Deutsch-lateinamerikanische Kooperationen

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Die Christus-Statue über Rio de Janeiro gehört zu den Wahrzeichen Brasiliens.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in vielen Ländern Lateinamerikas werden die Rahmenbedingungen für Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftskooperationen zwischen deutschen und lateinamerikanischen Hochschulen zunehmend schwierig. Wie wichtig es gerade in solchen Zeiten ist, die Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und zu fördern, diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Hochschulumfeld auf einer Onlineveranstaltung des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

Der Blick der Wissenschaftswelt nach Lateinamerika ist aktuell eher sorgenvoll: In wichtigen akademischen Partnerländern bedrohen autoritäre Regierungen die Wissenschaftsfreiheit, anhaltende Straßenproteste und instabile Wirtschaftssysteme ziehen auch den Hochschulbereich in Mitleidenschaft, und die Covid-19-Pandemie trifft den Subkontinent mit besonderer Härte. „Doch gerade unter schwierigen Rahmenbedingungen sind es vor allem die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die universelle Werte wie Freiheit, Partizipation und Erkenntnisstreben voranbringen“, begrüßte DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee das Auditorium, das sich Ende 2021 zu einer zweitägigen Onlinekonferenz über den Status quo und die Zukunft von Kooperationen mit lateinamerikanischen Partnern zugeschaltet hatte. Initiiert wurde die Veranstaltung vom DAAD und der Hochschulrektorenkonferenz. Die Idee zu dieser Standortbestimmung entstand im Rahmen des Runden Tisches der Bundesregierung „Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung“, bei dem das Auswärtige Amt (AA) sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als federführende Ressorts zusammen mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen derzeit die Perspektive deutscher Wissenschaftsbeziehungen zu Lateinamerika erörtern.

„Klare Haltung bei der Wissenschaftsfreiheit“
Die einhellige Meinung der Rednerinnen und Redner: Gerade, wenn es schwierig wird, darf man Beziehungen nicht abbrechen, sondern muss ein verlässlicher Partner bleiben. „Für den DAAD steht außer Frage, dass angesichts der globalen Aufgaben ein grenzüberschreitender wissenschaftlicher Austausch unabdingbar ist“, betonte Mukherjee. HRK-Präsident Prof. Dr. Peter-André Alt ergänzte: „Hochschulen tragen politische Verantwortung, und sie sind wichtige Akteure bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen auf globaler Ebene. Wir wollen unseren lateinamerikanischen Partnern beistehen.“ Für die HRK stellen die Hochschulautonomie sowie das Prinzip der akademischen Freiheit Grundwerte der Hochschulbildung und der Forschung dar, die es zu fördern und zu schützen gilt. Diesen Aspekt hob auch Prof. Dr. Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, in seinem einführenden Impulsvortrag hervor: „Das Thema Wissenschaftsfreiheit muss bei allen Bemühungen eine zentrale Dimension einnehmen. Hier müssen wir eindeutig Position beziehen.“ Aufmerksamkeitsstarke Leuchtturmprojekte seien bei diesem Ansatz genauso wichtig wie der Aufbau einer breit angelegten Vernetzung mit Wissenschaftspartnern vor Ort, so Maihold. Dieser lasse sich zum Beispiel auch erreichen, indem man die Partnerinstitutionen, die sich oft auf Exzellenzniveau befinden, dabei unterstütze, ihr eigenes wissenschaftliches Netz in der Region zu stärken.

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Virtuelle Diskussion: Moderatorin Kate Maleike, Prof. Dr. Ute Clement, Präsidentin der Universität Kassel, Prof. Dr. Marianne Braig, Vizepräsidentin der FU Berlin (obere Reihe v.l.n.r.), Prof. Dr. Stefan Peters, Akademischer Direktor des Instituto CAPAZ, Prof. Dr. Bert Hoffmann, Leiter des Berliner GIGA-Büros, Prof. Dr. Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (untere Reihe v.l.n.r.).

