„Wir bringen Expertinnen und Experten zusammen“

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Die Welt blickt derzeit nach Japan, weil in Tokyo die Olympischen Spiele 2021 ausgetragen werden. Ein guter Anlass, um die Aktivitäten des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) Tokyo in den Fokus zu rücken. Axel Karpenstein, Programmkoordinator des DWIH Tokyo, über den Umgang mit COVID-19, spannende Kooperationen und die Rolle der japanischen Sprache.

Herr Karpenstein, womit beschäftigt sich das DWIH Tokyo in seiner täglichen Arbeit? Und welche landespezifischen Herausforderungen begegnen Ihnen dabei insbesondere?
Wir sind als DWIH in Tokyo einerseits das Schaufenster der deutschen Forschungs- und Innovationslandschaft und bewerben deutsche Forschungs- und Innovationstätigkeiten vor Ort. Andererseits sind wir eine Plattform für die internationale Vernetzung speziell zwischen Deutschland und Japan. Um die zu erreichen, organisieren wir eine Vielzahl von Veranstaltungen gemeinsam mit unseren Unterstützern und Partnern. Auf deutscher Seite sind das Organisationen mit einer Vertretung in Japan sowie deutsche Hochschulen ohne Sitz vor Ort. Zu unseren japanischen Partnern gehören die Wissenschafts- und Förderorganisationen, Ministerien sowie führende Universitäten. Bei dem Schwerpunktthema Künstliche Intelligenz (KI), zu dem wir schon seit 2018 Symposien veranstalten, ist auch die französische Botschaft ein wichtiger Partner. Corona hat uns natürlich vor Herausforderungen gestellt, da wir in dieser Zeit wenig Präsenzveranstaltungen abhalten konnten. Gerade in Japan spielen der persönliche Kontakt und der regelmäßige Austausch eine große Rolle. Es dauert lange, bis man wirklich vernetzt ist, aber dann entstehen daraus sehr gute und zuverlässige Beziehungen. Bisher haben wir das ganz gut kompensiert und geeignete Formate für die Pandemiezeit entwickelt. Das trilaterale KI-Symposium 2020 fand beispielsweise in einer virtuellen, immersiven Welt statt. Unsere neue Webtalk-Reihe DWIH Coffee Talk bringt führende Forscherinnen und Forscher aus beiden Ländern zusammen, bewirbt bestehende Kooperationsprojekte und rückt sie ins Licht der Öffentlichkeit. 

„Wir bringen Expertinnen und Experten zusammen“

Lichtenscheidt/DAAD

Japan-Kenner Axel Karpenstein, Programmkoordinator des DWIH Tokyo.

Im Juni hat das DWIH Tokyo auch ein virtuelles Symposium zu den Folgen der Pandemie veranstaltet. Wie geht das Land mit COVID-19 um, und wie ist die aktuelle Situation?
Japan hat 2020 schnell reagiert, die Grenzen geschlossen und die Bürgerinnen und Bürger zur Vorsicht angemahnt. Tatsächlich gab es in Japan keinen harten Lockdown wie in Deutschland. Die Regierung hat zwar mehrmals den Notstand ausgerufen, doch die Menschen reagieren eher über den sozialen Druck im Alltag. Auch Maßnahmen wie das Tragen von Masken oder eine verminderte Reisetätigkeit setzt die Bevölkerung ohne gesetzliche Regeln in Eigenverantwortung um. Dadurch sind die Infektionszahlen vergleichsweise gering geblieben, ebenso die Todesfälle: Bis Ende Juli starben in Japan circa 15.000 Menschen, im Vergleich zu über 90.000 in Deutschland. Der Impfstart verlief zunächst schleppend, was auch kritisiert wurde, aber inzwischen – Anfang August – sind knapp 40 Prozent der Bevölkerung zum ersten Mal geimpft. Die wirtschaftlichen Auswirkungen haben viele Geschäfte und Unternehmen stark getroffen. Darunter leiden vor allem junge Frauen, von denen viele im Dienstleistungssektor arbeiten. In dieser Gruppe ist auch die Zahl der Selbstmorde in die Höhe geschossen. Ebenso stecken viele Studierende in finanziellen Schwierigkeiten, weil ihre Jobs weggefallen sind. Das Studium findet online oder hybrid statt, was vermehrt zu Vereinsamung und mentalen Problemen führt. Den psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie haben wir das erwähnte Online-Symposium im Juni gewidmet. Viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher und die sinkende Geburtenrate könnten in naher Zukunft zum Problem für Hochschulen werden, da sie bald mit einer sinkenden Studierendenzahl zurechtkommen müssen. Auch die Zahl internationaler Studierender ist derzeit stark rückläufig. 

