Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

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Am 26. September wählte Deutschland den 20. Deutschen Bundestag.

Internationale Deutschland-Expertinnen und -Experten erlebten die Abschlussphase des Bundestagswahlkampfes auf Einladung des DAAD aus nächster Nähe. Dabei standen Besuche in wissenschaftlichen Einrichtungen und Begegnungen mit Politikerinnen und Politikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten im Vordergrund. Die Wahlbeobachterreise wurde aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (AA) gefördert. Welche Begegnungen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders inspiriert, und wie werden sie die gewonnenen Erkenntnisse nutzen? 

Der diesjährigen Bundestagswahl kam durch das Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel ein historischer Charakter zu. Für die internationale Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten, die auf Einladung des DAAD einen differenzierten Blick auf die letzten Tage des Wahlkampfes werfen konnten, war dieser Deutschlandbesuch sehr aufschlussreich und teilweise auch überraschend. Denn die zwölf Teilnehmenden erhielten während der DAAD-Wahlbeobachterreise vom 21. bis 27. September nicht nur einen direkten Einblick in die Wahllokale und den deutschen Wahlprozess, sondern hatten im Vorfeld Gelegenheit, ein Gefühl für den gegenwärtigen Zustand der Bundesrepublik zu entwickeln und deren wichtigste (Zukunfts-)Themen kennenzulernen. Dafür besuchten sie zum Beispiel die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle und das dortige Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, trafen Bundestagskandidatinnen und -kandidaten verschiedener Parteien und knüpften Kontakte zum ARD-Hauptstadtstudio.

Im Vorfeld der Reise hatten einige Teilnehmerinnen, unter anderem aus den USA, Frankreich und Israel, zwei Fragen beantwortet, die auf ihre persönliche Beziehung zu Deutschland und ihre Erwartungen an die Reise abzielten. Im Nachgang der Reise erläutern sie nun, welche Begegnungen sie besonders bewegt haben und wie sie die gewonnenen Erkenntnisse nutzen werden.

Prof. Dr. Atsuko Kawakita, Historikerin, University of Tokyo

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

privat

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich bin Deutschlandhistorikerin. Seit Jahren unterrichte ich an japanischen Universitäten Neuere und Neueste Geschichte Deutschlands, und seit April 2020 bin ich Direktorin am Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der Universität Tokyo (DESK). Das DESK ist eines der 20 Exzellenzzentren, die weltweit mithilfe der Förderung des DAAD eingerichtet wurden und sich mit der Forschung und Ausbildung im Bereich der Deutschland- und Europastudien sowie der Öffentlichkeitsarbeit für Deutschland beschäftigen.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Es sind gleich mehrere Aspekte, die ich sehr interessant finde. Vor allem die Frage, wie die politische Landschaft Deutschlands nach Angela Merkel aussehen wird: Wie entscheiden die Deutschen nach 16 Jahren Stabilität unter Merkel über die weitere politische Entwicklung ihres Landes? In diesem Zusammenhang finde ich es spannend, wie viel Unterstützung die Grünen und die AfD von den Wählern erhalten werden. Themen, die auch viele Japaner interessieren, sind das Zusammenleben mit Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten, die Unterschiede zwischen Ost und West 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sowie die unterschiedlichen Meinungen und die Konsensbildung bezüglich der Covid-19-Pandemie in Deutschland. In Japan herrscht Politikverdrossenheit und Abscheu gegenüber allem Politischen, vor allem in jüngeren Generationen. Ich bin deshalb sehr neugierig, ob vor allem jüngere Leute in Deutschland Interesse an der Wahl zeigen.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
Das Programm der Wahlbeobachterreise war so spannend und inspirierend, dass es mir schwerfällt, nur einen einzigen Moment zu nennen. Wenn ich wählen müsste, dann waren es wohl die Begegnungen und Gespräche mit den Kandidatinnen und Kandidaten. Ich fand es beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund kandidieren und dass die Diversität in Deutschland sowohl in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter als auch auf die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund schon so deutlich sichtbar realisiert ist.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, und wie werden Sie diese nutzen? 
Ich habe erfahren, dass in Deutschland von verschiedenen Wahlplakaten über Fernsehprogramme bis hin zu Projekten der Bundes- und Landeszentrale für politische Bildung viele Anstrengungen unternommen werden, um Bürgerinnen und Bürger über politische Themen zu informieren und zur Teilhabe zu motivieren. Das bildet neben einem kompetenten Journalismus eine unverzichtbare Grundlage der Demokratie. In meiner Bildungsarbeit möchte ich darauf hinwirken, dass solche demokratischen Grundlagen auch in Japan gestärkt werden.

