Europäische Hochschulen: Inklusiv und divers

DAAD

Campus Europa ist der DAAD-Podcast zu den Europäischen Hochschulallianzen. DAAD Aktuell begleitet die aktuellen Folgen mit weiteren Stimmen aus den verschiedenen Allianzen.

Mehr Vielfalt und gleiche Chancen für alle – das sind zentrale Grundsätze der Europäischen Hochschulallianzen. Doch wie können diese Ziele umgesetzt werden? Vier Vertreterinnen und Vertreter der Allianzen ENGAGE.EU, ENLIGHT, EUniWell und EuroTeQ berichten von ihren Plänen.

Gemäß einer Forderung der EU-Mitgliedstaaten von 2017, strategische Partnerschaften zwischen Hochschuleinrichtungen in der gesamten EU zu stärken, haben sich Hochschulen in Europa zu „European Universities“ zusammengeschlossen. Mittlerweile in der zweiten Ausschreibungsrunde, setzen insgesamt 41 dieser europaweiten Zusammenschlüsse ihre Konzepte um. Ein zentrales Vorhaben ist es, für mehr Diversität und Teilhabe zu sorgen. Die Europäischen Hochschulallianzen haben sich vorgenommen, mehr Vielfalt und gleiche Chancen für alle zu ermöglichen – unabhängig von Herkunft, sozioökonomischem Hintergrund und physischem, psychischem oder gesundheitlichem Zustand. Darüber hinaus wollen sie nachhaltige Konzepte für mehr Chancengleichheit entwickeln, interkulturelles und interdisziplinäres Lernen fördern sowie verschiedene Stakeholder in speziellen Ausbildungsformaten zusammenbringen.

Vier Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulallianzen ENGAGE.EU, ENLIGHT, EUniWell und EuroTeQ berichten, wie die Ziele für mehr Vielfalt und Teilhabe bei ihren jeweiligen Allianzen aussehen und welche Umsetzungsstrategien dazu geplant sind.

Europäische Hochschulen: Inklusiv und divers

Privat


Sandro Dorian Mochan studiert Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Zudem ist er Mitglied im „Governing Board“ und „Board of Learners“ der Allianz ENGAGE.EU.

„Wir von der Allianz ENGAGE.EU (The European University engaged in Societal Change) verfolgen das Ziel, den Zugang zu Bildung zu erleichtern und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Um das zu erreichen, sollen Zugangshürden verringert werden, etwa indem sich die ENGAGE.EU-Labs – vergleichbar mit Arbeitsgruppen, an denen verschiedene Stakeholder beteiligt sind – aktiv in die Gesellschaft einmischen und ein Netzwerk mit Schulen, Vereinen und Unternehmen aufbauen. Mit dem weitgefassten Begriff „Learners“, will die Allianz nicht nur „klassische“ Studierende ansprechen, sondern auch PhDler, Alumni und „Life Long Learners“ einbeziehen. Dabei wollen wir bewusst auch Menschen aus bildungsferneren sozialen Gruppen erreichen. Für unterrepräsentierte Gruppen soll ein gesondertes Stipendium entstehen. Durch die Einführung von „micro-credentials“ wollen wir besonders das lebenslange Lernen fördern, das individuell auf die Teilnehmenden zugeschnitten wird und sich mit dem Berufsleben in Einklang bringen lässt. Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist, den Zugang von Austauschstudierenden unter den Partneruniversitäten weiter zu vereinfachen und ihren Anteil zu erhöhen. Um noch mehr Studierenden einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen, wird unsere Allianz sie bei der Suche nach finanziellen Mitteln unterstützen.
 
