Interdisziplinär, polyglott und liberal

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Begründer des Studiengangs „Deutsch als Fremdsprache“: Prof. Dr. Harald Weinrich (1927 – 2022).

Die Germanistik weltweit zu fördern, ist eine zentrale Aufgabe des DAAD. Einer, der sich um diese Aufgabe besonders verdient gemacht hat, war Prof. Dr. Harald Weinrich. Der Sprachwissenschaftler ist am 26. Februar 2022 im Alter von 94 Jahren gestorben.

Seine Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo Professor Harald Weinrich Direktor des Instituts „Deutsch als Fremdsprache“ war, galten unter den Studierenden anderer geisteswissenschaftlicher Fächer als Geheimtipp. „Du musst mal zu Weinrich gehen“, hieß es. Einer, der dieser Empfehlung Anfang der 1980er Jahre gefolgt war und daraufhin sogar das Studienfach wechselte, ist DAAD-Alumnus Christian Fandrych, Professor für Linguistik des Deutschen als Fremdsprache an der Universität Leipzig. „Seine Vorlesungen waren ganz anders, als man es bis dahin gewohnt war. Weinrich sprach frei und sehr lebendig, bezog die Studierenden immer mit ein und lud sie zum Diskutieren ein“, erinnert sich Fandrych, der nach seiner Dissertation, für die Weinrich Zweitgutachter war, eineinhalb Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsch als Fremdsprache in München tätig war. Als charakteristisch beschreibt er zudem die Pause nach der Hälfte der Vorlesung: „Dann lief Weinrich, der zu dieser Zeit bereits weit über das Fach hinaus bekannt war, vor dem Hörsaal auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er strahlte eine natürliche Autorität aus, war dabei aber immer nahbar, diskussionsbereit und interessiert an seinen Studierenden.“ 

Der Sprachwissenschaftler Harald Weinrich, geboren 1927, lernte Französisch während der Kriegsgefangenschaft in Frankreich und studierte anschließend Romanistik, Germanistik, Latinistik und Philosophie. Nach Lehrtätigkeiten an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, der Universität zu Köln und der von ihm mitgegründeten Universität Bielefeld, wechselte er 1978 an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er in der damaligen Bundesrepublik den ersten grundständigen Studiengang mit Studienabschluss „Deutsch als Fremdsprache“ etablierte. 

Der Interdisziplinäre
„Weinrich war ein sehr breit aufgestellter Wissenschaftler, ein geisteswissenschaftlich, philologisch und philosophisch denkender Mensch, der es wie wenige geschafft hat, literaturwissenschaftliche, linguistische und kulturhistorische Bezüge herzustellen, sodass sich diese gegenseitig befruchten“, sagt Fandrych. Ein Gelehrter, der sich nicht klar einordnen ließ: War er Romanist, Linguist, Literaturwissenschaftler? „Er konnte die verschiedene Disziplinen miteinander in Verbindung bringen und hat dabei die Sprachdidaktik immer mitgedacht“, so der ehemalige Student und spätere Mitarbeiter am Institut. Für das Fach besonders einflussreich war auch, dass Weinrich sich intensiv mit der Erforschung der Wissenschaftssprache beschäftigte und als einer der Wegbereiter dieser inzwischen umfangreichen Forschungsrichtung gilt.

Das Interdisziplinäre zeigt sich auch in Weinrichs wissenschaftlichem und literarischem Werk. Er schrieb über geistesgeschichtliche und philosophisch-ethische Fragen genauso wie über linguistische Themen. Nach der französischen Textgrammatik (1982) veröffentlichte er 1993 unter Mitarbeit von Maria Thurmair, Eva Breindl und Eva-Maria Willkop die „Textgrammatik der deutschen Sprache“. Aus Fandrychs Sicht ein „wirklich neues Grammatikwerk, weil es versucht, alle sprachlichen Phänomene anhand von spannenden Sprachbeispielen zu erklären, und dazu noch enorm gut lesbar ist“. Viele seiner Werke wie „Tempus. Besprochene und erzählte Welt“ (1964) gaben wichtige Denkanstöße, auch wenn sie bisweilen kontrovers diskutiert wurden. Seine geistesgeschichtlichen Ausflüge in die Philosophiegeschichte wie „Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens“ von 1997 waren leserfreundliche und stilistisch schöne Gelehrtenliteratur, mit der sich Weinrich auch an ein breiteres Publikum wandte.

Interdisziplinär, polyglott und liberal

Privat

DAAD-Alumnus Christian Fandrych, Professor für Linguistik des Deutschen als Fremdsprache an der Universität Leipzig, hat bei Harald Weinrich studiert und war später wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Sprachen als Lebensprojekt
Der Wissenschaftler war enorm sprachbegabt – ein polyglotter Mensch, der in der Welt zu Hause war. Er beherrschte die Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, und zwar so, „dass er sich in allen Sprachen sehr präzise ausdrücken konnte“, erinnert sich Fandrych. 1992 folgte er dem Ruf ans Collège de France in Paris. Harald Weinrich war der erste Nichtfranzose, der an die ehrwürdige, 1530 gegründete Institution berufen wurde, wofür eigens deren Satzung geändert werden musste. Forschungsaufträge sowie Gastprofessuren führten ihn auch in die USA und nach Italien. 

Sprachen waren für ihn ein Lebensprojekt, das nicht an die Schulzeit gekoppelt sein muss. Mehrsprachigkeit forderte Weinrich als überzeugter Europäer auch in der Sprachenpolitik des geeinten Kontinents: Trotz der Relevanz des Englischen sollte man mehrere Sprachen lernen. Er plädierte zudem dafür, Englisch nicht als erste Fremdsprache an den Schulen zu unterrichten. Damit hat er sich nicht durchgesetzt. „Wichtig war Weinrich die Mehrsprachigkeit auch in der Wissenschaft, weil sie Perspektivenvielfalt schafft“, ergänzt Fandrych. 

Diese Offenheit gegenüber anderen Sprachen, Kulturen und Ländern führte auf seine Initiative hin zum Adelbert-von-Chamisso-Preis. Die Auszeichnung wurde von 1985 bis 2017 von der Robert-Bosch-Stiftung an zugewanderte Autorinnen und Autoren vergeben, die Literatur in deutscher Sprache verfassten. Damit trat der liberale Geisteswissenschaftler ein für eine offene Gesellschaft und für die Bereicherung, die durch Zuwanderung entstehen kann. Dieses Thema ist heute aktueller denn je. 

Britta Hecker (24. März 2022)

Weitere Informationen

Der DAAD förderte zwei Jahre lang den nach Harald Weinrich benannten Gastlehrstuhl an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld.