„Der Kampf gegen Antisemitismus ist keine jüdische Aufgabe, sondern die Aufgabe der gesamten Gesellschaft“

BMI

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Dr. Felix Klein.

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, hat auf einer DAAD-Alumni-Veranstaltung in der Villa Vigoni am Comer See zum Thema „Antisemitismus in Deutschland und Italien“ gesprochen. Der promovierte Jurist plädiert dafür, antisemitische Denkmuster in der Gesellschaft als Tatsache zu akzeptieren, um sie wirksam bekämpfen zu können.

Herr Dr. Klein, Sie sind der Erste, der das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus ausübt. Inwieweit konnten Sie dieses neue Amt, das Sie 2018 angetreten haben, bereits etablieren? 
Es ist in den letzten drei Jahren gelungen, grundlegende Strukturen zu schaffen, die es uns jetzt ermöglichen, strategischer im Kampf gegen Antisemitismus vorzugehen. Dazu zählt etwa eine Bund-Länder-Kommission, denn viele der Maßnahmen, um die es in meinem Amt geht, fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder – wie innere Sicherheit und Bildung. Wir haben auch einen Expertenkreis eingerichtet, der die Bundesregierung dauerhaft berät im Kampf gegen Antisemitismus. 

Sie haben sich auch für die Erforschung von Antisemitismus stark gemacht.
Ja, ich habe zusammen mit der Bundesbildungsministerin eine Forschungsförderung auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, mehr über Antisemitismus in Erfahrung zu bringen. Für die Antisemitismusforschung stehen jetzt immerhin zusätzlich zwölf Millionen Euro zur Verfügung. Das Besondere an dieser Forschungsrichtlinie ist, dass nun interdisziplinäre Verbundprojekte viel stärker gefördert werden sollen. Die Erforschung von Antisemitismus betrifft viele Disziplinen, darunter Theologie, Soziologie, Politikwissenschaft und natürlich Geschichte. Ich freue mich schon auf die ersten Ergebnisse. 

Wie blicken Sie auf die letzten drei Jahre zurück, die leider auch durch schwere Straftaten in diesem Bereich geprägt waren, bis hin zu Bezügen in die sogenannte „Querdenker-Szene“?
Ja, das ist erschreckend. Und es ist ein neues Phänomen, dass bei den Querdenkern Menschen aus Milieus zusammengewirkt haben, die normalerweise nie etwas miteinander zu tun hätten. Wer auf eine Demonstration geht, weil er unzufrieden ist, darf das natürlich gern tun. Aber hier gab es Menschen, die offenbar aus der Mitte der Gesellschaft kommen und nichts gegen solche Straftaten unternommen haben. Auf solchen Demos fanden Relativierungen des Holocausts statt, zum Beispiel als sich Demonstrierende in unsäglicher Art und Weise der gelben Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ als Protestsymbol bedient haben. Das empfinde ich als bedrohlich. Wir müssen mit allen Mitteln dagegen vorgehen, dass dieses Verhalten akzeptiert wird.  

Sie haben gerade auf der DAAD-Alumni-Veranstaltung des italienischen Alumnivereins ADIT zum Thema „Antisemitismus in Deutschland und Italien“ gesprochen. Warum ist es sinnvoll, diese beiden Länder gemeinsam zu betrachten?
Internationale Kooperationen im Kampf gegen Antisemitismus sind sehr wichtig, denn der Hass macht nicht an der Grenze halt. Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene und weltweit dagegen Allianzen schmieden. Aber auch die bilaterale Zusammenarbeit ist ganz entscheidend. Gerade Deutschland und Italien mit ihrer nationalsozialistischen beziehungsweise faschistischen Vergangenheit sind Länder, die im Kampf gegen Antisemitismus und im Umgang mit Angriffen auf die Erinnerungskultur gut voneinander lernen können. Beide Länder stehen vor der Aufgabe, eine Erinnerungskultur zu entwickeln, die vor allem junge Menschen anspricht.