Wenn wir eine inklusive und diverse europäische Gesellschaft schaffen wollen, ist es wichtig, dass wir auch in Bezug auf das Alter keinen Unterschied machen. Deswegen legen wir bei ENGAGE.EU Wert darauf, dass die Learners Gehör in den verschiedenen Gremien finden und sich aktiv einbringen können. Auch in den Bildungsprogrammen und Kursen selbst, sowie im ENGAGE.EU ThinkTank, wollen wir konkrete Lösungsstrategien für ein inklusives Europa der Zukunft entwickeln. Die Hochschulallianzen sind hier nur der Anfang.”

ENGAGE.EU

In der Allianz ENGAGE.EU haben sich Partnerhochschulen aus sieben europäischen Ländern in den Bereichen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zusammengeschlossen: Tilburg University (Niederlande), University of Mannheim (Deutschland), Vienna University of Economics and Business (Österreich), University Toulouse 1 Capitole (Frankreich), Luiss University (Italien) und University of National and World Economy (Belgien). ENGAGE.EU hat das Ziel, Studierende zu sozial engagierten europäischen Bürgerinnen und Bürgern auszubilden, die die Gesellschaft prägen und gestalten. Auch die breite Öffentlichkeit soll mithilfe von Kooperationen und Lernangeboten an der Erarbeitung von Lösungsansätzen für gesellschaftliche Herausforderungen beteiligt werden. Die Allianz verfolgt einen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Ansatz, der auf drei Grundpfeilern basiert: ENGAGED Learning, ENGAGED Research and Innovation sowie ENGAGED in Society.

Europäische Hochschulen: Inklusiv und divers

Georg-August-Universität Göttingen


Als Professorin für Soziologie leitet Dr. Andrea D. Bührmann das Institut für Diversitätsforschung in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Georg-August-Universität Göttingen. Zudem ist die Diversitätsforscherin Mitglied im ENLIGHT-Netzwerk.

„Bei der ENLIGHT-Allianz verstehen wir Vielfalt und Inklusion als wichtige Aspekte für eine nachhaltige Chancengleichheit. Wir haben dazu drei Ziele formuliert: die Reduzierung von Marginalisierungsprozessen in den Kommunen und Regionen der beteiligten Universitäten, die Stärkung von Zugang und Teilhabe zu relevanten Entscheidungen sowie die Entwicklung von nachhaltigen Konzepten für ein Mehr an Chancengleichheit. In der Arbeitsgruppe Equity & Inclusion, die Expert*innen unterschiedlicher Felder versammelt, entwickeln wir Konzepte, die dann nicht nur in den jeweiligen Universitäten, sondern auch in ihrem organisationalen Umfeld diskutiert werden. Auf jährlich stattfindenden Konferenzen – bei denen uns auch die Beteiligung von Studierenden sehr wichtig ist – werden die Ergebnisse diskutiert und Best Practice-Beispiele identifiziert. Auf der nächsten Tagung, die im November 2022 in Göttingen stattfinden wird, wollen wir auch anhand des Projektes „Diversity vor Ort“, in dem Studierende zusammen mit Vertreter*innen der Stadt eine Diversity-Landkarte für Göttingen erarbeiten, über die Möglichkeiten des Lehr-Lernformats „Community-based Research“ diskutieren.
 
Die Herausforderungen, denen wir bei den Themen Diversität und Inklusion begegnen, bestehen vor allem darin, die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten von den verschiedenen Universitäten zu verstehen und eine gemeinsame Strategie zu finden. Dennoch erlebe ich viel Aufgeschlossenheit und Neugierde in Bezug auf Chancengleichheit, Vielfalt und Teilhabe. Alle haben gelernt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigen können. Und um innovative Lösungen zu finden, brauchen wir Perspektivenvielfalt, die sich nicht darauf reduziert, unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen, sondern Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen.“

