Gestalterin internationaler Netzwerke: DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland im Interview

DAAD/Thilo Vogel

Wünscht sich wieder mehr Sicherheit für den internationalen Austausch: DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland.

Nach über zehn Jahren an der Spitze des DAAD beendet Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland ihre Tätigkeit. Ein Gespräch über weltweite Herausforderungen, die Zukunft des akademischen Austauschs und prägende persönliche Begegnungen.

Frau Dr. Rüland, wenn Sie zum 31. Januar 2021 aus dem Amt der Generalsekretärin ausscheiden, haben Sie den DAAD über zehn Jahre lang entscheidend mitgeprägt. Was ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen dem heutigen DAAD und dem DAAD des Jahres 2010?
Der DAAD ist angesichts der vielfältigen Herausforderungen an die Internationalisierung gewachsen. Damit meine ich nicht nur, dass sich die Zahl unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie unsere finanziellen Mittel erhöht haben. Mit einer veränderten Organisationsstruktur haben wir auf unterschiedliche Herausforderungen reagiert. Wir sind dynamischer geworden, um auch in einer sich massiv wandelnden Welt nicht bloß zu reagieren, sondern vielmehr Trends zu setzen und zu gestalten. Hinter uns liegt ein Jahrzehnt der Krisen und Konflikte: von der Euro-Krise über die Kriege in Syrien und der Ukraine bis zur Migrationskrise und der aktuellen Corona-Krise. In ihr zeigt sich vielleicht am deutlichsten, wie sehr wir internationalen Austausch benötigen. Kein Land kann diese Krise allein bewältigen. Das gilt genauso für weitere aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele, der „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen. Internationalisierung und Vernetzung haben enorm an Bedeutung gewonnen.

Wie ist der DAAD für die Zukunft aufgestellt?
Mit der 2015 in Kraft getretenen Organisationsstruktur haben wir Möglichkeiten geschaffen, schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren. Man kann von einer atmenden Struktur sprechen, in die wir neue Referate und Organisationseinheiten recht unkompliziert eingliedern können. Das hat uns schon nach der Flüchtlingswelle von 2015 dabei geholfen, geflüchtete Studierende zeitnah in das deutsche Hochschulsystem zu integrieren. Auch bei anderen Themen wie unserem aktuellen Schwerpunkt zum Thema Nachhaltigkeit und der weiter zunehmenden Digitalisierung nützt uns diese flexible Struktur. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben wir gezielt analysiert, wo uns Digitalisierung einen strategischen Mehrwert einbringt, und uns entsprechend positioniert. So wurden zum Beispiel in den großen programmfördernden Abteilungen Verantwortliche für digitale Innovationen bestimmt und unser Programmportfolio angepasst. Mit unserer 2013 veröffentlichten Strategie 2020 und unserer im vergangenen Jahr vorgelegten Strategie 2025 haben wir das Profil des DAAD jeweils geschärft. Beide Strategien verdeutlichen zum Beispiel, dass die Expertise des DAAD in internationalen Beziehungen mehr und mehr gefragt ist. Dem tragen wir auch mit dem Ende 2019 eingerichteten Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) Rechnung.

Welche Themen waren Ihnen in den vergangenen Jahren besonders wichtig?
Grundsätzlich möchte ich den Aufbau von Netzwerken für den internationalen Austausch nennen. In Europa beschäftigen uns aktuell besonders die Europäischen Hochschulallianzen, die wir bereits mit zwei Pilotausschreibungen fördern. Dass wir nur mit internationalen Partnerschaften den großen globalen Herausforderungen erfolgreich begegnen, unterstreichen auch die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen; ebenso, dass es eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden geben muss. Capacity Building ist dem DAAD besonders wichtig. In Afrika haben wir beispielsweise in den vergangenen Jahren das Sonderprogramm „1.000 Stipendien für afrikanische Studierende“ umgesetzt und zahlreiche deutsch-afrikanische Graduiertenschulen auf den Weg gebracht. 

Blickt man auf Statistiken zur weltweiten Förderarbeit des DAAD, kann man gerade angesichts der letzten Jahre von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Warum floriert Deutschlands akademischer Austausch? 
Anders als manche anderen Länder verfolgt Deutschland im akademischen Austausch schon seit Jahrzehnten einen partnerschaftlichen, nicht-kommerziellen Ansatz. Das zeigt sich unter anderem in den DAAD-geförderten Projekten der Transnationalen Bildung (TNB), etwa im Aufbau binationaler Hochschulen in den vergangenen Jahren. Diese Kooperationsprojekte waren mir ebenfalls immer wichtig; nach wie vor bin ich Mitglied in Leitungsgremien, wie zum Beispiel dem Board of Governors der German University in Cairo (GUC) oder dem Board of Trustees des German-Russian Institute of Advanced Technologies (GRIAT) in Kasan. Wenn wir über Deutschlands erfolgreiche Partnerschaften sprechen, müssen wir aber vor allem auch die kontinuierliche Unterstützung durch die Politik nennen: Der Austausch mit und die Förderung durch das Auswärtige Amt (AA), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind sehr konstant. Auch im Bundestag konnten wir kontinuierlich Vertrauen in die Arbeit des DAAD aufbauen.

