Wissenschaftskooperationen mit Russland

TAIGA

Das TAIGA-Observatorium im Tunka-Tal, Sibirien, ist das zweite Großprojekt, welches das Forschungszentrum Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY) erfolgreich mit seinen russischen Kooperationspartnern umsetzt.

Deutschland und Russland verbindet eine jahrzehntelange Wissenschaftstradition. Vier deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, warum es wichtig ist, kontinuierlich in Kooperationen zu investieren. Und das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) hat aktuelle Empfehlungen herausgebracht, die die Rahmenbedingungen solcher Kooperationen beleuchten.

Bald 33 Jahre lang währt die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Physiker Dr. Ralf Wischnewski und seinem russischen Kollegen Prof. Nikolai Budnev von der Staatlichen Universität Irkutsk. Ende der 1980er Jahre luden die russischen Wissenschaftler zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt am Baikalsee in Sibirien ein. Wischnewski, damals Physiker am Institut der Akademie der Wissenschaften im brandenburgischen Zeuthen in der DDR, sagte gemeinsam mit Kollegen zu. „Es ging um Neutrino-Astroteilchen-Physik, ein für uns alle neuer Zweig in der Grundlagenforschung. Unsere russischen Kollegen waren für damalige Verhältnisse sehr gut ausgestattet und hatten einen bemerkenswerten Vorsprung. Es ging um den Wettlauf, das weltweit erste Neutrino-Teleskop zu bauen“, sagt Wischnewski. In den 1990ern kam es jedoch auf russischer Seite aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion zu einem dramatischen Einbruch der Forschungsfinanzierung. „Unser Institut war mittlerweile in die Forschungslandschaft der Bundesrepublik Deutschland integriert und Teil des Forschungszentrums DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg geworden. Das DESY fand den Ansatz der Hochenergie-Neutrino-Teleskope spannend und hat in dieser – für die russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwierigen Phase – das Projekt maßgeblich unterstützt. 2011 waren dann deutsche Physiker die Impulsgeber für ein neues Großprojekt zur Gamma-Astronomie. Die russischen Kolleginnen und Kollegen hatten dafür im Tunka-Tal, rund 50 Kilometer vom Baikalsee entfernt, mit einer etablierten Forschungsinfrastruktur die ideale Grundlage. Das war der Start des mittlerweile sehr erfolgreichen TAIGA-Projekts. Nach über 30 Jahren deutsch-russischer Kooperationserfahrung kann Wischnewski sagen: „Für solche Großprojekte braucht man Ruhe, Zeit und Ressourcen, um einfach etwas Neues auszuprobieren. Die Russen sind gute und ausdauernde Partner, wenn es um solche Pilotprojekte geht. Ich weiß ihre Neugier und Kompetenz sehr zu schätzen. Man trifft dort auf junge, enthusiastische Leute mit einer sehr guten mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung.“

Die erste Phase der Kooperation: das Neutrino-Teleskop im Baikalsee


Über Chancen informieren, für Herausforderungen sensibilisieren
Solche nachhaltigen Kooperationen zwischen beiden Ländern will das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) fördern und hat dazu jüngst das Impulspapier „Die deutsch-russische Roadmap: Potenziale – Herausforderungen – Kooperationserfahrungen“ herausgebracht. „Für das Gelingen von russisch-deutschen Wissenschaftskooperationen ist ein differenzierter Blick erforderlich“, so Dr. Friederike Schröder vom KIWi. Das russische Wissenschaftssystem entwickle sich seit einigen Jahren sehr dynamisch. Die Internationalisierung von Forschung, Studium und Lehre sei bei diesem Erneuerungsprozess ein wichtiger Bestandteil. Das Interesse an Kooperationen steige auf russischer Seite spürbar, was große Chancen mit sich bringe. Eine Herausforderung seien jedoch mögliche Reglementierungen und Kontrollen sowie die Frage nach der wissenschaftlichen Qualität, nach Hierarchien und den Gestaltungsfreiräumen der russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Das DAAD-Kompetenzzentrum möchte darüber informieren und dazu sensibilisieren“, sagt die Expertin für internationale Forschungskooperationen. „Denn wie innovativ oder risikoavers ein Kooperationspartner ist, kann von Institution zu Institution unterschiedlich sein. Häufig spielen persönlicher Einfluss und Verhandlungsgeschick der jeweiligen Leitung sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine entscheidende Rolle.“ Der Raum für die Behandlung sensibler Themen zum Beispiel in den Geisteswissenschaften werde enger, heißt es von deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kooperationserfahrungen in der Russischen Föderation, so Schröder. „Gleichzeitig berichten diese, dass gerade langjährige, etablierte Kooperationen Spielräume für die gemeinsame Behandlung kritischer Themen ermöglichten.“