Rückblick auf die Bundestagswahl: Prof. Dr. Atsuko Kawakita beim Lunchtalk des DWIH Tokyo

Prof. Dr. Corine Defrance, Historikerin, Centre national de la recherche scientifique, Université de Paris 1-Panthéon-Sorbonne

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Ladan Rezaeian

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich habe sowohl eine starke berufliche als auch eine persönliche Beziehung zu Deutschland. Als Historikerin interessiere ich mich besonders für die Akteure und Prozesse der Annäherung und Versöhnung sowie die deutsch-französischen Bindungen. Anfang der 1990er Jahre kam ich regelmäßig für längere Aufenthalte nach Deutschland, zunächst nach Mainz und später nach Bonn als Postdoc-Stipendiatin. 2011/2012 wurde ich als Gastprofessorin an die Freie Universität Berlin eingeladen. Dort hat es mir dann so gut gefallen, dass mein Partner und ich seitdem eine Wohnung in Berlin haben. Mein Mann ist Deutscher – und gleichzeitig französischer Beamter. Wir arbeiten und leben zwischen beiden Ländern, zwischen beiden Sprachen. Paris, Mainz, Berlin: Das sind unsere wichtigsten Ankerpunkte. In den letzten zwei Jahren haben wir wegen der Coronakrise fast ausschließlich in Deutschland gelebt.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Erstmal habe ich mich sehr über diese Einladung gefreut – ich wusste nicht, dass der DAAD ausländische Gäste zu einer Wahlbeobachterreise einlädt. Das Wort „Wahlbeobachtung“ lässt erst einmal an UN-Missionen denken, an Länder im demokratischen Wandel. Das Prinzip, Ausländerinnen und Ausländer zur Wahlbeobachtung einzuladen, um das deutsche System und die aktuellen Herausforderungen in Deutschland besser zu verstehen und mit Akteuren und Experten zu diskutieren, ist an sich schon eine faszinierende Idee. Persönlich freue ich mich besonders auf die Treffen mit den Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien, die Teilnahme an unterschiedlichen Wahlkampfveranstaltungen und auf die Bundestagswahl selbst am 26. September, mit der Feldbeobachtung in den Wahllokalen und dem Wahlabend in den Parteizentralen. Thematisch interessiere ich mich wahrscheinlich am meisten für die Fragen von Wissenschaft, Integration, Ökologie und auch für die Reflexion über die Herausforderungen der Pandemiekrise.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
An dieser Reise teilnehmen zu dürfen, war eine einmalige Chance! Besonders geschätzt habe ich die Begegnungen mit den Kandidatinnen und Kandidaten und die Teilnahme an Wahlveranstaltungen, die für uns aus dem Ausland schwerer zugänglich sind. In Halle hat mich beeindruckt, dass zwei der drei Direktkandidatinnen und -kandidaten, die ich getroffen habe, im Ausland geboren sind. Hochinteressant war auch die Debatte über internationale Politik im Internationalen Club des Auswärtigen Amtes. Hier konnten wir über Themen diskutieren, die von den Kandidatinnen und Kandidaten sowie den Parteien im Wahlkampf kaum angesprochen wurden.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, und wie werden Sie diese nutzen?
Die Tatsache, dass es unterschiedliche Empfindlichkeiten zwischen Ost und West sogar innerhalb jeder einzelnen Partei gibt, war mir vorher nicht so bewusst. Dank des Austauschs mit Kolleginnen und Kollegen, die andere Perspektiven einbrachten, ermöglichte mir die Reise auch einen besseren Vergleich der Situation in Deutschland mit der in anderen Ländern. In Frankreich finden im nächsten Frühjahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, und die Zukunft der Beziehungen zwischen den beiden Staaten, aber auch die Europas, wird von diesen Wahlen in unseren Ländern stark beeinflusst. Meine neuen Erkenntnisse werden sofort in meinen Unterricht und in öffentliche Vorträge einfließen. In Frankreich ist das Interesse an den deutschen Wahlen groß, die Situation wird weiterhin aufmerksam verfolgt – und es gibt viele Fragen und Erwartungen an das deutsch-französische Tandem, den Bilateralismus und an die Zukunft Europas.

Prof. Gisela Dachs, Sozialwissenschaftlerin, DAAD Center for German Studies, Hebrew University, Jerusalem

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Hebrew University

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich bin in Bayern aufgewachsen, habe das Land aber nach dem Abitur für acht Jahre in Richtung Paris verlassen und danach als Erwachsene nur vier Jahre in Deutschland gelebt – als politische Redakteurin bei der „ZEIT“ in Hamburg. Mein Blick auf das Land ist daher seit langem eher einer von außen, auch wenn mir als Journalistin und Wissenschaftlerin vieles seit jeher stets vertraut geblieben ist.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Mich interessieren alle Themen, die den Wandel betreffen, dem sich Deutschland entweder bereits unterzogen hat, etwa bei Migrationsfragen, oder der weiterhin ansteht, zum Beispiel in der Digitalisierung. Das betrifft ebenso die politische Kultur, auf die ich sehr gespannt bin und die hoffentlich in den direkten Gesprächen mit den Abgeordneten fassbar wird.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
Unsere Reise war gespickt mit vielen interessanten Begegnungen. Auf eher unerwartete Weise hat mich aber der Vormittag im IASS, dem Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, besonders nachhaltig beeindruckt. Es ging dabei unter anderem um die Frage, wie sich Transformationsprozesse gesellschaftlich durchsetzen lassen oder eben von renitenten Bürgerinnen und Bürgern ausgebremst werden. Die Lausitz bot hierfür ein anschauliches Beispiel. Ergänzt durch einen theoretischen Vortrag über systemische Risiken, hat dieser Programmpunkt mich inspiriert, tiefer über die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Bereitschaft zu Veränderungen nachzudenken – insbesondere in den neuen Bundesländern, aber auch weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, und wie werden Sie diese nutzen?
Das intensive Eintauchen in die gesamtdeutschen Verhältnisse 2021 lässt mich auf ein Land mit stark geschrumpften Volksparteien blicken, das also einerseits fragmentierter geworden ist, aber sich auch klar mehrheitlich für die vier Parteien im Zentrum entschieden hat, während die Ränder an Stimmen verloren haben. Die politische Kultur des ruhigen Streitens und des nun notwendigen Zusammenfindens von drei Parteien wird jetzt ein „Dissent-Management“ erfordern, das sich von dem bisherigen Konsensmodell unterscheidet.
Der intellektuelle Input, den mir die Reise gegeben hat, wird sich zweifellos in meinem Unterricht an der Universität niederschlagen, ebenso wie in akademischen und öffentlichen Veranstaltungen sowie in verschiedenen israelischen Medien, die mich regelmäßig zum Thema Deutschland interviewen. Darüber hinaus werde ich das neu entstandene Netzwerk nutzen, um Gastvorträge und Konferenzen zu organisieren. An Ideen fehlt es nicht.

Prof. Dr. Hope M. Harrison, Historikerin, The George Washington University, Washington, D.C.

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Colette Kent


 

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Ich habe eine sehr enge Beziehung zu Deutschland, Berlin ist quasi meine zweite Heimat. Seit mehr als 30 Jahren reise ich fast jedes Jahr dorthin, und ich habe mehrmals in Berlin gewohnt – für ein Jahr oder mehrere Monate. Meine Freunde in Berlin sind wie eine Familie für mich. Diese lange Beziehung zu Berlin hat vor allem berufliche Wurzeln: Ich habe zwei Bücher über die Berliner Mauer geschrieben. Schon seit mehr als 20 Jahren gebe ich einen Kurs über „Deutschland von 1945 bis in die Gegenwart“, deshalb beobachte ich die Entwicklungen in Deutschland immer sehr intensiv.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Ich interessiere mich besonders für die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen den alten und neuen Bundesländern. Ich habe mich lange mit dem Kalten Krieg und der DDR beschäftigt und mit den Auswirkungen dieser Zeit auf die Gegenwart.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
Mich als Amerikanerin hat vor allem die Elefantenrunde inspiriert – was für viele Deutsche vielleicht unverständlich ist. Aber in den Vereinigten Staaten ist unsere politische Landschaft leider völlig polarisiert. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn unsere Hauptwahlkandidatinnen und -kandidaten gleich am Wahlabend zusammentreffen würden – die würden sich nur anschreien. Dass die Spitzenpolitikerinnen und -politiker sich so professionell verhalten, hat mich schon ein wenig neidisch auf die Deutschen gemacht. Ich fand es so zivilisiert. Wunderbar und gegen alle Stereotypen fand ich auch, dass ein schwarzer Politiker im Osten, Karamba Diaby in Sachsen-Anhalt, für eine zweite Amtszeit in den Bundestag gewählt wurde.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, und wie werden Sie diese nutzen?
Eigentlich habe ich so viel auf dieser Reise gelernt, dass es gar nicht möglich ist, alles kurz zu summieren. Hier in Washington habe ich schon mehrere Vorträge über die Wahlen gehalten, die voller neuer Erkenntnisse und Eindrücke sind. Zwei Dinge würde ich trotzdem hervorheben: Durch das Treffen mit verschiedenen Wahlexpertinnen und -experten habe ich gelernt, das deutsche Wahlsystem viel besser zu verstehen – auch dass etwa 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Erst- und Zweitstimme aufspalten. Eine Freundin von mir war Leiterin eines Wahllokals in Berlin. Sie hat mir viel über die Stimmzettelprobleme in der Hauptstadt erzählt. Dass es solche Probleme auch in Deutschland und nicht nur in den Vereinigten Staaten gibt, war eine Überraschung für mich – und wahrscheinlich auch für die Wählerinnen und Wähler in Berlin.

Prof. Kristina Spohr, Historikerin, London School of Economics and Political Science

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Dermot Tatlow, PenguinRandomhouse

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Das Rheinland – Düsseldorf – ist meine alte Heimat, und die Geschichte der deutschen Außenpolitik des 20. und 21. Jahrhunderts im globalen Kontext eines meiner zentralen Forschungsfelder. Dabei war ich schon immer an bundesdeutscher Politik im Sinne von politics and policy, leadership and governance interessiert – aufgrund meiner deutsch-finnischen Wurzeln auch immer aus der Außenperspektive.  

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Speziell reizt mich der Besuch in Halle, weil ich die Stadt noch nicht kenne. Ich bin gespannt, welcher Blick sich von dort auf die Entwicklung und Perspektiven der deutschen Industrie sowie der Weltwirtschaft auf dem Weg aus der Coronakrise heraus eröffnet. Ich freue mich auch, mehr über die Sicht der Leopoldina zu erfahren und darüber, wie und inwieweit Wissenschaft für Politik und Gesellschaft nutzbar gemacht werden kann. Dazu gehört für mich auch die Frage, wie man das Augenmerk der Politikerinnen und Politiker noch stärker auf die Notwendigkeit des Aneignens wissenschaftlicher Erkenntnisse lenken kann.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
Am inspirierendsten fand ich die Begegnungen mit den Wahlkandidatinnen und -kandidaten der SPD, FDP und CDU in Halle. Mit ihnen in der historischen Altstadt zu diskutieren, mehr über ihre Herkunft (Senegal, Ukraine und Sachsen-Anhalt), ihre Wahlprogramme und -ziele zu erfahren, sie beim Rundgang von Haus zu Haus zu begleiten – all das war atmosphärisch gesehen großartig. Ein besonderer Höhepunkt war letztlich das Miterleben der Wahlveranstaltungen der Linken auf dem Alexanderplatz und der Freien Demokraten bei der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin: Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten vor ihrer jeweiligen Anhängerschaft in Aktion zu sehen, sie zu beobachten, die Stimmung aufzusaugen, sie anzusprechen und mit ihnen zu diskutieren, war etwas ganz Außergewöhnliches. All das direkt mitverfolgen zu können, umgeben von unheimlich interessanten Kolleginnen und Kollegen sowie Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt, von Brasilien bis Japan – das war unglaublich stimulierend und einmalig! 

