Zukunft des Erasmus-Programms: Bildung in der EU wieder im Aufwind

DAAD/Jan von Allwörden

Erasmus soll ausgebaut werden – zugleich begegnet das bekannteste Programm der Europäischen Union neuen Herausforderungen, auch angesichts des bevorstehenden Brexits. Nina Salden, Leiterin der DAAD-Außenstelle in Brüssel, behandelt in ihrem Beitrag Finanzierungsfragen, eine Öffnung von Erasmus für breitere Bevölkerungsgruppen und die neue Maßnahme für Europäische Hochschulen.

Die EU hat derzeit viele Herausforderungen zu meistern: Migration, den Erhalt von Rechtsstaatlichkeit und Grundwerten, den Aufschwung populistischer und europakritischer Parteien in Europa und nicht zuletzt den Brexit. Vor diesem Hintergrund sind Themen besonders willkommen, die für Zusammenhalt in der Europäischen Union stehen und bürgernah sind. Bildung, Kultur und insbesondere das so populäre Erasmus-Programm bieten sich hierfür besonders an.

Kein EU-Programm ist bekannter als Erasmus. Erasmus macht Europa für die Menschen erlebbar. Nicht ohne Grund sprechen wir heute von einer „Generation Erasmus“ – jungen Menschen, für die das Reisen, Leben und Arbeiten im Ausland und das Beherrschen einer Fremdsprache alltäglich geworden sind. 9 Millionen Menschen haben seit dem Start des Programms im Jahr 1987 von Erasmus profitiert, darunter 4,4 Millionen Studierende. So rief Kommissionspräsident Juncker anlässlich der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Programms im letzten Jahr dazu auf, „zukünftig mindestens neunmal mehr Ehrgeiz“ in das Programm zu stecken, denn „jeder Euro, den wir in Erasmus investieren, ist eine Investition in die Zukunft – nicht nur in die Zukunft eines jungen Menschen, sondern eine Investition in unsere europäische Idee“.

Verdoppelung des Erasmus-Budgets?

Zu einer neunfachen Erhöhung des Budgets, wie es einige nach den Aussagen des Kommissionspräsidenten gehofft haben, ist es dann doch nicht gekommen, aber in ihrem Programmvorschlag, den die Europäische Kommission im Mai dieses Jahres veröffentlichte, hat sie eine Verdoppelung des Erasmus-Budgets für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Dies ist vor dem Hintergrund klammer EU-Kassen in Zeiten des Brexits nicht unerheblich. Und das Europäische Parlament setzt sich dafür ein, dass dieser mutige Schritt noch weitergeht. Die Europa-Parlamentarier werden voraussichtlich eine Verdreifachung des Programmbudgets fordern, um sicherzustellen, dass die hochgesteckten Ziele des Programms auch wirklich erreicht werden können. Denn aktuell macht das Programm, trotz seiner zentralen Bedeutung für die Union, nicht mal zwei Prozent des EU-Haushalts aus.

Im Zentrum der Forderungen für ein erhöhtes Erasmus-Budget steht, dass in Zukunft nicht nur bessergestellte junge Menschen, sondern breitere Bevölkerungsgruppen vom Programm profitieren sollen. 12 Millionen Menschen, dreimal mehr als im laufenden Programm, soll das zukünftige Erasmus-Programm in den kommenden sieben Jahren erreichen. Wie kann das gelingen? Im Hochschulbereich werden Maßnahmen wie kürzere Mobilitätsaufenthalte, die Nutzung digitaler und virtueller Formate, zusätzliche Unterstützung − unter anderem durch Synergien zu Programmen wie dem Europäischen Sozialfonds − und vereinfachte Regularien, die den Zugang neuer Akteure zum Programm erleichtern, diskutiert. Ideen und gute Konzepte der Hochschulen sind hier gefragt, um die hehren Ziele des Programms in die Praxis umzusetzen!

Europäische Hochschulen

Mehr Mobilität für Studierende und Wissenschaftler verspricht man sich auch von einer neuen Maßnahme in Erasmus – der Forderung von Europäischen Hochschulen. Die Idee geht auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zurück, der sie im September 2017 in seiner vielbeachteten Grundsatzrede zu Europa an der Sorbonne in Paris aufgebracht hatte. In den Europäischen Hochschulen soll die Mobilität von der Ausnahme zur Regel werden, Hochschulen in engen Verbunden länderübergreifend zusammenarbeiten und sich damit zu Orten pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung in Europa entwickeln. Die Maßnahme birgt die Chance – wenn sie von den Hochschulen kreativ umgesetzt wird –, zu einer noch stärkeren Integration des Europäischen Hochschulraums beizutragen.

