Bilanz und Perspektiven der deutsch-russischen Wissenschaftszusammenarbeit

Auswärtiges Amt

Die Abschlussveranstaltung „Deutsch-Russischer Dialog in Wissenschaft und Bildung: Gemeinsam die Zukunft gestalten”, die am 15. September 2020 in Berlin und Moskau parallel stattfindet, ist ein zentraler Meilenstein des Deutsch-Russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft. Im Interview mit DAAD Aktuell schildert Vito Cecere, Beauftragter für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik im Auswärtigen Amt, seine Eindrücke vom Themenjahr und von der bilateralen Wissenschaftszusammenarbeit.

Herr Cecere, das Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft nähert sich seinem Ende. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?
Das laufende bilaterale Themenjahr, das Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft, zielt im Wesentlichen darauf ab, die Vielfalt der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen noch breiter in die Öffentlichkeit zu tragen und neue Impulse für die Zusammenarbeit zu setzen. Das ist uns gemeinsam mit den deutschen Koordinatoren des Themenjahres im DAAD und beim DWIH in Moskau aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Auch die Zusammenarbeit mit den russischen Kolleginnen und Kollegen gestaltete sich insgesamt sehr gut. Schon bei Betrachtung der Menge und Vielfalt der Veranstaltungen sowie aufgrund der großen Zahl inhaltlicher Beiträge auf der Webseite des Themenjahres kann ich eine uneingeschränkt positive Bilanz ziehen: Rund 6.000 Menschen aus der Wissenschaft und den Zivilgesellschaften beider Länder haben an Präsenzveranstaltungen des Themenjahres teilgenommen. Und auch die Qualität der Veranstaltungen und der Projekte sowie die persönlichen Geschichten zu den einzelnen Vorhaben sind mehr als beeindruckend.

Zwei zentrale Veranstaltungen – eine davon wird nun stattfinden – möchte ich besonders hervorheben: Die Halbzeit-Veranstaltung „Deutsch-Russisches Forum der universitären Forschung“ in Moskau und die Abschlussveranstaltung „Deutsch-Russischer Dialog in Wissenschaft und Bildung: Gemeinsam die Zukunft gestalten” in Berlin und Moskau markieren zentrale Meilensteine des aktuellen Themenjahres. Beide Veranstaltungen habe ich erlebt, was mich außerordentlich freut! Spitzenvertreterinnen und -vertreter sowie Expertinnen und Experten aller beteiligten Wissenschaftsdisziplinen beider Länder haben die Möglichkeit genutzt, drängende Zukunftsfragen zu diskutieren, den Erfolg gemeinsamer Projekte vorzustellen und neue Initiativen zu besprechen. Einen großen Dank möchte ich an dieser Stelle allen Mitwirkenden aussprechen, die dazu beigetragen haben, dass trotz Einschränkungen durch Corona mit der „hybriden Abschlussveranstaltung“ ein passendes Format gefunden wurde, dem erfolgreichen Themenjahr einen würdigen Abschluss zu geben.

Bilanz und Perspektiven der deutsch-russischen Wissenschaftszusammenarbeit

Auswärtiges Amt

Vito Cecere, Beauftragter für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik im Auswärtigen Amt: „Nur gemeinsam mit internationalen Partnern wird es möglich sein, auf die drängenden Fragen der heutigen Zeit Antworten und Lösungen für morgen zu finden.

Was hat Sie besonders beeindruckt?
Die hohe Zahl von 124 eingereichten Bewerbungen für den Wettbewerb „Brücken für die deutsch-russische Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit“ hat uns alle positiv überrascht. Sie bestätigt aus unserer Sicht zum einen das Engagement in der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen auf beiden Seiten sowie zugleich die insgesamt sehr gute Resonanz des Themenjahres in der deutsch-russischen Wissenschaftscommunity. Dabei ist es das Zusammenspiel mehrerer Ebenen, die ein solches Themenjahr erst vollständig beleben: Die hervorragende und professionelle Zusammenarbeit sowohl zwischen dem Auswärtigen Amt und dem DAAD als auch zwischen deutschen und russischen Partnern und nicht zuletzt der täglich gelebte Austausch innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft. Wenn dies alles gut ineinandergreift, so wie wir dies hier erlebt haben und erleben, kann man verstehen, was wir uns unter einer erfolgreichen deutschen Science Diplomacy vorstellen.

