Zwischen „anything goes“ und roten Linien: Gemeinsam Lösungen finden

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Politische Einflussnahmen, nationalistische Tendenzen, einseitiger Wissensabfluss, eine schwierige Sicherheitslage vor Ort – in vielen Bereichen hat die internationale Wissenschaftskooperation an Komplexität gewonnen. Die Hochschulen suchen nach Lösungen.

Die öffentliche Debatte über den Stellenwert von Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung hat an Fahrt aufgenommen. Gleichzeitig steigt bei den Hochschulen der Bedarf nach Orientierung, Einordnung und Umgang mit den Herausforderungen. Wie diese damit umgehen, ist Thema einer mehrtägigen Konferenz des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) vom 7. bis zum 9. Juni. Pauschale Lösungen dürften schwer zu finden sein, vielmehr kommt es darauf an, lokale Kontexte, institutionelle und fachliche Interessenlagen sowie den Stand der Kooperationsbeziehungen zwischen Partnern zu berücksichtigen. Dabei können Hochschulen vor allem von guten Praxisbeispielen lernen. Diesen Dialog zu gestalten und den Erfahrungsaustausch zwischen Praktikerinnen und Praktikern auf der Hochschulseite mit der Expertise der DAAD-Zentrale sowie des DAAD-Außennetzwerkes herzustellen, ist eine zentrale Aufgabe des Kompetenzzentrums.

Ende März geriet das Mercator Institute for China Studies (MERICS) in den Strudel der internationalen Diplomatie. Der Grund: China sanktionierte das unabhängige Forschungsinstitut als Reaktion auf die von der EU verhängten Strafen wegen des Vorgehens Chinas gegen die muslimische Minderheit der Uiguren. Im Rahmen der Sanktionen ist den betroffenen Personen und deren Familien unter anderem verboten, das chinesische Festland, Hongkong und Macao zu betreten. Die in Berlin angesiedelte Forschungseinrichtung beschäftigt sich mit China und dessen Beziehungen zu anderen Ländern und Europa – und es ist An-Institut der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der Universität Duisburg-Essen. Deshalb rückten die Sanktionen gegen das MERICS auch auf die Agenda von Monika Sprung, die an der RUB das International Office leitet. „Wir haben uns unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern der Stiftung Mercator und des DAAD getroffen, um diese Entscheidung zu verstehen und einzuschätzen, welche Folgen sie haben könnte”, sagt sie. Dies sei sicherlich je nach Akteur differenziert zu sehen. Für die Hochschulen sei es ein eher politisches Warnsignal gewesen, denn keine der chinesischen Partnerhochschulen habe die Zusammenarbeit mit der RUB eingestellt oder auch nur infrage gestellt.

Zwischen „anything goes“ und roten Linien: Gemeinsam Lösungen finden

Privat

Monika Sprung leitet das International Office an der Ruhr-Universität Bochum.

Dass Deutschlands Hochschulen international kooperieren, ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden, sei es beim Austausch von Studierenden und Lehrenden, beim Aufbau gemeinsamer Bachelor- und Master-Studiengänge oder in grenzüberschreitenden Forschungsprojekten. Und der Trend zur Internationalisierung ist weiterhin ungebrochen, die Herausforderungen nehmen jedoch zu. „Die geopolitische Lage ist insgesamt komplexer und diffiziler geworden, die nationalen Egoismen haben deutlich zugelegt“, sagt Prof. Dr. Frank Dellmann. Er ist seit 2014 Vizepräsident für Bildung und Internationales an der FH Münster und leitete zwölf Jahre den deutsch-lateinamerikanischen Studiengang Betriebswirtschaft CALA. Im Oktober dieses Jahres wird er als Präsident die Steuerung der Hochschule übernehmen.

Die politischen Veränderungen färben laut Dellmann immer mehr auf die Wissenschaft ab. So sorgte beispielsweise der frühere US-Präsident Donald Trump für Verstimmungen im transatlantischen Verhältnis und in der Wissenschaftslandschaft. Mit dem Brexit und dem damit verbundenen EU-Austritt Großbritanniens verschwinde für Studierende ein interessantes Zielland im Programm Erasmus+. Auch um die Beziehungen zwischen China auf der einen sowie den USA und der EU auf der anderen Seite stehe es derzeit nicht zum Besten. „Die jeweilige nationale politische Gemengelage hat sich zu einem Faktor entwickelt, der bei uns auch in die Beurteilung der Perspektive einer Hochschulpartnerschaft einfließt“, sagt Dellmann. Allerdings seien politische Prognosen generell schwer zu stellen. Ein Beispiel: Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs in den 1980er Jahren, als nur spärliche Kontakte zwischen Ost und West möglich waren, begannen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FH Münster und der Technischen Universität Krakau im Fachbereich Chemieingenieurwesen zu kooperieren. „Weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trotz der schwierigen politischen Lage immer im Gespräch geblieben sind, hat sich mit der Öffnung der Grenzen ab 1989 daraus eine sehr erfolgreiche Partnerschaft entwickelt, die bis heute fortgesetzt wird“, sagt der Vizepräsident.

Zwischen „anything goes“ und roten Linien: Gemeinsam Lösungen finden

Thorsten Arendt

Prof. Dr. Frank Dellmann, Vizepräsident für Bildung und Internationales an der FH Münster, leitete zwölf Jahre den deutsch-lateinamerikanischen Studiengang Betriebswirtschaft CALA.

