Aufbruchstimmung: Akademischer Wiederaufbau im Irak

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Universität in Bagdad: Trotz aller Schwierigkeiten gibt es beim akademischen Wiederaufbau im Irak erste Erfolge zu verbuchen.

Die negativen Folgen von Krieg, Terror und politischer Instabilität sind im Irak bis heute auch im Hochschulsektor spürbar. Doch erste positive Entwicklungen zeichnen sich ab. Auch das Interesse an einem Studium im Ausland und internationalen Partnerschaften ist groß. 

Die vergangenen Jahrzehnte im Irak waren geprägt von Kriegen, Terror und politischer Instabilität: von den Golfkriegen in den 1980er Jahren und zu Beginn der 1990er Jahre, über die US-geführte Militärinvasion 2003 bis hin zum Versuch des „Islamischen Staates“, mit Gewalt und Repression ein islamistisches Unrechtsregime aufzubauen. Abgesehen von den zahllosen Todesopfern, der Vertreibung Hunderttausender Menschen und der Zerstörung von Städten und Infrastruktur wurde auch die Hochschul- und Forschungslandschaft nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Studien- und Forschungsvorhaben wurden unterbrochen oder gänzlich unmöglich gemacht, Labore und Bibliotheken zerstört, Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermordet, Tausende mussten das Land verlassen.

Prekäre Sicherheitslage und finanzielle Engpässe
Diese Konsequenzen für den Hochschulsektor sind auch heute noch im Irak spürbar. So fehlt es oftmals nicht nur an gut ausgebildeten Lehrenden und Forschenden, auch die Möglich-keiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs zur Weiterqualifikation sind begrenzt. Viele Lehrende haben lediglich einen Masterabschluss. Hinzu kommen eine mangelhafte materielle Ausstattung vieler Hochschulen und finanzielle Engpässe aufgrund unzureichender staatlicher Unterstützung. Die Forschungsaktivitäten sind entsprechend gering, das Renommee der teils traditionsreichen Hochschulen hat gelitten. Besonders im Zentral- und Südirak erschwert die prekäre Sicherheitslage internationale Kooperationen; individuelle Studien- und Forschungsaufenthalte sind mit hohen Risiken verbunden. In der autonomen Region Kurdistan im Norden des Landes ist die Sicherheitslage vergleichsweise besser. Trotzdem berichtet das Scholars-at-Risk-Netzwerk in seinem jüngsten Free-to-think-Report auch von gezielten tödlichen Angriffen auf Forschende und Studierende.

Aufbruchstimmung: akademischer Wiederaufbau im Irak

DAAD

Der Autor Benjamin Schmäling leitet die DAAD-Außenstelle in der jordanischen Hauptstadt Amman.

Trotz aller Schwierigkeiten gibt es in den letzten Jahren beim akademischen Wiederaufbau erste Erfolge und positive Entwicklungen zu verzeichnen. So hat sich der Zugang zu Schulbildung und – in geringerem Maße – zu Hochschulbildung deutlich verbessert, auch wenn die Datenlage uneinheitlich ist. Die größeren staatlichen Hochschulen wie die Universität Bagdad, die Universität Kufa oder die Universität Duhok in der autonomen Region Kurdistan bieten inzwischen eine solide grundständige Ausbildung in einer Vielzahl von Fächern. Zudem werden an keiner der staatlichen Hochschulen Studiengebühren erhoben. Entsprechend hoch ist die Konkurrenz um Studienplätze, sodass auch kostenpflichtige private Hochschulen gerade für zahlungskräftige Studierende an Bedeutung gewinnen. 

