Vermittlerin zwischen Israel und Deutschland

Ben Gurion University of the Negev/Dani Machlis

An der Ben-Gurion University of the Negev im Süden Israels bietet das Department für Anthropologie und Soziologie Lehrkräften großen Gestaltungsspielraum.

Die Anthropologin Prof. Dr. Dani Kranz lehrt und forscht als DAAD-Langzeitdozentin an der Ben-Gurion University of the Negev (BGU) in Israel – und trifft dort auf ein akademisches Umfeld, in das sie ihre Forschung bestens einbetten kann. Dabei will sie nicht nur vor Ort ein moderneres Deutschlandbild vermitteln, sondern auch das jüdische Leben in Deutschland den Menschen in den beiden Staaten vertrauter machen.

Die Ben-Gurion University in Be‘er Sheva im Süden Israels zählt zu den Spitzenuniversitäten des Landes und gilt mit seinen rund 20.000 Studierenden als die am schnellsten wachsende Universität Israels. Auch Prof. Dr. Dani Kranz findet lobende Worte: „Die BGU hat das interessanteste Department für Anthropologie und Soziologie in Israel.“ Die Anthropologin ist dort seit 2019 als DAAD-Langzeitdozentin beschäftigt. Die Forschungsthemen, denen sich ihre Kolleginnen und Kollegen widmen, seien sehr relevant und wichtig, sagt sie. Dazu zählt Kranz beispielsweise den Nordirland-Konflikt und die Postkonfliktgesellschaft, die Erinnerungspolitik in Polen, Arbeiten zu postsowjetischen Jüdinnen und Juden sowie zu Ex-Jugoslawien oder dem Müllhandel zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten im Westjordanland. „Das ist eine spannende Mischung, und es sind hochgradig politische Themen, vor denen die Forscherinnen und Forscher nicht zurückschrecken“, sagt Dani Kranz.

In diesem Team fühlt sich Dani Kranz gut aufgehoben – vielleicht auch, weil ihre eigene Forschung breit gefächert ist. Die Sozial-Anthropologin forscht beispielsweise zum jüdischen Leben in Deutschland, zu den Nachfahren deutschsprachiger und kulturdeutscher Jüdinnen und Juden in Israel sowie zu den Themen Migration, Ethnizität, Recht sowie interethnische Beziehungen mit dem Schwerpunkt Antisemitismus. „Als Anthropologin muss ich nicht in dem Land leben, zu dem ich forsche, aber natürlich kommt es mir zugute, dass derzeit ein Teil meiner Forschung hier in Israel stattfindet.“ Dadurch komme sie viel leichter mit Menschen ins Gespräch und könne in Archiven, Bibliotheken, Datenbanken oder bei relevanten Organisationen recherchieren. Dies treibt auch ihre Forschung voran, die sie im Rahmen von Langzeitethnografien angeht, wie etwa die nichtjüdische Migration aus den Ländern des globalen Nordens nach Israel oder die Wissensarchitektur der Judaistik, der Jüdischen Studien, der Jüdischen Theologie in Deutschland und der Deutschen Studien in Israel.

Vermittlerin zwischen Israel und Deutschland

Kfir Harbi

Prof. Dr. Dani Kranz, seit 2019 DAAD-Langzeitdozentin an der Ben-Gurion University in Be’er Sheva, Israel. Hier ist sie Teilnehmerin an einer Veranstaltung zu Antisemitismusforschung im November 2021 in Berlin.

Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes
An der BGU bietet die DAAD-Langzeitdozentin zum Beispiel in diesem Wintersemester ein Seminar zu Deutschland nach 1945 an. „Viele Studierende kennen das moderne Deutschland nicht und finden es sehr spannend zu erfahren, was dort nach dem Krieg passiert ist. Es besteht wenig Interesse, ausschließlich über den Nationalsozialismus und die Shoa zu diskutieren“, sagt sie. Das Seminarthema variiert sie jedes Jahr – mal steht die Erinnerungspolitik im Vordergrund, mal das Thema Migration. Das Seminar ist gut besucht, den Studierenden gefällt das Angebot, ebenso wie der Umstand, dass Kranz fließend Hebräisch, Deutsch und Englisch spricht. „Die Studierenden sind überrascht, wenn sie mich Deutsch reden hören, das erwarten sie nicht“, sagt sie. Kompetent wirkt die Dozentin in deren Augen auch, weil sie praktische Tipps für den Alltag in Deutschland geben kann. „Viele junge Menschen spielen mit dem Gedanken, nach Deutschland zu gehen, sind aber nicht immer so richtig gut informiert über die wirklichen Verhältnisse vor Ort. Einige denken beispielsweise, man könne ganz wunderbar von Hartz IV leben. Das habe ich erst mal relativieren müssen.“ 

Dani Kranz ist keine Wissenschaftlerin, die ausschließlich im stillen Kämmerlein über Aufsätzen brütet. Zwar forschte sie nach ihrer Promotion im Jahr 2009 an der schottischen University of St Andrews im Fach Sozial-Anthropologie an mehreren Hochschulen, wie etwa der Bergischen Universität Wuppertal oder zuletzt an der Hochschule Rhein Waal. Allerdings gründete sie schon im Jahr 2017 parallel dazu das wissenschaftsbasierte Beratungsinstitut „Two Foxes Consulting“. Dafür arbeitet sie unter anderem mit der Bundeszentrale für politische Bildung sowie mit zahlreichen Museen zusammen und ist in der Begabtenförderung mehrerer Studienwerke, wie zum Beispiel der jüdischen Begabtenförderung ELES, aktiv. Zudem ist Kranz Mitglied im Beratungskreis von Dr. Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. „Diese angewandte Arbeit ist mir wichtig und wird von meiner Hochschule und dem DAAD geschätzt, weil dadurch wichtige Kontakte entstehen und ich die Expertise der Anthropologie einbringe und in den öffentlichen Diskurs stelle“, sagt die gebürtige Kölnerin.

Vermittlerin zwischen Israel und Deutschland

Ben Gurion University of the Negev/Dani Machlis

Die Ben-Gurion University mit ihren rund 20.000 Studierenden zählt zu den Spitzenuniversitäten in Israel.

Gute Perspektiven für das Studienfach Anthropologie
Die Gestaltungsspielräume ihrer DAAD-Langzeitdozentur weiß Dani Kranz zu schätzen. „Was an der BGU und anderen Hochschulen in Israel in der Soziologie und der Anthropologie geforscht wird, ist erfreulicherweise Teil eines gesellschaftlichen Diskurses“, sagt sie. In Deutschland gelte die Anthropologie dagegen als Orchideenfach: „Es gibt nur sehr wenige Stellen an den Hochschulen, die meisten sind befristet und man ist permanent auf der Suche nach den nächsten Drittmitteln.“ An der BGU könne sie ihre Forschung besser umsetzen – und auch vor Ort in Sachen Wissens- und Kulturdiplomatie einiges gestalten, etwa gemeinsame Veranstaltungen zur Kultur- und Gegenwartsgesellschaft mit dem Goethe-Institut oder dem Leo-Baeck-Institut. „So kann man das moderne Deutschlandbild anders vermitteln, denn die deutsch-israelischen Beziehungen folgen immer noch alten Mustern“, so Kranz. Diesem Schema will sie nicht folgen. Ihr geht es darum, durch Expertise und Wissenskommunikation eine Basis für Begegnungen und einen offenen, ehrlichen Austausch zu schaffen. 

Ihre Entscheidung, an die BGU zu kommen, hat Dani Kranz nicht bereut. „Ich bin Kölsch-Israelin, kenne Israel sehr gut, spreche die Sprache und wollte schon immer an eine israelische Universität“, sagt sie. Als Nächstes plant sie für das Frühjahr 2022 eine Onlinekonferenz im Rahmen ihres Engagements am Center for Austrian and German Studies zum Thema „Deutsche Studien in Israel“. Jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Doktorandinnen, Doktoranden und Postdocs aus den Politik- und Sozialwissenschaften der Anthropologie und Soziologie, die in ihren Fächern über Deutschland forschen, werden ihrer Meinung nach in den Deutschen Studien zu wenig rezipiert, weil diese philologisch oder historisch ausgerichtet sind – ein Kritikpunkt, den sie auch an die Jüdischen Studien und die Judaistik in Deutschland im weitesten Sinne richtet. „Diesen Forschenden will ich eine Bühne bieten“, sagt sie. Sie würde das neue Deutschland und das jüdische Leben hier gerne in Israel bekannter und vertrauter machen.

Benjamin Haerdle (4. Januar 2022)