Expertise für den Friedensprozess

Hanna Thiesing

Rafael Quishpe, wissenschaftlicher Mitarbeiter des CAPAZ-Instituts, und Milay Mosquera, Vertreterin des „Red de Cantadoras del Pacífico Sur“ beteiligen sich am CAPAZ-Projekt „Entre Nos: Somos las letras de estas canciones – música, mujeres y paz en Colombia“.

Das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) wurde 2017 von zehn kolumbianischen sowie deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen gegründet. Bis heute wurden 15 weitere Universitäten als assoziierte Mitglieder aufgenommen. Ihr Schwerpunkt ist die Vergangenheitsbewältigung, Konfliktprävention und Friedensforschung im Zusammenhang mit dem 2016 beendeten bürgerkriegsähnlichen Konflikt zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC. Das Instituto CAPAZ in Bogotá, Kolumbien, wird als eines von fünf weltweiten Exzellenzzentren durch den DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert.

Frieden – das sehen wir jeden Tag beim Blick in die Nachrichten – ist nicht nur wie seit jüngster Zeit bei uns in Europa, sondern weltweit immer wieder gefährdet. Zu oft werden wir Zeugen, wie relativ leicht es ist, einen gewaltsamen Konflikt zu beginnen. Wie kompliziert und herausfordernd es allerdings sein kann, vor allem langjährige Konflikte wieder zu beenden, zeigt sich seit Jahren in Kolumbien. Von der europäischen Öffentlichkeit oft wenig beachtet, ringen in dem südamerikanischen Land verschiedene Akteurinnen und Akteure um die Gestaltung einer Post-Konflikt-Gesellschaft.

Dringliche gesellschaftliche Aufgabe
Mit dem Ende des 52-jährigen und damit längsten bürgerkriegsähnlichen Konfliktes der Welt zwischen der Guerilla-Organisation FARC und dem kolumbianischen Staat im Jahr 2016 wurde die Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit – sowie der Umgang mit deren Folgen – zu einer dringlichen gesellschaftlichen Aufgabe. Das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) wurde unter Federführung der Justus-Liebig-Universität Gießen mit deutschen und kolumbianischen Partnern aus der Hochschul- und Forschungslandschaft aufgebaut, um den Friedensprozess wissenschaftlich zu unterstützen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Forschung und dem Wissenstransfer in den Bereichen Vergangenheitsbewältigung, Erinnerungskultur, Konfliktprävention und Friedensforschung.

Ein unverzichtbares Instrument, um Regierung und Zivilgesellschaft im Friedensprozess zu begleiten, sind Bildungsangebote, darunter Workshops und pandemiebedingt digital durchgeführte Kursangebote. Diese dienen nicht nur dem Austausch zwischen kolumbianischen und deutschen Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern haben eine breitere Zielgruppe: Auch Behörden, Ex-Kombattantinnen und -kombattanten, Opfer des Konfliktes sowie interessierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gehören zu den Teilnehmenden der Kurse, die mit einem Zertifikat abgeschlossen werden.    

Expertise für den Friedensprozess

Paul Magura

Prof. Dr. Stefan Peters leitet das Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) in Kolumbien.

Guerilleros in Lerngruppen
Die 10 virtuellen und kostenlosen Kurse zu verschiedenen Themen der Friedens- und Konfliktforschung unter dem Label „Escuela de Cursos Virtuales CAPAZ“ werden auch in diesem Jahr weitergeführt. Besonders hebt Prof. Dr. Stefan Peters, Direktor des CAPAZ, dabei die Angebote an ehemalige Guerillakämpferinnen und -kämpfer hervor, die teilweise in Lerngruppen zusammenarbeiten. Hochrangig besetzte virtuelle Diskussionsveranstaltungen zu verschiedenen Themen des Friedensprozesses tragen dazu bei, dass unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen Gehör finden und in der Öffentlichkeit reflektiert werden können. Zu den Teilnehmenden gehörten unter anderem bereits Niels Annen, Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Patricia Linares, die ehemalige Präsidentin der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP), und Padre Francisco de Roux, Präsident der kolumbianischen Wahrheitskommission, deren Arbeit in Deutschland vom CAPAZ massiv wissenschaftlich unterstützt wird.

Um zusätzliche Anknüpfungspunkte in der kolumbianischen Zivilgesellschaft zu etablieren, legt das CAPAZ auch Wert auf kulturelle Inhalte, etwa Musik, Kochen, Fotografieren und sogar eine vielbeachtete selbst produzierte Filmserie. Durch den virtuellen Charakter dieser Veranstaltungen konnte bereits ein breiteres und „teilweise sehr heterogenes Publikum erreicht und die Reichweite deutlich ausgeweitet werden“, heißt es im CAPAZ-Sachbericht von 2020. Zudem sind alle CAPAZ-Publikationen kostenlos und öffentlich zugänglich. 

Der Politik Optionen aufzeigen
Ebenso unentbehrlich ist der stetige Kontakt zur Politik und deren Beratung. Symbolisch für den engen Austausch, den das CAPAZ dazu pflegt, steht das Claustro San Augustín. Seit 2017 ist das historische Kloster direkt neben dem Präsidentenpalast die offizielle Adresse des Instituts. Die hier produzierten Studien und Forschungsergebnisse liefern den politisch Verantwortlichen wertvolle Hinweise und zeigen Politikoptionen auf dem weiteren Weg der Aussöhnung auf. 