Wichtig sei es für Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Mittlerorganisationen zudem, Fragen zu stellen, kritisch zu reflektieren und zu differenzieren. Und dazu leite das neue Impulspapier ebenfalls an: Welche fachlichen Schwerpunkte haben beispielsweise das Potenzial für eine erfolgversprechende Kooperation? Kooperiert man besser mit einer traditionsreichen oder eher einer jüngeren Hochschule? Welche Herausforderungen sind zu berücksichtigen? Auf jeden Fall brauche die Anbahnung und Umsetzung russisch-deutscher Kooperationen ausreichend Zeit, sagt Schröder: „So lernen die Forschenden das Umfeld richtig kennen und bauen eine vertrauensvolle Beziehung zu den russischen Partnerinnen und Partnern auf.“

Wissenschaftskooperationen mit Russland

Claire Denby

Dr. Friederike Schröder, DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi): „Der DAAD steht für eine kooperative Außenwissenschaftspolitik, und die deutschen Forschenden sind dafür die besten Botschafterinnen und Botschafter.“

Komplementarität in der Ausstattung ist fruchtbar
Dass die Modernisierung des russischen Wissenschaftssystems voranschreitet und sich positiv in der Ausstattung der Hochschulen niederschlägt, erlebt beispielsweise Prof. Dr. Eckart Rühl vom Institut für Chemie und Biochemie an der Freien Universität Berlin (FU Berlin). Er koordiniert seit 2008 auf deutscher Seite das Russisch-Deutsche Labor am Berliner Speicherring für Synchrotronstrahlung (BESSY II), das im Jahr 2001 eröffnet wurde. Außerdem engagiert er sich federführend für das German-Russian Interdisciplinary Science Center (G-RISC), ein 2009 gegründetes virtuelles Exzellenzzentrum der FU Berlin und der Staatlichen Universität St. Petersburg. In Russland werde teilweise anders in Forschung investiert als in Deutschland, sagt Rühl: Zentral gesteuert, entstehen dort große Forschungsinfrastrukturen mit zum Teil sehr teuren und hochwertigen Geräten, die es in ausreichender Stückzahl gibt. „Gerade diese strukturellen Unterschiede sind für unsere Zusammenarbeit fruchtbar, diese Komplementarität ist wichtig und bereichert uns“, sagt Rühl.

Wissenschaftskooperationen mit Russland

G-RISC

Prof. Dr. Eckart Rühl von der Freien Universität Berlin (6. v. l.) und das G-RISC-Team mit Prof. Dr. Alina Manshina (4. v. r.) von der Staatlichen Universität St. Petersburg, die G-RISC auf russischer Seite koordiniert.

Geisteswissenschaften – Grenzen und Chancen
Während bei den Naturwissenschaften das Interesse der Russischen Föderation an intensiven Kooperationen groß zu sein scheint, stehen die Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften vor größeren Herausforderungen, wie Prof. Dr. Kornelia Freitag feststellt, Prorektorin der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Die RUB hat 2008 den erfolgreichen deutsch-russischen Masterstudiengang Russische Kultur mit der Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU) in Moskau etabliert. Außerdem ist unter anderem die National Research University Higher School of Economics (HSE) in St. Petersburg seit 2019 neuer strategischer Kooperationspartner. „Im Vergleich mit den Naturwissenschaften sind die Geisteswissenschaften in Russland weniger gut ausgestattet, und ihr Handlungsspielraum ist dadurch begrenzter“, sagt sie. Neben vielen Fortschritten in der praktischen Zusammenarbeit habe sie auch erlebt, wie bürokratische Abläufe, hierarchische Abhängigkeiten innerhalb einer Institution und ein langsam mahlender universitärer Apparat die Handlungsfreiheit der jeweiligen Akteurinnen und Akteure gebremst hat. Was sie aber positiv sehe: „Deutsche Universitäten, insbesondere die Slawistik, die sich unmittelbar mit der russischen Gesellschaft befasst, bieten den russischen Kolleginnen und Kollegen häufig eine Plattform, sich kritisch zu äußern. Damit unterstützen wir sie auch vor Ort in Russland.“ Darüber hinaus könne eine internationale Kooperation mit einer stark aufgestellten Universität wie der RUB natürlich auch bei der Beschaffung von Projektmitteln unterstützen und bei universitätsinternen Anträgen ein aussagekräftiges Argument sein.