Bevorstehender Brexit

Sieht die Zukunft für die Bildungszusammenarbeit in Europa also rosig aus? Noch nicht ganz. Zum Ersten muss der Vorschlag für das erhöhte Budget des Erasmus-Programms erst einmal von Rat und Parlament offiziell beschlossen werden. Es müssen also auch die EU-Mitgliedstaaten und insbesondere die EU-Nettozahler unter ihnen bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen.

Zum Zweiten steht die europäische Hochschulzusammenarbeit und damit das Programm Erasmus vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits vor nicht unbedeutenden Herausforderungen. 31.000 Studierende gehen jährlich über Erasmus für einen Praktikums- oder Studienaufenthalt nach Großbritannien. Dank der englischen Sprache und der hohen Qualität des britischen Hochschulsystems ist Großbritannien drittbeliebtestes Zielland europäischer und auch deutscher Studierender für einen Auslandsaufenthalt. Wie die Kooperation mit Großbritannien nach dem EU-Austritt des Landes aussehen wird, ist jedoch noch völlig offen. Wohl hat die Kommission die rechtlichen Bedingungen im zukünftigen Erasmus-Programm verankert, damit Drittländer – wie dann Großbritannien – als assoziierte Mitglieder am Programm teilnehmen können. Doch das Land wird einen dem Gewinn aus dem Programm entsprechenden finanziellen Beitrag zahlen müssen und nicht an der Programmgestaltung mitwirken können.

Für den Studierendenaustausch EU−Großbritannien außerhalb von Erasmus stellen sich ebenfalls zahlreiche Fragen: Müssen europäische Studierende in Großbritannien zukünftig eine Aufenthaltsberechtigung beantragen? Und werden sie auch langfristig Zugang zu reduzierten Studiengebühren erhalten? Die jungen Menschen in Großbritannien haben mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt. Wollen wir hoffen, dass sie und die jungen Menschen in der EU nicht die Ersten sein werden, die die negativen Auswirkungen des Brexits zu spüren bekommen.

Der Beitrag ist zuerst in der Zeitung des Deutschen Kulturrates erschienen: Politik & Kultur, Ausgabe 6/2018

Erasmus+ Jahrestagung im Hochschulbereich

Die unmittelbare und nähere Zukunft des Erasmus-Programms stand auch im Fokus der Erasmus+ Jahrestagung mit 400 Teilnehmenden an der Leuphana Universität Lüneburg Ende September, zu der die Nationale Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD (NA DAAD) eingeladen hatte. 12 Millionen Personen sollen laut der EU‐Kommission in den sieben Jahren von 2021 bis 2027 gefördert werden. Das entspricht einer Verdreifachung der Geförderten gegenüber der laufenden Programmgeneration 2014−2020. Erreicht werden soll dieses Ziel durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen, etwa mit Blended‐Learning‐Angeboten in Verbindung mit kürzeren Auslandsaufenthalten, aber auch durch die verstärkte Einbeziehung von Personengruppen, die bisher nicht oder weniger mobil waren.

Laufende Verhandlungen
Weiterhin steht der Trialog zwischen Kommission, Europäischem Rat und Europäischem Parlament über die finanzielle Ausstattung der neuen Programmgeneration an. Verhandelt werden in den nächsten Monaten auch die Details einzelner Programmlinien, Maßnahmen und angestrebter Verbesserungen von Erasmus. Bei aller Einigkeit zwischen den verschiedenen Stakeholdern, dass beispielweise digitale Elemente und Kurzmaßnahmen eine wichtigere Rolle spielen sollen, ist die konkrete Ausgestaltung dieser Aspekte im neuen Programm noch nicht abschließend geklärt, wie Dr. Klaus Birk, der Leiter der NA, auf der Jahrestagung festhielt. Gleiches gelte für die allseits angestrebte Vereinfachung der Antragsstellung wie auch die Verwaltung von Projekten.