ENLIGHT

Die Allianz ENLIGHT verbindet circa 300.000 Lernende an neun Hochschulen in Europa: Uppsala University (Schweden), University of Tartu (Estland), NUI Galway (Irland), University of Groningen (Niederlande), University of Göttingen (Deutschland), Ghent University (Belgien), University of Bordeaux (Frankreich), University of the Basque Country (Spanien) und Comenius University Bratislava (Slowakei). Die Allianz möchte zu einer fundamentalen Transformation der Gesellschaft beitragen und setzt dabei auf die thematischen Schwerpunkte Klimawandel, Gesundheit und Wohlbefinden, Gerechtigkeit, digitale Revolution sowie Energie und Zirkularität, also das Prinzip, dass Produkte nach der Nutzung als Rohstoff für neue Produkte oder Materialien verwendet werden. In diesen Schwerpunktbereichen arbeiten Studierende eng mit Forschenden und Lehrenden, Bürgerinnen und Bürgern sowie Fachkräften aus ihrer Region zusammen. Darüber hinaus strebt ENLIGHT eine Steigerung der Mobilität innerhalb des Netzwerks unter besonderer Berücksichtigung von Inklusivität und Nachhaltigkeit an.

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Merle Hettesheimer


Dr. Jan Springob ist Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte. Er leitet an der Universität zu Köln am Zentrum für Lehrer*innenbildung das Team Schulnetzwerk und Internationales. Zudem ist der Experte für Lehrer*innenbildung beim Netzwerk EUniWell aktiv, wo er sich im Bereich Teacher Education einbringt.

„Diversität und Inklusivität gehören zu den Grundwerten von EUniWell. Die tatsächliche Anerkennung und gelebte Offenheit für gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt tragen maßgeblich zum Wohlergehen jedes Einzelnen bei und sind wichtige Säulen für eine offene und demokratische Gesellschaft. Unsere Allianz ist daher ganz bewusst durch partizipative und ko-kreative Arbeits- und Leitungsstrukturen gekennzeichnet. So arbeiten im EUniWell-Board neben den Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Hochschulen auch Studierende, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Delegierte aus verschiedenen Fachbereichen zusammen. Um inklusiver zu werden, setzen wir im Bereich der Lehre und auch bei der Vernetzung zu Forschungsthemen unter anderem auf den Ausbau digitaler Angebote, da diese niedrigschwelliger und leichter zu erreichen sind.

Mit der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, mit der ich mich am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Köln beschäftige, tragen wir dazu bei, junge Menschen fit zu machen für eine Schule der Zukunft – bei gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer aktuellen Bedürfnisse und Lebensgeschichten. Gelebte Diversität und Inklusion sind gerade im Lehramtsstudium von entscheidender Bedeutung, schließlich werden die Studierenden eines Tages selbst in diversen Klassenzimmern arbeiten und ganz unterschiedliche Schülerinnen und Schüler auf ihrem jeweiligen Lebensweg begleiten. Wir fördern die internationale Mobilität von angehenden Lehrerinnen und Lehrern sowie die Verbindung von Theorie und Praxis im Hinblick auf reale zukünftige Herausforderungen unter anderem durch Praktika an europäischen Schulen. Zudem bieten wir auch Veranstaltungen zur Entwicklung von Bewältigungsmechanismen zur Stressreduzierung und Coaching-Formate an, um Lehramtsstudierende umfassend und ganzheitlich auf ihrem Weg zur Lehrkraft im Schuldienst zu begleiten. Das ist aus meiner Sicht zentral, wenn es um die tatsächliche Anerkennung von Vielfalt geht.“

EUniWell

Die European University for Well-Being (EUniWell) ist eine Allianz von sieben Europäischen Hochschulen: Linnaeus University (Schweden), Leiden University (Niederlande), University of Birmingham (Großbritannien), University of Cologne (Deutschland), University of Nantes (Frankreich), University of Florence (Italien) und Semmelweis University (Ungarn). EUniWell verfolgt einen ganzheitlichen und handlungsorientierten Ansatz zu „Well-Being”, der das Wohlergehen des Individuums, der Gemeinschaft und der Umwelt in exzellenter Forschung, Lehre sowie mit der und für die Gesellschaft adressiert, um wirkungsvolle und nachhaltige Veränderungen für Studierende und Gesellschaften zu schaffen. Dabei hat sich EUniWell auf gemeinsame Werte verständigt: demokratisch, divers und inklusiv, forschungs- und lösungsorientiert, inter- und transdisziplinär, unternehmerisch und ko-kreativ.

