Als internationale Lehrkraft die Schulperspektive wechseln

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Niklas Marzin nutzte die Zeit in Japan für ein wenig Sightseeing, wie hier vor dem Kaminari-mon, Japanisch für „Donnertor“, einem Eingangstor zum Sensō-Tempel in Tokio

Bei angehenden Lehrkräften erfreut sich das neue DAAD-Programm „Lehramt.International“ großer Beliebtheit. 633 Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen vor dem Referendariat nutzten das Angebot 2019 für ein Schulpraktikum im Ausland – für viele der erste lange Auslandsaufenthalt und eine wichtige praktische Erfahrung als Lehrende. Marie-Sophie Hullmann und Niklas Marzin waren unter den ersten Teilnehmenden und berichten von ihren nachhaltigen Eindrücken.

Ein Perspektivwechsel kann die Welt in ganz neuem Licht erscheinen lassen. Dass das nicht nur für die Fotografie gilt, sondern auch für die Schule, weiß Marie-Sophie Hullmann. Die Hobbyfotografin und angehende Grundschullehrerin machte ein dreimonatiges Schulpraktikum am Rande von Dublin. Hier verbrachte sie ihre Tage an der Greenlanes National School und schlenderte an den Wochenenden mit ihrer Spiegelreflexkamera durch die Umgebung Dublins. „Ich mag diese Landschaft. Schottland oder Irland waren meine favorisierten Ziele für einen Auslandsaufenthalt“, erzählt die 22-Jährige. An der Universität Münster studiert sie Deutsch, Mathematik, Englisch und Bildungswissenschaften im Bachelor. „Wer eine Sprache unterrichten möchte, sollte sie auf einem authentischen und hohen Niveau beherrschen. Das lernt man am besten im Ausland, wo man ihr rund um die Uhr ausgesetzt ist. Außerdem wächst man an der Herausforderung auf sich alleine gestellt zu sein“, nennt sie ihre Motivation für ein Praktikum im Ausland. Im Zentrum für Lehrerbildung informierte sie sich über aktuelle Fördermöglichkeiten, darunter war bereits das neue Angebot des DAAD-Programms „Lehramt.International“. Marie-Sophie Hullmann bewarb sich und bekam die Zusage. Die Beratungsstelle vermittelte auch Kontakte zu ehemaligen Praktikantinnen und Praktikanten für einen Erfahrungsaustausch. Nach der Zustimmung der irischen Schule besorgte sich die Studentin über eine Internet-Plattform eine Unterkunft bei einer Gastfamilie. Wenig später ging es schon los gen Dublin.

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Am Strand von Portmarnock im Osten Dublins genießt Marie-Sophie Hullmann gerne ihre Freizeit

Niklas Marzin verhalf eher der Zufall zu seiner ersten langen Auslandserfahrung: Er erfuhr durch eine Kommilitonin von der umfassenden DAAD-Förderung. „Dafür bin ich ihr wirklich dankbar“, freut sich der Lehramtsstudierende für Mathematik und Chemie an der TU Dresden. Denn: Dem Hinweis der Bekannten verdankt er einen sechsmonatigen Aufenthalt an der Deutschen Schule im japanischen Yokohama. „Die Mentalität und Kultur dort faszinieren mich. Deshalb hatte ich vor einiger Zeit privat schon einmal einen Japanischkurs belegt und mich dann für Japan entschieden, als es um das Gastland für mein Praktikum ging“, sagt der 23-Jährige. „Danach habe ich versucht, Kontakt zu ehemaligen Praktikantinnen und Praktikanten zu knüpfen, um mir von deren Erfahrungen berichten zu lassen.“ Mit der Zusage aus Japan und dem Okay seiner Universität in der Tasche bewarb sich Niklas Marzin dann erfolgreich für „Lehramt.International“. „Ohne diese Förderung wäre ein so langer Aufenthalt für mich nicht realisierbar gewesen. Super, dass es nun auch für uns Lehramtsstudierende etwas gibt, was in vielen anderen Studiengängen Usus ist. So eine Erfahrung ist schließlich für alle bereichernd.“

Deutsche Schule einmal anders
In der Schule in Yokohama, die Niklas Marzin bei der Suche nach einer Unterkunft unterstützt und vorab über die Gepflogenheiten in Japan informiert hat, unterrichtet er auf Deutsch. Die Schulklasse setzt sich vornehmlich aus Kindern mit mindestens einem deutschsprachigen Elternteil zusammen. Insgesamt sind rund 20 Nationalitäten vertreten, nicht alle sprechen Deutsch als Muttersprache. Vereinzelt besuchen auch japanische Kinder die Schule und erhalten gesonderten Sprachunterricht für Deutsch als Fremdsprache. Diese Konstellation verlangt von den Lehrenden eine besondere Genauigkeit bei der Benutzung der deutschen Sprache und die Entwicklung spezieller Strategien hinsichtlich der Erklärung von Fachbegriffen. „Das Praktikum schult einen im Umgang mit Multikulturalität und Diversität im Unterricht. Man lernt an Situationen in der Praxis, wie man Lehr-Lern-Settings binnendifferenziert und adressatengerecht konzipiert“, sagt Niklas Marzin, der selbst gerne die Japanisch-Angebote für das Kollegium nutzt. Auch die moderne Ausstattung der Deutschen Auslandsschule aus dem PASCH-Netzwerk  begrüßt er. Zum Beispiel gibt es in allen Räumen Smartboards, auf die Inhalte direkt vom iPad aus gestreamt werden können – so lässt sich der Unterricht modern und multimedial gestalten.