Finanzierungsmodelle flexibler gestalten
Einen konkreten Einblick in Herausforderungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit gaben im Anschluss verschiedene Vertreterinnen und Vertreter bestehender Kooperationen im Rahmen einer virtuellen Podiumsdiskussion. Prof. Dr. Ute Clement ging unter anderem auf die Problematik der Finanzierung von Kooperationen ein. Als Präsidentin der Universität Kassel vertritt sie eine der Institutionen, die zusammen das vom BMBF geförderte Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies (CALAS) bilden. Das CALAS fördert als internationaler Referenzpunkt für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung aus und über Lateinamerika den interdisziplinären und interregionalen Dialog. „Durch die Situation in Lateinamerika und vor allem die dortige ökonomische Entwicklung ist es zu einer gewissen Asymmetrie der Finanzierung gekommen“, sagte Clement. Das Prinzip Forschung und Finanzierung auf Augenhöhe gerate ins Wanken. „Wenn wir nun aber weiterhin im gleichen Maße wie bisher auf einer gleichverteilten Finanzierung beharren, verlieren wir vielleicht wichtige Partner“, mahnte sie. Es müssten auch andere Modelle angedacht werden. Geld sei nicht die einzige Währung. Prof. Dr. Marianne Braig, Vizepräsidentin der Freien Universität (FU) Berlin, Universitätsprofessorin am Lateinamerika-Institut (LAI) der FU und Sprecherin einer der DAAD Bilateral SDG Graduate Schools, fügte hinzu: „Wir sollten anerkennen, dass die lateinamerikanischen wissenschaftlichen Institutionen im Rahmen der Kooperation wichtige infrastrukturelle Dienstleistungen erbringen, die wir von Deutschland aus wesentlich schlechter abdecken können. Die könnte man stärker als Teil der Finanzierung akzeptieren.“

Beim Thema Förderung gehe es letztlich auch um Resilienzstrukturen, die Kooperationen auffangen können, wenn sie einseitig unter Druck geraten. Das ergänzte Prof. Dr. Bert Hoffmann, Leiter des Berliner GIGA-Büros. „Dazu gehören auch Überlegungen, ob man den Kolleginnen und Kollegen vor Ort gegebenenfalls Rechtsbeistand mitfinanzieren kann, wenn sie etwa ihre Stelle zu verlieren drohen oder gar das Land verlassen müssen. Es gibt ein Netz, dass euch auffängt, wenn ihr euch aus dem Fenster lehnt – das müsste man von deutscher Seite aus zeigen.“ Hoffmann arbeitet aktuell als Politikwissenschaftler auch im interdisziplinären German-Latin American Centre of Infection & Epidemiology Research & Training (GLACIER), das der DAAD seit 2021 aus Mitteln des Auswärtigen Amts fördert. Während Interdisziplinarität bislang in der Regel kaum über benachbarte Fächer hinausgeht, seien solch fachlich breit gespannte Kooperationen eine Zukunftsaufgabe von wachsender Bedeutung, so Hoffmann.

Wissenschaft kann Räume erschließen
Aus Kolumbien hatte sich Prof. Dr. Stefan Peters zugeschaltet. Für den akademischen Direktor des vom DAAD aus Mitteln des AA geförderten Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) ist es ein wesentlicher Punkt, wirklich vor Ort präsent zu bleiben und sich nicht zurückzuziehen. „Wissenschaft kann in angespannten Situationen in der Regel auch dann noch Räume erschließen, wenn diese anderen Akteuren vielleicht schon verschlossen sind.“ Unabhängig davon profitiere der Wissenschaftsstandort Deutschland aber auch von den Kooperationen: Ohne die Zusammenarbeit gäbe es weniger Wissen aus und über die Region. Das aber sei für viele globale Herausforderungen, allen voran der Klimawandel, essenziell. Leuchtturmprojekte wie CAPAZ oder die Merian-Zentren des BMBF lenken dabei eine breite Aufmerksamkeit auf dieses Wissen – nicht nur aus der Wissenschaft oder der Politik, sondern auch von Gruppen aus der Gesellschaft oder der Wirtschaft.

Melanie Rübartsch (7. Januar 2022)

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DAAD-Unterstützung bei Hochschulkooperationen
Das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) berät deutsche Hochschulen bei der Anbahnung und Durchführung internationaler Hochschulkooperationen. Mit länder- und themenspezifischen Dialog-, Informations- und Beratungsangeboten trägt es dazu bei, dass internationale Kooperationen auch unter komplexen Rahmenbedingungen gelingen können.

KIWi unterstützt Hochschulen dabei,

  • aktuelle Themen und Trends der internationalen Wissenschaftskooperation nutzbar zu machen,
  • neue Partnerländer und Kooperationspotenziale zu identifizieren,
  • resiliente Hochschulkooperationen aufzubauen und Projekte auch unter schwierigen Rahmenbedingungen nachhaltig zu gestalten.

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