Europäische Hochschulen: Inklusiv und divers

Privat


Carla Albrecht-Hengerer ist als koordinierende Projektmanagerin bei der Allianz EuroTeQ an der Technischen Universität München tätig. In dieser Funktion koordiniert sie inhaltlich die für EuroTeQ relevanten Arbeitsfelder und unterhält den Austausch mit Industriepartnern, anderen Europäischen Allianzen und der Europäischen Kommission.

„Interkulturelles und interdisziplinäres Lernen sowie Chancengleichheit und Zusammenhalt der Gesellschaft sind die Ziele unserer Allianz EuroTeQ Engineering University. Wir fördern innovative Lernformate, die wir als Onlineformate für Studierende der Partneruniversitäten zugänglich machen. Ein gemeinsames „Diversity statement“ ist dabei unsere Basis für ein respektvolles Miteinander. Als Technische Universität liegt unser Fokus auf Innovationsfortschritt mit der und für die Gesellschaft. Die Durchlässigkeit der Bildungswege und die Förderung lebenslanger Bildungsoffenheit sind hierfür wichtige Hebel. Uns liegt daher daran, das Aufeinandertreffen von Lernenden unterschiedlicher Bildungswege, unterschiedlicher Disziplinen und unterschiedlichen Alters zu ermöglichen.

Für die Erreichung dieser Ziele hat EuroTeQ ein projektbasiertes Ausbildungsformat entwickelt, das im Frühjahr 2022 an den sechs Partneruniversitäten in Pilotform durchgeführt wird. Wir haben es „Collider“ genannt, weil darin Studierende, Berufstätige und nach Möglichkeit auch Auszubildende aufeinandertreffen und gemeinsam mit Unterstützung von Industriepartnern an der Entwicklung von Lösungen für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen arbeiten. Darüber hinaus entwickeln wir weitere für sich stehende Kurzzeitlernformate, sogenannte „micro-credentials“. Von ihnen erhoffen wir uns, in spezifischen Themengebieten weiterzubilden, Berufstätige zurück an die Uni zu holen, Studierende mit über das reguläre Studienprogramm hinausgehenden Spezialisierungen zu fördern und Auszubildenden eine Brücke zur Universität zu schlagen. Auch die Einbindung der Industriepartner liegt EuroTeQ besonders am Herzen. Gemeinsam führen wir einen kontinuierlichen Dialog über die sich verändernden Kompetenzen und Anforderungen an Absolventinnen und Absolventen sowie Berufstätige. Alle oben genannten Aktivitäten des Projektes werden wissenschaftlich von einer Arbeitsgruppe evaluiert. So wollen wir Rückschlüsse ziehen, inwiefern EuroTeQ seinen Ansprüchen an Diversität und Inklusion gerecht wird.“

EuroTeQ

Die Allianz EuroTeQ Engineering University ist ein Zusammenschluss der Europäischen Partnerhochschulen Tallinn University of Technology (Estland), Technical University of Denmark (Dänemark), Eindhoven University of Technology (Niederlande), École Polytechnique (Frankreich), Technical University of Munich (Deutschland) und Czech Technical University in Prague (Tschechische Republik). Die Allianz verfolgt das Ziel, über Disziplinen, Ländergrenzen und Institutionen hinweg ein zukunftsfähiges ingenieurwissenschaftliches Studienangebot aufzubauen. Dabei will EuroTeQ Technologieentwicklung in einer neuen Weise ganzheitlich betrachten, alle relevanten Akteurinnen und Akteure einbinden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa stärken.

Sabine Moser (30. November 2021)

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