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Niklas Marzin fühlt sich wohl an der Deutschen Schule in Yokohama. Er bleibt für insgesamt sechs Monate als DAAD-Stipendiat in Japan

Sich in Gestaltungsspielräumen entwickeln
Begünstigt durch den langen Aufenthalt wird dem DAAD-Stipendiaten viel Verantwortung in der Unterrichtsleitung übertragen, so dass er reichlich Praxiserfahrung sammelt. „Im Anschluss meines Unterrichts reflektieren mein Mentor und ich die Stunde didaktisch, auch dadurch lerne ich sehr viel.“ Zudem nimmt Niklas Marzin an Konferenzen teil oder begleitet Exkursionen.

Marie-Sophie Hullmann bekam in ihrer Schule in Dublin ebenfalls von Beginn an viele Freiheiten in der Unterrichtsgestaltung – mehr als bei ihren bisherigen Praktika in Deutschland. Sie unterrichtete in der ersten und dritten Klasse der Grundschule, die in Irland Schülerinnen und Schüler im Alter von vier bis zwölf Jahren besuchen. „Ich war in meiner Themenwahl sehr frei, natürlich innerhalb der Richtlinien des Curriculums. Aber so konnte ich kreativ sein“, sagt die DAAD-Stipendiatin. Im Sachunterricht nahm sie zum Beispiel die Länder der EU, Kinderrechte oder Recycling durch. Überrascht war sie vom flexiblen Zeitmanagement an der Schule. „Wenn das Wetter gut war, wurde die Pause kurzerhand von 30 auf 60 Minuten verlängert, damit die Kinder sich länger draußen bewegen können. Denn es gibt keine Sporthalle“, erzählt Marie-Sophie Hullmann. Trotz dieser Zwanglosigkeit, die sich auch darin manifestiert, dass Greenlanes – anders als die meisten Schulen in Irland – keine Schuluniformen vorschreibt, seien die Kinder im Unterricht überaus diszipliniert gewesen. „Sie waren sehr nett zu mir, selbst wenn ich teilweise sprachliche Barrieren habe.“

Lernziel erreicht
Ihre Kompetenzen in der Unterrichtssprache Englisch hat Marie-Sophie Hullmann jedenfalls deutlich weiterentwickelt. Auch von ihrem Unterrichtsfach unabhängig hat sie vom Aufenthalt profitiert. „Seinen Schülerinnen und Schülern kann man viel eher eine weltoffene Haltung vermitteln, wenn man selbst bereit ist, mit anderen Kulturen in Kontakt zu treten – ganz abgesehen von der Nützlichkeit Englisch zu lernen.“ Besonders gut in Erinnerung bleibt ihr die irische Gastfreundschaft. „Ich würde sofort nochmal ins Ausland gehen. Es war eine tolle Erfahrung, eine Horizonterweiterung.“ Ein ähnlich positives Resümee zieht auch Niklas Marzin bereits nach der Hälfte seines Aufenthalts. Lehramtsstudierenden, die sich für ein Schulpraktikum im Ausland interessieren, empfiehlt er, vorab schon Unterrichtserfahrung in Deutschland zu sammeln. „Ich ziehe viele Erkenntnisse aus den Gesprächen mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern. Daraus ergibt sich nicht nur ein tiefer Einblick in das Dasein als Lehrkraft, sondern auch in den Alltag meines Gastlandes. Eine längere Zeit im Ausland schärft zudem den Blick auf das eigene Herkunftsland und die Gesellschaft, in der man aufgewachsen ist.“ Dass der angehende Lehrer selbst über den Jahreswechsel in Japan bleibt, unterstreicht, wie gut es ihm gefällt. „Ich bin gespannt, wie meine Gastfamilie mit ihren zwei Kindern die Feiertage verbringt. Da freue ich mich drauf!“

Oliver Knoch (17. Dezember 2019)

Lehramt.International

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In der Kampagne „studieren weltweit - ERLEBE ES!“ berichten u. a. Lehramtsstudierende über ihre studienbezogenen Auslandsaufenthalte und Finanzierungsmöglichkeiten.