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen und wie werden Sie diese nutzen?
Ich habe so viel gelernt und Detailkenntnisse erworben – von ökologischer Stadtplanung über Steuerpolitik und grüner Außenpolitik bis zu den bildungspolitischen Zielen der AfD. Nach dem Wahlabend habe ich gleich mehrere Interviews geben können, mit einer viel klareren Sicht auf die momentane politische Lage Deutschlands und die gesellschaftlichen Verschiebungen, die das Wahlergebnis auch widergespiegelt hat. Die Reise hat mich in meiner Beobachtung bestärkt, dass in der Langeweile wie auch in der Heterogenität die Stärke und Robustheit der bundesdeutschen Demokratie liegt. Das tiefe Eintauchen in das politische Geschehen Deutschlands vor Ort, in Berlin und Umland, sowie der Aufbau eines neuen DAAD-Kollegennetzwerks wird mich die nächste Zeit weiter beflügeln – in meiner Forschung und im Austausch mit meinen Studierenden sowie Kolleginnen und Kollegen. Es waren wirklich wertvolle Tage!

Leila Sterenberg, Journalistin, TV Globo, Rio de Janeiro

Die DAAD-Wahlbeobachterreise 2021

Persönliches Archiv

Fragen vor der Reise: persönliche Beziehung zu Deutschland und Erwartungen

Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland?
Die Muttersprache meines Vaters war Jiddisch. Und weil ich mich schon früh für die deutsche Kultur und Geschichte interessiert habe, lernte ich als Mädchen auch die deutsche Sprache. Dadurch konnte ich dreimal nach Deutschland reisen – zuletzt 2014 – und einige Persönlichkeiten interviewen: etwa den Schauspieler Daniel Brühl, den Schriftsteller Bernhard Schlink oder den Politiker Frank-Walter Steinmeier. Auch persönlich bin ich Deutschland noch stark verbunden: Ich habe Freunde und Freundinnen dort und einige Male auch schon meinen Urlaub in Deutschland verbracht – zuletzt 2019, als ich am Berlin-Halbmarathon teilgenommen habe.

Welcher Themenaspekt der Reise interessiert Sie am meisten – und warum?
Die Bundestagswahl in diesem Jahr ist sehr wichtig für Deutschland und die Welt, weil sie das Ende der Merkel-Ära markiert. Für mich ist die spannendste Frage: Welche Koalition wird die Bundesregierung bilden? Rot-Rot-Grün oder eine Ampelkoalition werden unterschiedliche Folgen für die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft und für die internationalen Beziehungen nach sich ziehen – vor allem in einem Moment so vieler gemeinsamer Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemie, Terrorismus und Migration. Für eine Reporterin ist es natürlich sehr wertvoll, einen wichtigen zeitgeschichtlichen Moment wie diese Bundestagswahl vor Ort zu beobachten und zu erleben.

Welche Begegnung beziehungsweise welcher Moment der Reise hat Sie am meisten bewegt oder inspiriert – und warum?
Für mich war es sehr interessant, die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien zu treffen. Auch die Gelegenheit, Veranstaltungen der Parteien im Wahlkampf zu besuchen, war sehr wertvoll für mich. 

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, und wie werden Sie diese nutzen?
Ich habe durch die Reise das deutsche politische System noch viel besser kennengelernt und verstanden. Das ist natürlich sehr nützlich und hilfreich für meine Arbeit als Journalistin.

Torben Dietrich (7. Oktober 2021)