„Für nachhaltige Mobilität jetzt die richtigen Weichen stellen“

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Der DAAD stellt jetzt die Weichen, damit sich der internationale Austausch nachhaltig gestalten lässt.

Im Januar hat der DAAD ein Impulspapier zur nachhaltigen Mobilität veröffentlicht. Wie sich der internationale Austausch klima- und umweltfreundlich gestalten lässt, welche Ansätze der DAAD mit den Hochschulen entwickelt und welche Rolle Schlafwagen dabei spielen könnten, erläutern Dr. Ruth Fuchs, Expertin im DAAD-Referat Nachhaltige Entwicklung, sowie Dr. Ursula Paintner, Bereichsleiterin im DAAD für Entwicklungszusammenarbeit und überregionale Programme.

Warum hat nachhaltige Mobilität für den DAAD so eine große Bedeutung?
Dr. Ruth Fuchs: Mobilität gehört zum Wesenskern unserer Organisation, die den internationalen Wissensaustausch fördert. Genau dieser Wissensaustausch ist für die Bewältigung aktueller Herausforderungen wie der Corona-Pandemie ganz zentral. Wir brauchen eher mehr als weniger Mobilität, müssen sie aber dauerhaft klima- und umweltgerecht gestalten.

Wie lässt sich Mobilität klima- und umweltschonend organisieren?
Dr. Ruth Fuchs: Es gibt keine Standardlösung. Deshalb haben wir als DAAD Orientierungslinien formuliert, um das geeignete Format und die beste Lösung zu finden. Grundsätzlich gilt, wann immer möglich die klima- und umweltfreundlichste Alternative zu wählen. Inzwischen haben wir durch virtuelle Formate viel mehr Optionen und können auch unterschiedlichen Zielgruppen gerecht werden. Wir brauchen chancengerechte Lösungen, die niemanden ausschließen. 

„Nachhaltig wirken – nach innen und außen“

Privat

Dr. Ruth Fuchs ist Expertin im DAAD-Referat Nachhaltige Entwicklung der Abteilung Strategie und verantwortet ein Projekt zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz innerhalb des DAAD.

Aber steigern virtuelle Formate nicht grundsätzlich die Chancengerechtigkeit? 
Dr. Ursula Paintner: Beide Formate haben Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Wir reden vom „Digital Divide”, also von einer neuen Spaltung, die durch Digitalität erst entsteht. Dabei muss man nicht nur technische Aspekte wie Zugang zu Endgeräten und Datenvolumen berücksichtigen. Gerade bei hybriden Formaten – wenn wir physische und virtuelle Veranstaltungen kombinieren – muss man darauf achten, dass das physische Format nicht exklusiv wird mit dem Argument: Für die „anderen“ wird ja ein virtuelles Alternativformat angeboten, und deshalb muss ich mich um deren reale Integration nicht kümmern. Ein weiterer Aspekt ist die Frage der Datensicherheit. Abhängig von den Partnerinnen und Partnern sowie Partnerländern ist es im virtuellen Raum noch schwieriger, offene und kontrollfreie Räume aufzumachen. 

Dr. Ruth Fuchs: Gleichzeitig haben die digitalen Elemente, die regionenübergreifend und auch sehr schnell funktionieren können, ein enormes Potenzial der Einbindung. Zum Beispiel haben wir im DAAD inzwischen bei sehr viel mehr internen Sitzungen unser Außennetzwerk virtuell mit am Tisch.

Wo liegen die Grenzen der digitalen Kommunikation?
Dr. Ursula Paintner: Wir möchten lieber auf die Chancen und Möglichkeiten der unterschiedlichen Formate abzielen. Es geht um die Frage, was wir mit welchem Format am besten erreichen. Wenn ich über Persönlichkeitsentwicklung spreche, ist die reale Reise nicht zu ersetzen. Und wenn es um den Aufbau von internationalen Partnerschaften geht, ist es wichtig, dass an der Basis zunächst Vertrauen aufgebaut wird. Das funktioniert wesentlich besser im Realen, als wenn man das Gegenüber nur in einem schmalen Bildschirmausschnitt wahrnimmt, zumindest mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten. Ich glaube, dass das Eintauchen in eine andere Kultur sehr wichtig ist: zum einen für bestimmte Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung. Zum anderen für echte akademische Internationalisierung, die auch damit zu tun hat, in der Lage zu sein, die eigene akademische Herangehensweise zu hinterfragen. Wenn sich beide Formen sinnvoll ergänzen, bietet die Digitalität tatsächlich eine Chance, Kooperation zu intensivieren.

„Für nachhaltige Mobilität jetzt die richtigen Weichen stellen“

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Dr. Ursula Paintner leitet den Bereich Entwicklungszusammenarbeit und überregionale Programme im DAAD.