Bildergalerie Prof. Dr. Kornelia Freitag


Nachwuchs sichert Projektzukunft und Wissenschaftsfreiheit
Sowohl Rühl als auch Wischnewski legen bei ihren langjährigen Kooperationen besonderen Wert auf die Nachwuchsarbeit. Dazu Rühl: „Wir müssen uns heute um den Nachwuchs kümmern, der morgen die Entscheidungen trifft und die Zusammenarbeit gestaltet.“ Das Exzellenzzentrum G-RISC, das auch vom DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert wird, sei nicht auf schnelle Erfolge aus, sondern setze auf Langfristigkeit. „Wir haben bei G-RISC viele Personen, die früher bei einem deutsch-russischen Austausch mitgearbeitet haben und jetzt Projektleitende sind. Wir sind dem DAAD und dem Auswärtigen Amt dankbar für die kontinuierliche Förderung. Andere Projekte sind oft schon nach drei Jahren beendet.“ Und Wischnewski berichtet: „Man braucht für Kooperationen einen langen Atem. Nur wenn wir den Nachwuchs früh genug einbinden und gezielt fördern, kann sich Wissenschaft dynamisch entwickeln.“ Daher sei es gut, dass die sichtbare Beteiligung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittlerweile ein sehr wichtiges Förderkriterium bei Forschungsanträgen sei.   

Bildergalerie Nachwuchsarbeit


HAW in Russland gern gesehen
Wenn es um Praxisorientierung geht, stehen die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bei russisch-deutschen Kooperationen hoch im Kurs. Ralf Schlauderer, Professor für Angewandtes Agrarmanagement an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT), arbeitet seit 16 Jahren mit russischen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Als er 2004 an der HSWT begann, konnte er an eine lange Kooperationstradition seiner Fakultät mit der ehemaligen Sowjetunion anknüpfen. Russland sei in der landwirtschaftlichen Ausbildung lange Zeit nicht sehr praxisorientiert gewesen und viele Absolventinnen und Absolventen daher wenig berufsbefähigt, so Schlauderer. Seine HAW konnte dagegen viel Erfahrung mit praktischen Ausbildungselementen anbieten. Daher kamen die russischen Kolleginnen und Kollegen der Voronezh State Agricultural University (VSAU) auf seine Fakultät zu, um den Internationalen Masterstudiengang Agrarmanagement einzuführen, der nun seit vielen Jahren erfolgreich läuft.

Wissenschaftskooperationen mit Russland

VSAU

Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) pflegt unter anderem eine langjährige Partnerschaft mit der Voronezh State Agricultural University (VSAU) in Woronesh in Zentralrussland.

Internationalisierungsschub für HAW
Für Schlauderer sind die Kooperationen mit den russischen Hochschulen vor allem deshalb attraktiv, weil sie den Hochschulen für angewandte Wissenschaften Möglichkeiten eröffnen, die ihnen bislang eher verschlossen waren: die Internationalisierung und Zusammenarbeit mit großen internationalen Partnern. „Das gibt den HAW einen wichtigen Push und wertvolle Anstöße für die Verbesserung ihrer Arbeit.“ Die relativ kleinen deutschen HAW fänden in Russland oft große spezialisierte Partneruniversitäten mit entsprechender Ausstattung. Dies helfe den HAW bei ihrer Profilierung.

