„Es darf keinen Stillstand geben“

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Für die neuen Aufenthaltsbestimmungen und Arbeitsbedingungen, die ab Januar 2021 für Großbritannien gelten, will der DAAD das Bewusstsein schärfen.

Der endgültige Ausstieg der Britinnen und Briten aus der EU steht kurz bevor. Was bedeutet das für den wissenschaftlichen Austausch? Ruth Krahe, die Leiterin der DAAD-Außenstelle London, schildert den aktuellen Stand aus ihrer Perspektive.

Frau Krahe, wie ist die Stimmung an den britischen Hochschulen?
Angespannt. Durch den Brexit und die Corona-Krise kommen zwei sich verändernde Rahmenbedingungen zusammen, die großen Einfluss auf die Hochschulen haben. Hinzukommt, dass wesentliche Punkte – gerade hinsichtlich der Beteiligung an den EU-Förderprogrammen – noch immer unklar sind und wahrscheinlich erst kurz vor Ende der Übergangsphase geklärt werden. Daher ja, die Stimmung ist angespannt. Aber was die neuen Einwanderungsregelungen und Aufenthaltsbestimmungen betrifft, muss man sagen: Die britischen Hochschulen sind schon seit Jahrzehnten erprobt und erfahren darin, Studierende und Forschende bei ihren Visumsfragen zu unterstützen. Für sie kommt jetzt lediglich eine Gruppe hinzu, die das noch nicht kennt. Die Verfahren sind digitalisiert, und die Antragsstellung ist somit ohne einen Gang zur Botschaft möglich.

 „Es darf keinen Stillstand geben“

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Ruth Krahe, Leiterin der DAAD-Außenstelle London, ist zuversichtlich, dass die jahrzehntelange gute Zusammenarbeit zwischen britischen und deutschen Hochschulen trotz Brexit fortgesetzt wird.

DAAD-Außenstelle London

  • Ruth Krahe hat in Großbritannien studiert, ihre Magisterarbeit zur britischen Innenpolitik geschrieben und ist dem Land sehr verbunden.
  • Seit November 2019 leitet sie die DAAD-Außenstelle London.
  • Die Außenstelle ist die älteste von 17 DAAD-Außenstellen. Sie wurde 1927 gegründet und nach dem Krieg 1952 wiedereröffnet.

Worauf müssen sich Studierende sowie Dozentinnen und Dozenten aus Deutschland einstellen?
Egal, ob es zum harten oder zum weichen Brexit kommt: Es gibt neue Regelungen für die Einreise und die Aufenthaltsbestimmungen, die unbedingt zu beachten sind. Das Positive vorweg: Aufenthalte von bis zu sechs Monaten, zum Beispiel für ein Kurzstudium oder einen Forschungsaufenthalt, sind ohne Visumsantrag möglich. Das macht einen Semesteraufenthalt relativ unkompliziert. Allerdings darf man während dieser Zeit auch nicht arbeiten, der Reisezweck ist klar begrenzt. Wer länger bleiben möchte, muss ein Visum beantragen und diese Antragszeit unbedingt einplanen. Neben den Visumsgebühren fallen außerdem Studiengebühren und die Kosten für den nationalen Gesundheitsdienst an. Der Vorteil eines Langzeitaufenthaltes ist, dass Studierende arbeiten dürfen und so zumindest einen Teil dieser Kosten wieder hereinholen können. Insgesamt sind wir vom DAAD sehr gefordert: Wir müssen das Bewusstsein schärfen, wie wichtig es ist, sich an die Vorgaben zu halten. Aber das vermitteln wir auch schon Studierenden und Dozierenden, die in die USA oder andere Länder mit strengen Aufenthaltsbestimmungen und Arbeitsbedingungen reisen. Als DAAD-Außenstelle stehen wir im engen Austausch mit den britischen Organisationen, um gerade in dieser Übergangsphase viel und transparent zu kommunizieren. Die Einschränkungen der Personenfreizügigkeit müssen einfach sehr ernst genommen werden.