Was zeichnet die Gewinnerprojekte des Wettbewerbs „Brücken für die deutsch-russische Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit“ aus?
Aus den bilateralen Bewerbungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen wurden in einer virtuellen Auswahlsitzung, an der ich persönlich teilgenommen habe, 25 Gewinnerprojekte aus den vier zentralen Bereichen des Themenjahres – Hochschulkooperation, Spitzenforschung, Innovation und Nachwuchsförderung – ausgewählt, um sie bei der Abschlussveranstaltung am 15. September 2020 für ihre hervorragende Zusammenarbeit auszuzeichnen. Die ausgewählten Projekte spiegeln in einzigartiger Weise die Vielfalt der deutsch-russischen Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit wider. Thematisch reichen sie von Doppelmasterprogrammen in den Ingenieurwissenschaften, gemeinsamen Experimenten in der Internationalen Raumstation ISS, der russisch-deutschen Kooperation in der Arktisforschung zum besseren Verständnis des Klimawandels bis hin zu verschiedenen Sommerschulen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Welche Schwerpunkte sehen Sie vor dem Hintergrund der globalen Covid-19-Pandemie in der zukünftigen deutsch-russischen Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit? Wie wird das Auswärtige Amt zu deren Umsetzung beitragen?
Schon vor der gegenwärtigen Corona-Krise waren wir überzeugt, dass globale Herausforderungen wie beispielsweise der Klimawandel nur auf der Basis von bi- und multilateraler Zusammenarbeit zu bewältigen sein werden. In der größten Polarexpedition aller Zeiten, „MOSAiC“, erforschen mehrere Hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 17 Nationen die Ursachen des Klimawandels. Die enge Zusammenarbeit des deutschen Alfred-Wegener-Instituts, des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung sowie des russischen Arctic and Antarctic Research Institute illustriert gut, warum das Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018-2020 eine so wichtige Initiative ist. Allen Beteiligten ist klar, dass ein so aufwendiges Projekt nur gemeinsam gelingt, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Und es macht deutlich: Vertrauen ist besonders da wichtig, wo viel auf dem Spiel steht. Ein solches Vertrauen im Wissenschaftsbereich bleibt uns, so zeigt die Erfahrung, auch in Phasen politischer Differenzen erhalten. Genau deswegen ist und bleibt die Kooperation im Wissenschafts- und Hochschulbereich, gerade gegenüber Ländern wie Russland, mit denen die bilateralen Beziehungen auch immer wieder von schwierigen und kontroversen Themen dominiert werden, ein wichtiges Dialogformat.

Nur gemeinsam mit internationalen Partnern wird es möglich sein, auf die drängenden Fragen der heutigen Zeit Antworten und Lösungen für morgen zu finden. Mit beinahe 1.000 deutsch-russischen Hochschulkooperationen und bilateralen Forschungsprojekten sind unsere Länder für diese Aufgabe gut gerüstet. Unterstützt werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei von einem dichten Netz aus Forschungsförder- und Mittlerorganisationen. Das Auswärtige Amt setzt sich dabei stets auch für eine gute Arbeitsfähigkeit der deutschen Organisationen ein. Gleichzeitig entsteht durch die Zusammenarbeit mit den deutschen Repräsentanzen der Wissenschaftsorganisationen in Russland Raum, um Initiativen und Ideen des Auswärtigen Amts gemeinsam voranzubringen: Um noch breiter die Zivilgesellschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, wird es ein neues Deutschlandjahr in Russland geben. Das nächste bilaterale Themenjahr wird dann das Thema „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung“ haben.

Wo sehen Sie Synergiepotenziale und Entwicklungsmöglichkeiten für die weitere deutsch-russische Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit? Welche langfristigen Erwartungen knüpfen Sie an das Programm?
Mit diesem Themenjahr verfolgen wir die Hoffnung, durch neue Impulse und größere Aufmerksamkeit auch in den Provinzen und Bundesländern die bereits enge deutsch-russische Hochschul- und Wissenschaftszusammenarbeit weiter zu stärken und auszubauen, zum Beispiel durch eine weitere Zunahme an Studierenden im jeweils anderen Land, die Ausweitung von Forschungskooperationen auf weitere Disziplinen genauso wie mehr internationale Projekte an Hochschulen. Aktuell zeigt sich dabei auch, wie wichtig der Austausch der Erfahrungen und Best Practices zwischen den Universitäten beider Länder im Umgang mit der Pandemie und die Zusammenarbeit im Bereich der Digitalisierung der Lehre und des Lernens war und ist.

Synergien ergeben sich auch mit der bilateralen sogenannten „Roadmap“, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem Russischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft als neuen strategischen Rahmen für zehn Jahre unterzeichnet hat, um unsere Kooperation in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation zu vertiefen. Hier gibt es sicherlich gute Anknüpfungspunkte zu unserem Dialogformat Themenjahr, in dem es uns gut gelungen ist, die deutsch-russische Wissenschaftspartnerschaft neu und vielfältig bunt zu beleuchten und Partnerinnen und Partner, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen auf beiden Seiten nachhaltig als Ganzes zu vernetzen und voranzubringen.

(15. September 2020)

Weitere Informationen

Die zweisprachige Webseite zum Deutsch-Russischen Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft bietet einen Überblick über die gemeinsamen Aktivitäten und darüber hinaus zahlreiche inhaltliche Beiträge der Menschen, die die Zusammenarbeit in ihrer täglich Arbeit Wirklichkeit werden lassen. Sie wurde in enger Zusammenarbeit zwischen den zuständigen deutschen und russischen Koordinatorinnen und Koordinatoren des DAAD, des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH Moskau) sowie von der Nationalen Universität für Wissenschaft und Technologie „MISiS” und dem Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung der Russischen Föderation ins Leben gerufen und fortlaufend aktualisiert.