Forschende sind Botschafterinnen und Botschafter
Deutsch-russische Kooperationen können nicht nur zu spannenden Forschungsergebnissen beitragen. Sie spielen auch eine wesentliche Rolle, um eine kooperative Außenwissenschaftspolitik mit Leben zu füllen. „Gerade in einem zunehmend konfrontativen außenpolitischen Umfeld mit Konflikten zwischen Russland und der Europäischen Union oder der NATO setzt der DAAD verstärkt auf internationale Kooperationen“, sagt Schröder. „Denn wenn sich Kooperationen gut entwickeln, bieten sie Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftlern einen geschützten Rahmen, um kontroverse Themen zu bearbeiten.“ Nicht nur die Forschenden übernähmen dabei eine wichtige Rolle als Botschafterinnen und Botschafter, auch der Nachwuchs sei gefordert. Rühl von der FU Berlin ergänzt: Die Wissenschaft sei die Speerspitze der Zusammenarbeit. Sie liefere Kontinuität, die nichts mit den tagespolitischen Ereignissen zu tun habe. Was nicht heiße, dass man diese totschweigen dürfe. „Aber wir werden niemals eine Verbindung in andere Länder bekommen, wenn wir nicht in den Dialog treten. Gründe, sich abzukapseln und misstrauisch zu sein, gibt es immer. Aber wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gemeinsame Interessen, Fragestellungen, die wir gemeinsam lösen wollen. Und diese sind unabhängig von Grenzen.“

Astrid Hopp (23. Februar 2021)

Aktuelles Engagement

Die Zusammenarbeit in Bildung, Forschung und Technologie ist eine wesentliche Säule der deutsch-russischen Beziehungen.

  • 2009 wurde das 1987 noch mit der UdSSR geschlossene Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit novelliert.
  • 2009: Deutsches Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) Moskau: Außenminister Frank-Walter Steinmeier stößt die Gründung des DWIH an. Das Forum für den deutsch-russischen Austausch in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Innovation beginnt ab 2010 mit seinen Aktivitäten. Unter seinem Dach vereint es deutsche Wissenschaftsorganisationen und innovative Unternehmen, die eine Vertretung in Russland haben. Ziel des DWIH ist es, den Wissenschaftsstandort Deutschland in Russland zu vertreten sowie die deutsch-russische Zusammenarbeit in Wissenschaft, Forschung und Innovation auszubauen und zu intensivieren.
  • 2011–2012: Deutsch-Russisches Wissenschaftsjahr
  • 2014–2020: Deutsch-Russische Themenjahre (z. B. zu Sprache und Literatur, dem Jugendaustausch sowie der kommunalen und regionalen Zusammenarbeit; 2018-2020: Jahr der Hochschulkooperationen und Wissenschaft; 2020-2021: Deutschlandjahr mit einer Vielzahl von Projekten in ganz Russland zur Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen.
  • 20142021: Initiative ERA.Net RUS Plus: Deutschland engagiert sich federführend in der multilateralen Initiative, deren Ziel es ist, die Koordinierung von Forschungs- und Innovationsprojekten zwischen der EU und Russland zu verbessern.
  • 2018–2028: Deutsch-Russische Roadmap für die Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation: Forschungsministerien beider Länder vereinbaren eine Strategie für eine zehnjährige Kooperation.

Russland und Deutschland – Zahlen & Fakten

  • Studierende in der Russischen Föderation, die an Hochschulen Deutsch lernen: etwa 360.000 – so viele wie in keinem anderen Land (Platz 2: Polen mit ca. 56.000, Platz 3: Volksrepublik China mit ca. 39.000 Lernenden).
  • Mobilität russischer Studierender ins Ausland: Deutschland steht auf dem ersten Platz, vor der Tschechischen Republik; erst danach folgen die englischsprachigen Destinationen USA und das Vereinigte Königreich.
  • Studierende aus der Russischen Föderation an deutschen Hochschulen im Wintersemester 2018/2019: 10.439
  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Russischen Föderation in Deutschland 2018: 2.221; die Russische Föderation gehört für Deutschland zu den wichtigsten Herkunftsländern für internationales Wissenschaftspersonal.
  • Für deutsche Hochschulen steht Russland bei Kooperationen auf Platz 3, nach den USA und China.