Hochschulen im digitalen Wandel

Peter Himsel

Globaler Austausch über Digitalisierung an Hochschulen auf der internationalen Strategie-Konferenz 2019. Die nächste Digitalisierungskonferenz des DAAD folgt im Herbst 2020.

Prof. Dr. Ada Pellert und Dr. Susan Grajek sprechen im Interview über Digitalisierungsstrategien für Hochschulen und darüber, welche Rolle universitäts-interne Verständigung, Vereinfachung und Innovation dabei spielen können. Beide Expertinnen waren Hauptrednerinnen auf der internationalen Strategiekonferenz „Strategies Beyond Borders – Transforming Higher Education in a Digital Age“, die der DAAD gemeinsam mit dem Hochschulforum Digitalisierung (HFD) im Dezember 2019 ausgerichtet hatte.

Frau Pellert, was sind die Schritte für eine deutsche Hochschule auf dem Weg zu einer eigenen Digitalisierungsstrategie?
Am Anfang steht die hochschulinterne Verständigung zum Phänomen Digitalisierung: Was heißt das jeweils für den Lehr-, Forschungs- und Verwaltungsbereich? Dann folgt das Zusammenführen der Teilstrategien zu einer Gesamtstrategie. Die Verständigung zwischen den eben genannten Bereichen muss ernst genommen werden, da nicht zwingend klar ist, dass Digitalisierung ein Phänomen für die Hochschulen ist, dem nur durch das gezielte Zusammenwirken von Lehre, Forschung und Dienstleistungen erfolgreich begegnet werden kann. In der Umsetzung muss ein besonderes Augenmerk auf eine gute Unterstützung durch die Supportbereiche und die Kompetenzentwicklung für alle Angehörigen der Hochschule gelegt werden.

Frau Grajek, wie lässt sich Changemanagement in Hochschulen effektiv und erfolgreich gestalten?   
Wichtig ist, eine Theorie des Wandels zu haben. Eine Theorie des Wandels ist eine klare Vision für den Endzustand, den Sie erreichen wollen – kombiniert mit einem Gespür für die Hebel und Katalysatoren, die diesen Wandel bewirken und beschleunigen können. In unserer heutigen Zeit wird die Digitalisierung zu dem zentralen Element in der Arbeit für den Wandel. Daher müssen wir die digitalen Hebel für den Wandel identifizieren, ebenso wie die kulturellen und beschäftigungsbezogenen Veränderungen, die eine digitale Transformation flankieren müssen.

Strategy beyond borders

Peter Himsel

Dr. Susan Grajek: Die Vize-Präsidentin von EDUCAUSE arbeitete zuvor viele Jahre in Führungspositionen an der Yale University.

Frau Grajek, Sie haben vier „Grand Challenges“ oder auch Prioritäten, die amerikanische Universitäten typischerweise setzen, benannt: Studienerfolg, finanzielle Stabilität, Reputation sowie externer Wettbewerb. Können Sie etwas zur Rolle der Digitalisierung in diesem Zusammenhang sagen?

Eine „Grand Challenge“ bestimmt das Ziel, und eine „Grand Strategy“ beschreibt, wie das Ziel erreicht werden soll. Ich schlage zwei potenzielle „Grand Strategies“ für die digitale Transformation vor: Vereinfachung und Innovation.

Vereinfachung kann die geeignetere Strategie sein, um insbesondere finanzielle Stabilität und Studienerfolg herbeizuführen, da sie eine Universität bei der Konzentration auf die Vereinfachung von Tätigkeiten und Prozessen unterstützt, deren Kosten senkt und Verbesserungen in der Anwenderfreundlichkeit fokussiert.  Eine „Grand Strategy“ der Vereinfachung kann bewirken, dass eine Universität sich vor allem mit Unternehmensarchitektur, mit Neuplanung und Management von Prozessen, nutzerzentriertem Design, KI und dem "Internet of Things“ (IoT) befasst, um die Automatisierung von manuellen Tätigkeiten, Produkt- und Servicemanagement sowie Personalisierung kontinuierlich zu verbessern. Cloud und Shared Services, die Nutzung von Daten und Analysen zur Entscheidungsfindung sowie eine einrichtungsweite strategische Planung, IT und Datensteuerung werden gefördert.

