CARe ebnet den Weg

Claus Völker/TU Darmstadt

Prof. Dr.-Ing. Hussain Al Towaie forscht an der TU Darmstadt mit Blick auf Wasser- und Energiemanagement.

Im Rahmen des Programms „Career Advancement for Refugee Researchers in Europe“ (CARe) unterstützt der DAAD geflüchtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Suche nach einer neuen Anstellung auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Es sind ganz praktische Ratschläge, die Prof. Dr.-Ing. Hussain Al-Towaie im Web-Seminar „CARe Online Talk Germany“ gestandenen Akademikerinnen und Akademikern gibt: „Seien Sie pünktlich, gehen Sie planvoll vor und rechtfertigen Sie Misserfolge nicht vor sich selbst mit Ihren vielen Problemen, sondern machen Sie den nächsten Versuch.“ Das, sagt er, begleitet von lebhaften Gesten, bedeute die in Deutschland so wichtige „Disziplin“. Al-Towaie spricht das Wort deutsch aus, obwohl das Onlineseminar auf Englisch stattfindet. „Deutschland ist eine Wettbewerbsgesellschaft. Firmen vergleichen und wählen die Besten.“

Der „Online Talk Germany“ ist eines von insgesamt elf Web-Seminaren mit Länderinformationen für Geflüchtete mit akademischer Vorbildung, die in Europa eine neue Anstellung in der Forschung suchen, sei es an Hochschulen, Forschungsinstituten oder in der Industrie. Al-Towaies Vortrag hinterlässt Eindruck. Denn wegen der Situation in seinem Land Jemen musste er selbst das Land verlassen. Da war er Anfang sechzig, ein Alter, in dem auch viele Menschen in Deutschland kaum noch auf eine neue Anstellung hoffen können. Jetzt lehrt und forscht er an der TU Darmstadt in den Fächern Wasser- und Energiemanagement, so wie früher im Jemen. Damit gehört er zu den bisher zwei Prozent der Geflüchteten, die in Deutschland wie zuvor auch in ihrem Leben eine Führungsposition einnehmen. Der Weg dahin ist steinig. Und Unterstützung bitter nötig.

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Privat


Verantwortliche der CARe-Fokusgruppe Ende 2019 in Zürich: Nabila Chehab (DAAD), Susanne Findeisen (DAAD), Saara Paavilainen (EDUFI) sowie Marija Mitic (ACA) und Martin Bogdan (ACA) (v. l.).

Grund genug für den DAAD, in den beiden vergangenen Jahren Hilfen für geflüchtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Weg zur Beschäftigung in Deutschland zu entwickeln. Der Onlinetalk mit Prof. Al-Towaie über den Arbeitsmarkt gehört zum europaweiten Unterstützungsprojekt „Career Advancement for Refugee Researchers in Europe“ (CARe). Um sich daran zu beteiligen, hatte sich der DAAD mit zwei weiteren Partnern zusammengetan: der EU-weiten Academic Cooperation Association (ACA) mit Sitz in Brüssel und der Finnish National Agency for Education (EDUFI. Das Ziel: Doktorandinnen und Doktoranden, Postdocs sowie Junior- und erfahreneren Forscherinnen und Forschern den Weg in die Arbeitsmärkte zehn europäischer Länder zu ebnen. Eingebettet war das Projekt in das EU-Förderprogramm Horizon 2020 im Rahmen der Initiative Science4Refugees sowie das EU-Netzwerk EURAXESS mit seinen 500 Beratungszentren, die international mobile Forschende fördern. 80 dieser Zentren befinden sich in Deutschland.

Geflüchtete haben viel Potenzial
„In den beiden vergangenen Jahren ist allen Beteiligten ein wichtiger Schritt gelungen“, sagt CARe-Projektkoordinatorin Susanne Findeisen. „Die Geflüchteten werden darin unterstützt, sich in der oft sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Kultur und Struktur des jeweiligen Landes einzufinden.“ Mancher Unterschied kann sich zum Fallstrick entwickeln, wenn man ihn nicht kennt. Dr. Georg Krawietz, der das DAAD-Referat Internationales Forschungsmarketing leitet, hat das Deutschland-Web-Seminar mit Hussain Al-Towaie moderiert. Er sagt: „Manchmal sind bestens ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Geflüchtete förmlich gelabelt. Das erschwert Bemühungen, die Fähigkeiten und damit das Potenzial der Menschen für die Forschung und Produktion in Deutschland zu entdecken.“ Nicht zuletzt, sagt Findeisen, sei der DAAD mit den Forschenden, die einen Fluchthintergrund haben, auf eine neue Zielgruppe zugegangen: „Das hat das Profil des DAAD als Akteur für diese Zielgruppe geschärft.“