Während Ihrer Amtszeit als DAAD-Generalsekretärin haben Sie viele internationale Begegnungen erlebt. Welche haben Sie besonders berührt?
Die vielen Begegnungen, in denen der enorme Stellenwert von Bildung für die Menschen deutlich wurde, besonders dann, wenn stabile Strukturen für diese Bildung alles andere als selbstverständlich waren. Sehr berührt hat mich eine Reise nach Afghanistan, wohin wir auch in schweren Zeiten kontinuierlich akademische Brücken aufrechterhalten haben. Ich habe dort den großen Willen junger Menschen gespürt, ihr Land wiederaufzubauen und ihm neue Perspektiven zu geben. Sehr beeindruckt haben mich auch die zahlreichen Begegnungen mit DAAD-Alumni aus aller Welt: Ihre emotionale Verbindung zu Deutschland ist außergewöhnlich.

Bildergalerie: „Liebe Dorothea“ – Weggefährtinnen und Weggefährten zum Abschied


Was für eine Art von Team bildet demgegenüber der DAAD?

Ich denke, dass der DAAD als Arbeitgeber einen bestimmten Typ anzieht, nämlich Persönlichkeiten, die vom Wert der Internationalisierung absolut überzeugt sind und eine hohe intrinsische Motivation mitbringen. Wir bieten die Möglichkeit, zahlreiche Länder und vor allem Menschen kennenzulernen. Es ist einfach eine Freude, jungen Talenten aus Deutschland und der ganzen Welt akademischen Austausch zu ermöglichen. Wir begleiten sie in einem sehr wichtigen, prägenden Lebensabschnitt. Der große Einsatzwille der Kolleginnen und Kollegen zeigt sich auch immer wieder, wenn die Arbeitsbelastung außergewöhnlich hoch ist. Das hat uns bisher sehr gut durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie gebracht. Aber auch in der Vergangenheit war das Engagement enorm. Ein weiteres Beispiel sind unsere Programme für geflüchtete Studierende: Wir konnten nach der Flüchtlingswelle von 2015 auch deshalb so schnell verschiedene Angebote für die Betroffenen auf den Weg bringen, weil sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so außergewöhnlich engagiert haben.

Wie begann Ihre persönliche Verbindung zum DAAD?
1980 vermittelte mir der DAAD eine Lektoratsstelle an der britischen Universität Exeter. Nach meinem Studium der Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft in Freiburg wollte ich Praxiserfahrung im Unterrichten sammeln. Vor allem ging es mir aber um das Leben und Arbeiten im Ausland, um den Wechsel der Perspektive. Wobei ich dann doch überrascht war, wie sehr sich bereits zwischen Deutschland und Großbritannien Hochschulsystem sowie Lern- und Diskussionskultur unterschieden. Noch größer waren die Unterschiede in Thailand, wo ich nach dem Abschluss meiner Promotion in Deutschland von 1985 bis 1990 als DAAD-Lektorin an der Chiang-Mai-Universität arbeitete.

Was haben Sie dort erlebt?
Ich war an der Universität im eher ländlichen Norden Thailands weitgehend auf mich gestellt und Ansprechpartnerin für alle Fragen zu Deutschland und der deutschen Sprache. Das bedeutete auch einen großen Gestaltungsspielraum, bis hin zum Anbahnen von Forschungskooperationen. Diesen wertvollen Freiraum bietet der DAAD seinen Lektorinnen und Lektoren auf der ganzen Welt nach wie vor. Mich hat damals in Thailand, wie auch später als Leiterin der DAAD-Außenstelle im indonesischen Jakarta, sehr die konsensuale Kultur der asiatischen Gesellschaften beeindruckt und geprägt. Demgegenüber ist meine Art oft eher direkt. Aber darin liegt ja ein großer Wert von Auslandsaufenthalten: Man lernt viel über sich selbst, stellt sich auch einmal infrage und entwickelt die eigene Persönlichkeit weiter.

Was wünschen Sie dem DAAD und Ihrem Nachfolger Dr. Kai Sicks für die Zukunft?
Zunächst, dass die Corona-Krise erfolgreich überwunden wird und es wieder neue Sicherheit im internationalen Austausch gibt. Auch wenn wir zuletzt viele Formate und Begegnungen erfolgreich in den digitalen Raum verlagert haben: Persönliche Begegnungen bleiben für unsere Arbeit essenziell, erst recht zu Beginn neuer Netzwerke, wenn viel Vertrauen aufgebaut werden muss. Grundsätzlich wünsche ich dem DAAD, dass er so dynamisch bleibt, wie er ist. Das braucht es, um sich im schnell wandelnden Feld der Internationalisierung zu behaupten. Der Aufbau internationaler Netzwerke ist für die Innovationskraft Deutschlands entscheidend, deshalb wird die Arbeit des DAAD auch in Zukunft sehr gefragt sein.

Was sind Ihre Ziele für Ihren nächsten Lebensabschnitt?
So schön und wertvoll die zahlreichen Termine und Reisen der vergangenen Jahre waren: Ich freue mich einfach darauf, nun auch mehr Zeit für Interessen zu haben, die in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen sind, etwa meine Begeisterung für die Musik. Und wenn es nach der Corona-Pandemie wieder möglich ist, werde ich auch wieder häufiger andere Länder besuchen. Mein Mann und ich schenken unseren vier Töchtern zu ihren Studienabschlüssen Reisen. Mit unserer zweitältesten Tochter wollte ich eigentlich in diesem Jahr ins indische Rajasthan reisen, mit unserer jüngsten vielleicht nach Usbekistan. Es gibt weltweit noch so viel zu entdecken und zu lernen – darauf freue ich mich sehr.

Interview: Johannes Göbel (25. Januar 2021)