Innovation wäre eine gute „Grand Strategy“, wenn es um Reputation und relevanten Wettbewerb unter Hochschulen beziehungsweise auch hier um den Studienerfolg geht. Eine Institution, die eine „Grand Strategy“ für Innovation verfolgt, könnte den Schwerpunkt auf die Nutzung von Daten und Analysen zur Entscheidungsfindung legen, Fakultätsstellen anpassen zur Unterstützung von Studienerfolg und neuen Technologien, Forscherinnen und Forschern bei der Anwendung neuer digitaler Forschungsmethoden und einer stärkeren Kooperation behilflich sein und neu entstehende Technologien übernehmen, wie etwa Extended Reality (XR), Robotik, Blockchain, IoT und maschinelles Lernen. Forschungsdienste der Einrichtung könnten stärker integriert und ausgeweitet werden, neue Führungspositionen in neuen Bereichen könnten geschaffen werden (wie etwa Chief Innovation Officer oder Chief Learning Officer). Umfangreiche Künstliche-Intelligenz-, Daten- und Internetplattformen würden für Studienerfolg und Verwaltung eingesetzt.

Jede Universität wird da ihre eigenen Besonderheiten haben.

Frau Pellert, welche Rolle spielt die Leitungsebene einer Universität im Prozess der Strategiebildung für Digitalisierung?
Wie immer hat die Leitungsebene ein wichtige Vorbildfunktion. Leitungsarbeit findet an Hochschulen jedoch auf vielen Ebenen statt: zum Beispiel in Gremien als kollegiales Management, in großen Forschungs- und Lehrprojekten als Wissenschaftsmanagement und durch die dafür vorgesehenen Leitungspositionen als institutionelles Management. Auf all diesen Ebenen muss eine ernsthafte und reflexive Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung stattfinden. Damit soll signalisiert werden, dass sich die Hochschule ihrer gesellschaftlichen Verantwortung angesichts einer großen Transformation bewusst ist und dass hier alle – auch die Führungskräfte – Neues lernen müssen und können. Und nicht zuletzt auch, dass man sich damit beschäftigt, weil man den Wandel selbst gestalten und nicht nur „erleiden“ will.

Strategy beyond borders

Peter Himsel

Prof. Dr. Ada Pellert: Die Rektorin der FernUniversität in Hagen ist auch Mitglied des Digitalrates der Bundesregierung.

Frau Pellert, wenn Sie in Sachen Digitalisierung einen Wunsch für die deutsche Hochschullandschaft frei hätten, was sollte in Erfüllung gehen?
Dann würde ich mir wünschen, dass die sehr holzschnittartige Auseinandersetzung mit Präsenzlehre (zum Beispiel immer persönlichkeitsbildend) und digitaler Lehre (zum Beispiel immer unpersönliche Standardisierung) durch eine differenziertere Diskussion abgelöst wird, die deutlich macht, dass vor allem Blended Learning eine Möglichkeit der Qualitätssteigerung in der Lehre ist – aber nur dann, wenn wir uns genau überlegen, welche Inhalte in welcher Form vermittelt werden sollen. Insgesamt werden sich auch partiell vorhandene politische Ideen – etwa, dass gutes Lehren und Lernen durch Digitalisierung jedenfalls billiger wird – als unrealistisch herausstellen.

(20. März 2020)

Vita

Prof. Dr. Ada Pellert ist seit März 2016 Rektorin der FernUniversität in Hagen. Seit September 2016 ist sie zudem Vorsitzende der Kooperationsplattform Digitale Hochschule NRW (DH.NRW) und seit August 2018 Mitglied des Digitalrates der Bundesregierung. Zuvor war die Wirtschaftswissenschaftlerin im Hochschulmanagement verschiedener Universitäten im deutschsprachigen Raum sowie als Professorin für Organisationsentwicklung und Bildungsmanagement tätig.

Vita

Dr. Susan Grajek ist Vizepräsidentin für das Ressort „Communities and Research“ bei EDUCAUSE. Zuvor war sie über 25 Jahre an der Yale University in einer Vielzahl von IT-Management- und Führungspositionen an der Universität tätig, unter anderem in den Bereichen wissenschaftliche Informatik, IT-Support, Kommunikation, strategische Planung und Netzwerkmanagement.

Terminankündigung

Die Fäden der Digitalisierungsdiskussionen rund um globalen Austausch sowie Lehre und Lernen werden aufgenommen bei der nächsten Digitalisierungskonferenz des DAAD mit dem Titel „Moving target digitalisation: Re-thinking global exchange in higher education“, die im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft am 5./6. Oktober 2020 an der Universität Potsdam (Campus Griebnitzsee) stattfindet.