kommunikation und ihr Engagement für eine optimale Lehre ließen auch andere wissenschaftliche „Schwergewichte“ auf Auer aufmerksam werden. 2019 lehnte sie Rufe an die Bucerius Law School in Hamburg und die Universität Bonn ab, wechselte aber 2020 von der Justus-Liebig-Universität in Gießen an das Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main, wohin sie als Direktorin berufen wurde – um dort eine neue Abteilung für Rechtstheorie aufzubauen. 

„Verpflichtung für das ganze Fach“
Den Leibniz-Preis als Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistung empfindet Marietta Auer als „eine überaus ehrenvolle Auszeichnung“. Sie sei eine Verpflichtung für das gesamte Fach, speziell auch für die juristischen Grundlagenwissenschaften, in denen ihre Forschung vor allem angesiedelt sei. „Ich verstehe den Preis auch als willkommene Aufforderung, dass wir in Deutschland mehr Zeit, Geld und Aufwand in gute juristische Grundlagenforschung investieren sollen.“ Dementsprechend plant Auer, Projekte in diesem Bereich zu initiieren, die ohne das Preisgeld nicht realisierbar wären. „Grundsätzlich ist es mein Ziel, Forschung zu den Grundlagen des Rechts mit Forschung zu den Grundlagen der Gesellschaft zu verbinden“, so die Preisträgerin.

Torben Dietrich (12. Mai 2022)

Zur Person

Marietta Auer, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie

Forschungsfeld: Rechtsgeschichte und Rechtstheorie
Leibniz-Preis für: Herausbildung eines umfassenden rechtsphilosophischen Verständnisses des Privatrechts
Stationen: Ludwig-Maximilians-Universität München, Harvard University Cambridge, USA, Justus-Liebig-Universität Gießen, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, Frankfurt am Main.

Weitere Informationen

Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland und wird jährlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf Vorschlag Dritter vergeben. Die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten die Möglichkeit, ihre Forschung zu erweitern, zu intensivieren und besonders begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu beschäftigen. Der Leibniz-Preis ist mit jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro dotiert.