Dieser Prozess der Beratung, der außenpolitischen Förderung der wissenschaftlichen Kooperation sowie der Interaktion hat sich unter dem Begriff der „Science Diplomacy“ etabliert und wird vom CAPAZ mit hoher Exzellenz umgesetzt. „Vor allem jedoch erscheint mir wichtig“, sagt Peters, „dass die Wissenschaft zunehmend den Weg aus dem Elfenbeinturm wagt und ihre Erkenntnisse mit breiten Teilen der Gesellschaft diskutiert und auf diese Weise ganz praktisch zur Friedensförderung beiträgt.“ Zentral sei hierfür die Freiheit von Forschung und Lehre und damit ein Thema, „das leider in vielen Teilen der Welt zunehmend unter Druck gerät“. In diesem Bereich konnte sich das CAPAZ dennoch weiter positionieren und wurde seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem „Preis für Bildungs- und Wissenschaftsdiplomatie“ ausgezeichnet.

Expertise für den Friedensprozess

JEP

Die „Vereinigung schwarzer und afroamerikanischer Frauen, Menschenrechtsverteidigerinnen und Opfer des bewaffneten Konflikts in Putumayo“ (ASOMUNEP) haben der kolumbianischen Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) mit Unterstützung des CAPAZ-Instituts einen Bericht über sexuelle Gewalt gegen Frauen vorgelegt.

Bezug zu aktuellen Herausforderungen: Proteste in den Städten Kolumbiens
Wie wichtig die Etablierung eines Netzwerks zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen für gemeinsame Wissensgenerierung und als Adressat für Forschungsergebnisse ist, erwies sich im April 2021, als andauernde Proteste in der Hauptstadt Bogotá und anderen großen Städten Kolumbiens in Gewalt und Gegengewalt mündeten. Gerade in diesen Situationen sieht Peters die Verpflichtung des CAPAZ, einen engen Bezug zu aktuellen Herausforderungen zu behalten. „Wir müssen gegenwärtige Entwicklungen aufgreifen, auch wenn sie nicht allein mit dem Friedensprozess zu tun haben“, sagte der Politikwissenschaftler zum Beispiel dem „Gießener Anzeiger“. „Etwa in Form von Diskussionsveranstaltungen, in denen wir verstehen wollen, was passiert.“

Als schwerwiegendste Ursachen für Gewalt sieht der Leiter des CAPAZ strukturelle Ungleichheit und soziale Probleme in Kolumbien. Dabei seien die Anlässe sehr heterogen. Im vergangenen Jahr ging es beispielsweise um so unterschiedliche Themen wie ein kostenloses Studium, den Herbizid-Einsatz zur Bekämpfung von Koka-Anpflanzungen, „aber natürlich auch um die Implementierung des Friedensprozesses“. Jetzt, im März 2022, so Peters, seien die Proteste abgeflaut, „aber die Ursachen der Unzufriedenheit bleiben weitgehend unbearbeitet. Folglich können die Proteste jederzeit erneut aufflammen.“ 

Seitens des CAPAZ intensiviert das Team insbesondere die Arbeit im Bereich der Politischen Bildung mit Jugendlichen in verschiedenen Regionen des Landes – mit Fokus auf Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie und Nachhaltigkeit. „Der Frieden braucht eine lebendige politische Debatte, und dazu gehören Kontroversen und politisches, gegebenenfalls auch unbequemes Engagement“, ist der Professor aus Gießen überzeugt. 

Im Jahr 2022 stehe insbesondere die wissenschaftliche Begleitung der kolumbianischen Wahrheitskommission im Mittelpunkt, berichtet er. „Die Wahrheitskommission wird Ende Juni ihren Bericht vorstellen, und im Folgenden geht es um die breite gesellschaftliche Diskussion ihrer Ergebnisse. Zudem werden wir weiter eng mit der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden zusammenarbeiten und uns der Reform des Sicherheitssektors widmen.“ 

Morddrohungen gegen einen Wissenschaftler 
Wie sehr sich die angespannte Lage und divergierende Interessen in Kolumbien direkt auf die Arbeit des CAPAZ auswirken, zeigte sich Mitte 2020. Als ein mit dem Institut assoziierter Wissenschaftler von paramilitärischen Gruppen mit dem Tod bedroht wurde, gelang es dem CAPAZ, unter anderem mithilfe des DAAD und des Arnold-Bergstraesser-Instituts, ihn mit einem Stipendium nach Deutschland zu bringen. Der Kollege forschte insbesondere zu Gewaltkriminalität und Drogenhandel im Norden Kolumbiens. „Dieser Fall steht exemplarisch für die lebensbedrohenden Risiken für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Gewaltkontexten“, sagt Stefan Peters. 

Torben Dietrich (15. März 2022)

Weitere Informationen

Fünf Exzellenzzentren weltweit

Das DAAD-Programm „Exzellenzzentren in Forschung und Lehre” wurde 2009 vom Auswärtigen Amt initiiert und seitdem finanziell gefördert. Das Ziel der an renommierten Universitäten angesiedelten Exzellenzzentren in Chile, Kolumbien (zwei Zentren), Russland und Thailand ist es, die besonderen Stärken der deutschen Wissenschaft herauszustellen und die internationale Vernetzung im Bereich der exzellenten Nachwuchsausbildung voranzutreiben.