Internationaler Austausch darf „brain drain“ nicht verschärfen
Auch wenn internationale Mobilität von Studierenden und Forschenden in den vergangenen Jahrzehnten vielfach durch die äußeren Umstände erzwungen war, lässt sich in jüngerer Zeit ein großes Interesse an einem Studium im Ausland beobachten. Der Staat fördert die Aufenthalte mit groß angelegten Stipendienprogrammen wie dem „Human Capacity Development Program“ des kurdischen Hochschulministeriums. So hat sich die Zahl der Studierenden im Ausland nach UNESCO-Angaben zwischen 2005 und 2020 von 5.500 auf über 30.000 mehr als verfünffacht. Die beliebtesten Zielländer sind dabei Jordanien, die Türkei, Iran, Malaysia und die USA. Deutschland liegt auf Platz elf. Mit Blick auf die Einwohnerzahl von knapp 40 Millionen und die Gesamtzahl der Studierenden von mehreren Hunderttausend ist der Auslandsanteil derzeit noch gering. Zugleich legt der Zuwachs in Anbetracht der sehr jungen Bevölkerung – 38 Prozent sind nach Berechnungen der Weltbank unter 15 Jahre alt – ein großes Potenzial für internationalen akademischen Austausch nahe. Dieser kann allerdings nur nachhaltig zum akademischen Wiederaufbau beitragen, wenn er den ohnehin vorhandenen „brain drain“ nicht weiter verschärft. Hierzu können etwa kurzzeitige Studienaufenthalte im Ausland, partnerschaftliche Studien- und Promotionsprogramme, digitale Formate sowie transnationale Bildungsangebote vor Ort einen Beitrag leisten.

Auch an internationalen Partnerschaften ist das Interesse groß, sowohl seitens der irakischen Hochschulen als auch aus der Politik. Für die irakisch-deutsche Zusammenarbeit verzeichnet die Hochschulrektorenkonferenz inzwischen 43 Hochschulkooperationen an insgesamt 23 irakischen Institutionen. Führend sind dabei die drei kurdischen Hochschulen Universität Sulaimani, die Salahaddin Universität und die Universität Duhok sowie im Zentralirak die Universität Bagdad. Der Fokus auf kurdische Universitäten lässt sich auch bei den vom DAAD geförderten Projekten beobachten. Dies liegt größtenteils an der besseren Sicherheitslage im Vergleich zum Rest des Landes. Der fachliche Zuschnitt der Kooperationen ist dabei breit gestreut und reicht von Ingenieurwissenschaften und Raumplanung über Erziehungswissenschaften und Lehrerausbildung bis hin zu Sportwissenschaften. Mit dem Aufbau des Instituts für Psychotherapie und Psychotraumatologie an der Universität Duhok soll zudem die psychologische Unterstützung der Menschen in einer von Krieg und Terror gebeutelten Umgebung verstärkt werden. Internationale Kooperationen wie diese können einen entscheidenden Beitrag zur Struktur- und Kapazitätsbildung vor Ort und damit zum akademischen Wiederaufbau des Iraks leisten.

Neue Chancen der akademischen Zusammenarbeit
Gerade in jüngster Zeit lassen sich weitere Entwicklungen feststellen, die neue Möglichkeiten der akademischen Zusammenarbeit eröffnen. So wurde 2019 von der irakischen Nichtregierungsorganisation Masarat das Institute for the Study of Religious Diversity gegründet. Ziel des Instituts ist es, in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten und durch die Ausarbeitung entsprechender Curricula den interreligiösen Dialog zu fördern. Es ist die erste Einrichtung dieser Art in der gesamten Region. Ebenfalls einzigartig ist das Center for Gender and Development Studies an der American University of Iraq Sulaimani. Seit 2017 bietet man dort das Nebenfach „Gender Studies“ an und trotz Widerständen in einer von traditionellen Rollenbildern geprägten Gesellschaft haben inzwischen über 200 Studierende die Kursangebote wahrgenommen. Auch die kurdische Regionalregierung scheint sich offen für einen Ausbau des Faches zu zeigen. Bei allen Schwierigkeiten stehen die Zeichen im Irak also vielerorts auf akademischen Aufbruch.

Benjamin Schmäling (15. Juli 2021) 
Dieser Text erschien zuerst in Politik & Kultur 06/2021.