Ein bereits umgesetztes Projekt von Ihrer Behörde ist RIAS, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, bei der auch antisemitische Vorfälle gemeldet werden können, die nicht unter Strafe stehen. Worum geht es hierbei genau?
Hier geht es um die Sichtbarmachung von Antisemitismus, indem nicht nur die Straftaten, sondern eben auch alle Fälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfasst werden. Damit schaffen wir eine gute präventive Grundlage im Kampf gegen Antisemitismus und können den Betroffenen helfen. Es geht um die Pöbeleien im Alltag, die verletzenden Sprüche in der U-Bahn oder am Arbeitsplatz, die die Lebensqualität jüdischer Menschen entscheidend einschränken. Die Straftaten sind nur die Spitze des Eisberges. Diese müssen natürlich bekämpft werden, aber sie sind nicht das, was die große Mehrheit der jüdischen Menschen in Deutschland erlebt. Es ist wichtig, diesen Antisemitismus im Alltag sichtbar zu machen und die Menschen zu ermutigen, von solchen Ereignissen auch auf unserem Onlineportal zu berichten. Zudem war es unserer Meinung nach notwendig, dies zivilgesellschaftlich zu organisieren und nicht unmittelbar an jüdische Gemeinden anzudocken. Der Kampf gegen Antisemitismus ist schließlich keine jüdische Aufgabe, sondern die Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Da kann ich nur immer wieder appellieren an jeden, der das erfährt oder mitbekommt, dagegenzuhalten.

Müssen beziehungsweise dürfen wir uns damit abfinden, dass antisemitische Denkmuster offenbar ein Teil unserer Kultur sind?
Der beste Ausgangspunkt für eine Strategie gegen Antisemitismus ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, um aufzuzeigen, wie geprägt unsere Kultur von antisemitischen Narrativen ist. Nur wenn wir uns das verdeutlichen und eingestehen, können wir umfassend dagegen vorgehen. 

In Deutschland ist der Bundestagswahlkampf in vollem Gange. Wollen Sie Ihr Amt weiterführen nach der Wahl?
Ja, auf jeden Fall. Aber natürlich muss ich als Bundesbeauftragter von der nächsten Bundesregierung in meinem Amt bestätigt werden. Wenn das passiert, würde ich in der nächsten Legislaturperiode noch stärker den Aspekt jüdisches Leben in den Mittelpunkt stellen. Denn ich bin ja nicht nur Beauftragter im Kampf gegen Antisemitismus, sondern auch für etwas. Bei der Schaffung des Amtes 2018 hat die Bundeskanzlerin großen Wert darauf gelegt, dass wir die Normalität jüdischen Lebens als integralen Bestandteil unserer Realität noch stärker herausstellen. Dies hat kürzlich auch die UNESCO-Kommission bestätigt, indem sie die sogenannten SchUM-Stätten Mainz, Worms und Speyer als Wiege des europäischen Judentums zum Welterbe erklärt hat. Das wiederum scheint mir auch ein gutes Mittel im Kampf gegen Antisemitismus zu sein: dass jüdisches Leben nicht als etwas Andersartiges, Fremdes wahrgenommen wird, sondern als Teil unserer deutschen und europäischen Kultur. 

Klaus Rathje (30. Juli 2021)

Zur Person

Dr. Felix Klein ist seit Mai 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Zuvor war der promovierte Jurist als Diplomat im Einsatz, unter anderem an der deutschen Botschaft in Jaunde, Kamerun, und im Generalkonsulat in Mailand, Italien, sowie bis 2018 im Auswärtigen Amt tätig – zuletzt als Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen.

Weitere Informationen

Die Antisemitismus-Veranstaltung wurde von DAAD-Alumnus Prof. Sandro M. Moraldo organisiert. Sie fand als hybrides Angebot über zwei Tage statt: mit rund 20 Alumni in der Villa Vigoni am Comer See und Zuschaltungen per Videokonferenzsystem. Sandro M. Moraldo ist Vorsitzender des Vereins Alumni DAAD Italia (ADIT), der im vergangenen Jahr begonnen hat, digitale Veranstaltungen im 90-Minuten-Format anzubieten. Im Fokus standen 30 Jahre deutsche Wiedervereinigung, unter anderem mit dem Deutschen Botschafter in Rom, Viktor Elbling, und mit Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“.