Der Einzelfall zählt 
Auch Benjamin Gehring, Leiter des Akademischen Auslandsamts an der Universität Hohenheim, setzt auf das Engagement der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Wenn diese sich mit dem Wunsch nach einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen im Ausland an uns wenden, unterstützen wir das sehr gerne, dann spielen Nationalität und Politik keine Rolle”, sagt er. Im Alltag muss er sich aber auch mit anderen Anfragen beschäftigen: So trat jüngst ein Verbindungsmann eines von der Regierung Victor Orbans eingesetzten Stiftungsrats einer ungarischen Hochschule an die Universität Hohenheim heran – mit dem Wunsch nach einer Hochschulkooperation auf Leitungsebene. „Wir haben als renommierte Agraruniversität immer ein Interesse an einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit, wollen aber in keinem Fall nur als schmuckes Beiwerk genutzt werden“, sagt der Amtsleiter. Rote Linien, bis zu welchem Punkt sie bereit ist, eine internationale Kooperation einzugehen, will die Universität aber nicht ziehen. Gehring verweist stattdessen auf geltendes Recht und den Austausch mit außenpolitischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern. „Die Universität hatte zum Beispiel eine Anfrage zu einem Projekt der Neuen Seidenstraßen-Initiative Chinas vorliegen, lehnte aber vorerst ab, weil sich das Land Baden-Württemberg, der Bund und die Europäische Union noch nicht dazu positioniert hatten“, sagt er. Generell gelte bei allen internationalen Kooperationsanfragen: Genau hinschauen und im Einzelfall entscheiden.

Individuelle Beratung im Kompetenzzentrum

Universität Hohenheim

Benjamin Gehring, Leiter des Akademischen Auslandsamts an der Universität Hohenheim.

Die Frankfurt School of Finance and Management (FS) arbeitet schon seit mehr als 15 Jahren eng und vertrauensvoll mit der Université Protestante au Congo (UPC) in der Demokratischen Republik Kongo zusammen. Die Demokratische Republik Kongo ist ein Land, das seit vielen Jahren zuverlässig auf den hinteren Plätzen diverser Indizes gelistet wird: dem Ease of Doing Business Index oder dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen. Dennoch haben die beiden Partner zusammen etwas Einzigartiges aufgebaut: das vom DAAD geförderte Exzellenzzentrum Centre Congolais-Allemand de Microfinance (CCAM), welches unter anderem einen Master of Mikrofinance anbietet. „Das Projekt ist sehr erfolgreich, weil wir vielen jungen Menschen eine gute Ausbildung ermöglichen und 80 Prozent der Absolventen einen Job finden“, sagt die CCAM-Direktorin Dr. Barbara Drexler. Dies ist in der Demokratischen Republik Kongo wahrlich eine Seltenheit. Zudem ist das Projekt entwicklungspolitisch wichtig, weil Mikrofinanzierung zur Armutsbekämpfung beiträgt.

Natürlich gibt es auch Herausforderungen: als Deutsche oder Deutscher kann man sich nur sehr eingeschränkt auf der Straße bewegen, Malaria und Gelbfieber bedrohen die Gesundheit. Möglicherweise ist man Bestechungsanfragen seitens der Verkehrspolizei ausgesetzt. Ferner existieren regulatorische Risiken: Verantwortliche im Ministerium für Höhere Bildung, welches über die Akkreditierung entscheidet, hätten in den vergangenen zwölf Jahren etwa ein Dutzend Mal gewechselt. Wenn Wahlen anstehen, ruhe die Projektarbeit. Wichtig sei es, über die aktuelle Situation gut informiert zu sein, eng mit den Partnern vor Ort zu kommunizieren, einen langen Atem zu haben und dabei nie die Vision des Centre of Excellence aus den Augen zu verlieren: durch verbesserte Hochschulausbildung nachhaltig zum (wirtschaftlichen) Wachstum des Landes beizutragen. „Das Projekt stand weder für die deutsche noch für die afrikanische Seite je infrage“, sagt Drexler. „Beide Hochschulen sind überzeugt von der Partnerschaft.“

Zwischen „anything goes“ und roten Linien: Gemeinsam Lösungen finden

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Dr. Barbara Drechsler, Direktorin des Exzellenzzentrums Centre Congolais-Allemand de Microfinance (CCAM) mit Kollegen in Kinshasa. 

Expertise. Beratung. Vernetzung.
Tatsächlich ist es für die Hochschulen nicht immer leicht, die Situation richtig einzuschätzen, so RUB-Direktorin Monika Sprung. Um künftig auf Kooperationsanfragen aus dem Kreis der RUB-Forschenden noch kompetenter und gewissenhafter reagieren zu können, plant die Universität von Sommer 2021 an die Einrichtung einer internen Anlaufstelle, die am International Office angedockt sein wird. Wie sieht die aktuelle politische Lage aus? Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen sind zu beachten? Welche Freiräume und möglichen Fallstricke gibt es? Den eigenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darauf Antworten zu geben sei wichtig. Diesen interaktiven Beratungsansatz verfolgt auch das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen. KIWi bündelt das Know-how von Hochschulen institutionenübergreifend und kann so bei Fragen rund um Kooperationen auf der Basis konkreter Erfahrungen unterstützen. Daher bietet KIWi Hochschulen eine Anlaufstelle, an die sie sich mit ihren Fragen und Anliegen wenden und wo sie miteinander in Austausch treten können. So wird auch das KIWi-Angebot in enger Abstimmung mit den Hochschulen bedarfsorientiert sukzessive ausgebaut. Monika Sprung: „Die Spannungsfelder in der Hochschulkooperation nehmen zu, und es gibt vermehrten Gesprächsbedarf. Doch zu einer weiteren Internationalisierung und mehr Austausch gibt es keine Alternative.“

Benjamin Haerdle (2. Juni 2021)

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