Können Sie ein Beispiel für eine aktuelle Kooperation nennen, die Sie besonders spannend finden?
Ein sehr gutes Beispiel ist die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Japan für die Reihe der Symposien zu KI und deren gesellschaftlichen Implikationen – ein Thema, das in den beteiligten Ländern für viele Forschungsbereiche sehr relevant ist. Im vergangenen Jahr waren 100 Referentinnen und Referenten dabei sowie über 1.000 Teilnehmende. Durch diese drei Jahre währende Kooperation ist eine sehr gute Zusammenarbeit und ein großes Interesse entstanden. Unsere japanischen Partner haben sich stark dafür eingesetzt, dass wir im nächsten Jahr wieder ein Symposium organisieren, und übernehmen dafür die Leitung. Der Fokus wird auf der Frage liegen, wie sich globale Probleme im Anthropozän durch KI lösen lassen. Das Thema Künstliche Intelligenz greifen wir auch in unserem Coffee Talk auf.

„Wir bringen Expertinnen und Experten zusammen“

DAAD

Im OAG-Haus, dem Gebäude der Ostasiatischen Gesellschaft in Tokyo, befinden sich das DWIH und die DAAD-Außenstelle.

Wie können deutsche Hochschulen und andere Innovationsträger von der Zusammenarbeit mit dem DWIH Tokyo profitieren?
Ganz einfach: Wir bringen Expertinnen und Experten zusammen. Denn zu den Stärken des DWIH gehört, dass es ein zentraler Knotenpunkt der Vernetzung von deutschen und japanischen Hochschulen sowie innovativen Einrichtungen ist. Wir stehen in engem Austausch mit den wichtigsten Forschungs- und Förderorganisationen, den führenden Hochschulen sowie der Politik in Japan. Das ermöglicht es den deutschen Hochschulen sehr gut, sich hier selbst zu vernetzen. Gleichzeitig informieren wir durch unsere Veranstaltungen und Medien über wichtige Entwicklungen in der japanischen Forschungs- und Innovationspolitik sowie über interessante Wissenschaftsprojekte. Es lohnt sich, unsere Informationskanäle zu abonnieren!

Welche Rolle spielt bei Kooperationen der Unterschied zwischen der deutschen und der japanischen Sprache?
Die Sprache spielt eine immens wichtige Rolle, denn sie ist Ausdruck der kulturellen Gepflogenheiten und etablierten Umgangsformen. In Deutschland sind wir sehr direkt, das geht hier nicht, da es sehr unhöflich wäre. Das heißt aber nicht, dass in Japan nicht klar gesagt wird, was man meint – man muss nur die Nuancen kennen. Die japanische Sprache verfügt über ein sehr komplexes System, Höflichkeit, Ehrerbietigkeit und Bescheidenheit auszudrücken. Dagegen wirkt die Unterscheidung von „Du“ und „Sie“ im Deutschen geradezu einfach. Deswegen ist es entscheidend, dass alle in unserem Team beide Sprachen sprechen. Ohne diese Sprachkenntnisse würde sicher manche Tür verschlossen bleiben.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was fasziniert Sie am meisten am Land der aufgehenden Sonne?
Unsere beiden Länder verbinden eine ähnliche moderne Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg und viele gemeinsame Grundwerte. Deutschland und Japan sind Demokratien, große Industrieländer und führende Forschungsnationen, wir haben ein hervorragendes Bildungssystem und sind sehr engagiert in der internationalen Zusammenarbeit. Trotz dieser Gemeinsamkeiten beeindruckt mich auch nach 20-jähriger Erfahrung im Land, dass der kulturelle Unterschied zwischen Deutschland und Japan teilweise sehr hoch ist. Im gesellschaftlichen Miteinander läuft vieles doch ganz unterschiedlich. Man macht sich viele Gedanken, was die anderen von einem denken und welche Konsequenzen dies für einen hat. In der Literatur wird das manchmal als „Schamkultur“ bezeichnet. Zudem begeistert mich immer wieder das Japan fernab der Metropolen. Die Leute dort sind sehr herzlich und umgänglich, die Natur ist wunderschön. Es gibt in Japan mehrere „heilige Berge“, die früher von Berg-Asketen verehrt und zur spirituellen Entwicklung durchwandert wurden. Diese Faszination für die gewaltige japanische Szenerie kann ich gut nachvollziehen. 

Britta Hecker (5. August 2021)

Zur Person

Axel Karpenstein war schon als 17-jähriger Austauschschüler in Japan und hat inzwischen über 20 Jahre im Land gelebt, gelernt und gearbeitet, unter anderem als Stipendiat des DAAD und als Professor für Internationale Politik und Wirtschaft an der Saitama-Universität im Großraum Tokyo. 2017 kam der studierte Japanologe und Sinologe zum DAAD nach Bonn, wo er im Referat für Forschung und Studien verschiedene Projekte betreute, unter anderem eine Innovationsanalyse Asiens und den HSI-Monitor. Ende 2020 kehrte er als Programmkoordinator des DWIH Tokyo nach Japan zurück.