Wie unterstützen Sie Studierende und Hochschulen konkret?
Dr. Ruth Fuchs: Wir wollen keine Vorschriften machen, sondern einen gemeinsamen Lernprozess anstoßen. Unser Papier ist zunächst ein Gesprächsangebot. Wegen Corona mussten wir uns als DAAD die Frage stellen: Wie funktioniert Internationalisierung, wenn Mobilität zum Erliegen kommt? So haben wir beispielsweise unsere Förderleistungen flexibilisiert. Das ermöglicht Studierenden, die nicht reisen können, ihr Stipendium auch für ein Onlinestudium zu nutzen. Und Hochschulen können mit ihren Partnerhochschulen auf digitalem Wege zusammenarbeiten.

Dr. Ursula Paintner: Zudem haben wir im letzten Jahr unter Corona zwei Programme ausgeschrieben, die zukunftsweisend sind. Bei der International Virtual Academic Cooperation (IVAC) entwickeln deutsche Hochschulen mit internationalen Partnerhochschulen gemeinsam Studienprogramme, die Studierende beider Institutionen im virtuellen Raum zusammenbringen. Ein zweites Beispiel: Es gibt genügend deutsche Hochschulen, die spezielle Studienprogramme international ausschreiben. Wir haben mit Internationale Programme Digital (IP Digital) ein Programm aufgelegt, das es ermöglicht, diese vorhandenen Studienangebote für internationale Studierende zu digitalisieren.

Wie sieht es bei der physischen Mobilität aus? Gibt es künftig Anreize dafür, besonders nachhaltig zu reisen?
Dr. Ursula Paintner: Wir sind uns bewusst, dass hier unser eigenes Verhalten als Institution und das, was wir von unseren Partnern und Geförderten erwarten, konsistent sein müssen. Insofern arbeiten wir zunächst intern an unterschiedlichen Ansätzen zur klimafreundlichen Mobilität und zur Reduktion von Emissionen. 

Dr. Ruth Fuchs: Gleichzeitig animieren wir etwa im Rahmen der Globalen Zentren für Klima und Gesundheit die beteiligten Hochschulen, umwelt- und klimafreundliche Konzepte der Zusammenarbeit zu entwickeln und in der Umsetzung ihrer Projekte wo immer möglich Treibhausgasemissionen einzusparen.

Was tut der DAAD für die eigene nachhaltige Mobilität?
Dr. Ruth Fuchs: Der DAAD wird in diesem Jahr eine Klima- und Umweltbilanz erstellen, die auch das Mobilitätsverhalten der Beschäftigten genauer in den Blick nimmt. Auf dieser Grundlage werden wir über weitergehende Maßnahmen der Sensibilisierung, Vermeidung und Kompensation beraten. Wir haben coronabedingt im DAAD eine steile Lernkurve hinter uns, was die Organisation digitaler Veranstaltungen betrifft. Auf diesen Erfahrungen können wir aufbauen, um künftig noch bewusster mit physischer Mobilität umzugehen. 

Wie sieht es mit der nachhaltigen Ausrichtung der Pendlermobilität aus?
Dr. Ruth Fuchs: Zum einen hat sich der DAAD mit anderen Arbeitgebern in Bonn im Jobwärts-Programm zusammengeschlossen, um nachhaltige Mobilität zu fördern, beispielsweise in Form von Mitfahr-Apps. Wir haben felgenfreundliche Fahrradstellplätze installiert, ein E-Lastenbike für Botendienste angeschafft, und wir wollen die Anzahl der Diensträder aufstocken. Ein wichtiger Anreiz für nachhaltige Mobilität ist auch das Jobticket. 

Dr. Ursula Paintner: „Mit dem Rad zur Arbeit“ ist eine weitere Aktion, an der der DAAD schon lange teilnimmt. Auch wenn man damit keinen Interkontinentalflug ausgleicht, lässt sich bei der Pendlermobilität an vielen Stellschrauben einiges zum Positiven verändern. Wir merken, dass die Bereitschaft und das Engagement unter den Kolleginnen und Kollegen sehr groß sind. 

Ihre Vision für 2030: Wie sieht dann der Mix aus physischer und virtueller Mobilität aus?
Dr. Ruth Fuchs: Ich denke, 2030 wird es selbstverständlich sein, bei der Mobilität die Klima- und CO2-Problematik immer mitzudenken. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass es noch eine stärkere Vernetzung zwischen virtueller und physischer Mobilität gibt, was idealerweise mit mehr Chancengerechtigkeit einhergeht.

Dr. Ursula Paintner: Im Moment sind wir dermaßen gefangen in der Corona-Pandemie, dass es mir schwerfällt, solche Visionen zu entwickeln. Ein spontaner Gedanke: Wenn wir innerhalb Europas alle Ziele mit dem Schlafwagen erreichen könnten, könnten wir (fast) alle binneneuropäischen Flüge einsparen. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Man nimmt die räumliche und die kulturelle Distanz auch viel stärker wahr, wenn man sie langsamer zurücklegt.

Peter Nederstigt (27. April 2021)