Wie ist der Status bei Erasmus+?
Alle Projekte, die im Rahmen der Calls 2019 und 2020 noch eine Förderung bekommen haben, finden bis 2023 statt – aufgrund der Corona-Pandemie sind sie um zwölf Monate verlängert worden. Was danach kommt, ist leider immer noch ungewiss. Momentan ist die Diskrepanz zwischen den Wünschen und Vorstellungen der EU-Kommission und Großbritannien groß: Die Kommission möchte, dass das Vereinigte Königreich an der nächsten Programmgeneration 2021–2027 über die gesamte Laufzeit teilnimmt, und zwar an allen drei Leitaktionen (Mobilität, Partnerschaften und Kooperationsprojekte sowie Politikunterstützung). Großbritannien hingegen möchte sich nur für zwei Jahre verpflichten und lediglich die Individualmobilität, also Leitaktion 1, zulassen. Ähnliche Diskrepanzen gibt es beim Programm Horizon Europe. Wird es weiterhin zu einem akademischen Austausch zwischen Großbritannien und der EU kommen, wäre es – gerade mit Blick auf Erasmus+ –besonders erstrebenswert, für den gesamten Bereich „educational exchange“ eine extra Visumsroute für einen reibungslosen Austausch auf den Weg zu bringen. Insbesondere der Bereich Praktikum ist noch völlig ungeklärt, und gerade über Erasmus+ haben sich immer viele Studierende für ein Praktikum beworben.

Welche Lösungen könnten deutsche Hochschulen und ihre britischen Partnerhochschulen anstreben, wenn es zum harten Brexit kommt?
Viele Hochschulen auf beiden Seiten pflegen seit Jahrzehnten enge Kontakte. Vielleicht streben diese Kooperationspartner einen gegenseitigen Verzicht oder eine Reduzierung der Studiengebühren an. Die britischen Hochschulen sind frei in der Festlegung der Gebühren. Allerdings stehen sie untereinander im Wettbewerb. Man wird keine generelle Studiengebührenfreiheit für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger einführen können. Das ist eine Frage von Fairness und Wettbewerb. Aber natürlich gibt es die Möglichkeit, im Rahmen eines Kooperationsvertrages diese Studiengebühren über universitätsinterne Stipendien zu reduzieren oder zu erlassen etc. Vielleicht wird die ein oder andere britische Hochschule bald mehr mit solchen universitätseigenen Stipendienprogrammen, die nun auch europäischen Studierenden offenstehen, werben. Vor der Entscheidung, ob es mit Erasmus+ weitergeht oder nicht, wird sich aber niemand positionieren. Ersatzprogramme werden sich, wenn erforderlich, im nächsten Jahr entwickeln.

Warum ist auch den britischen Hochschulen die Teilnahme an den EU-Programmen so wichtig?
Bei dieser Teilhabe geht es nicht nur ums Geld, das muss man deutlich sagen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die große Sorge, dann nicht mehr Teil der europäischen Netzwerke zu sein. Die britische Regierung hat zwar eigene Fördermittel in Aussicht gestellt, aber den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geht es ganz klar um mehr. Sie wollen sich nicht nur bilateral austauschen, das reicht aus ihrer Sicht nicht aus.

Welche Signale sind jetzt gefragt?
Wir müssen den britischen Hochschulen zeigen, dass wir sie weiterhin als wichtige und verlässliche Partner sehen und unterstützen. Es darf am 1. Januar 2021 keinen Riss geben, keinen Stillstand. Der Austausch muss in alle Richtungen weitergehen. Denn jeder Studierende oder Dozierende, der oder die an einem Austausch teilnimmt, trägt dazu bei, dass in der breiteren Bevölkerung die Abkehr von den anderen europäischen Ländern nicht weiter zunimmt. Die deutschen Hochschulen haben seit über 40 Jahren sehr enge Verbindungen zu den exzellenten Hochschulen in Großbritannien aufgebaut. Wir merken, dass beide Seiten diese gute Zusammenarbeit weiterhin erhalten und stärken wollen.

Astrid Hopp (21. Dezember 2020)

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