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Susanne Findeisen/DAAD


Projektmeeting im Dezember 2020 – unter Corona-Bedingungen am Bildschirm. Mittig unten mit Headset Dr. Georg Krawietz, Leiter des Referats Internationales Forschungsmarketing beim DAAD.

Austausch und Vernetzung mit weiteren Angeboten
Das Web-Seminar diente auch der Vernetzung der Bewerberinnen und Bewerber mit weiteren Angeboten. Neben Al-Towaie informierte dort Frank Albrecht über die von ihm vertretene Philipp-Schwartz-Initiative (PSI) bei der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), die ebenfalls Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Fluchthintergrund unterstützt. Eleni Andreanopulu, Leiterin des Informationszentrums des DAAD in Athen, gab aus ihrer vergangenen Arbeit als Leiterin des International Office der Universität Bielefeld Hinweise zur Unterstützung von Forscherinnen und Forschern in der Zielgruppe. Sie umfassen akademische wie praktische und administrative Angelegenheiten. Darüber hinaus stellten die Projektbeteiligten Informationen für die Integration von geflüchteten Forscherinnen und Forschern im jeweiligen Arbeitsmarkt für die zehn europäischen Projektländer – darunter auch für Deutschland – in „Country Guides“ zusammen und veröffentlichten sie online. Dazu gehören Hinweise zu Hilfen, die Organisationen und Programme vorhalten, sowie Möglichkeiten zur Vertiefung der Sprachkenntnisse. „In den fehlenden Sprachkenntnissen liegt oft ein Haupthindernis für die weitere Beschäftigung“, sagt Findeisen, „neben einem unsicheren Aufenthaltsstatus und einer ungeklärten fachlichen Qualifikation im jeweiligen Gastland.“

Zu Beginn des Projekts wurden zunächst die Bedarfe und Herausforderungen für die Zielgruppe der geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in allen zehn Projektländern erhoben. Dafür wurden Fokusgruppen organisiert, in denen die Teilnehmenden die Möglichkeit hatten, sich über Erfahrungen und Hindernisse auf dem Weg hin zu einer Beschäftigung auszutauschen. Außerdem stellt das Projekt die Ergebnisse einer anschließend durchgeführten Arbeitgeberbefragung zwischen November 2019 und Februar 2020 bereit: Diese bieten wertvolle Informationen über Arbeitsmarktbedingungen und -anforderungen aus Sicht von Wissenschaftsinstitutionen und Unternehmen.

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DAAD


„Die Menschen mit ihren Möglichkeiten sehen statt ihrer akuten Situation“: Dr. Ursula Egyptien, Leiterin des Marketing im DAAD.

Eine gesellschaftliche Investition
„Die Hilfe für Geflüchtete mit Hochschulqualifikation ist eine gesellschaftliche Investition“, sagt Dr. Ursula Egyptien, Bereichsleiterin Marketing im DAAD. Viele von ihnen brächten Potenzial mit für Austausch und Vernetzung in den Wissenschaften. Beides sei heute wichtiger denn je für die Attraktivität eines Wissenschaftsstandortes. Daher müsse die Gesellschaft ein Interesse daran entwickeln, „die Perspektive zu wechseln und die Möglichkeiten dieser Menschen zu sehen statt nur ihre akute Situation. Auch müsse sie den Einzelnen mit ihren ganz unterschiedlichen Qualifikationen Chancen eröffnen“. Dabei gelte es auch, Austausch zu pflegen und zu fördern, damit das wechselseitige Verständnis wachse. Wie wichtig das sei, davon berichtete auch Hussain Al-Towaie im Web-Seminar „CARe Online Talk Germany“. Neben seiner Professur an der TU Darmstadt engagiert sich der Wissenschaftler heute für internationale Studierende und den wissenschaftlichen Kontakt zwischen Europa und dem Mittleren Osten.

Wolfgang Thielmann (21. Januar 2021)