GAIN18: Transatlantischer Wissenschaftsaustausch

GAIN/Nicole Glass

Begegnungen auf der GAIN-Jahrestagung 2016

In Boston versammelt das German Academic International Network (GAIN) erneut in Nordamerika tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um ihr Interesse am transatlantischen Austausch zu stärken. Dabei bietet die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Gemeinschaftsinitiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 2018 auch neue, attraktive Formate.

Der Rekord zeichnet sich schon im Vorfeld ab: Rund 760 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden zur 18. Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) in Boston vom 7. bis zum 9. September erwartet, mehr als je zuvor. Auf der Konferenz in Boston vernetzen sie sich mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen. 2018 bietet das Programm einige Neuheiten, für die federführend Dietrich Wolf Fenner verantwortlich ist, seit Dezember 2017 GAIN-Programmdirektor in New York. „Ich wollte noch mehr Interaktion in die Veranstaltung bringen“, sagt er.

Für die Tagung kreierte Fenner Formate wie „Meet a Politician“ oder das Wirtschaftscafé, in dem Kontakte zu Firmen geknüpft werden können. Neu ist auch ein Award für Start-ups, um den sich Postdoktoranden bewerben konnten. Die Gewinner, die durch einen Live-Pitch bestimmt werden, erhalten ein einwöchiges Coaching, gestiftet von den Universitäten Aachen, Dortmund und Potsdam. „Innovation braucht starke Partner“, sagt Fenner.

Erstmals werden auf der Tagung drei Teilnehmende auf dem Podium über ihre Erfahrungen diesseits und jenseits des Atlantiks berichten. DAAD Aktuell hat ihnen dazu im Vorfeld jeweils drei Fragen gestellt. Als Keynote Speaker konnte Professor Sami Haddadin gewonnen werden. Der deutsche Ingenieur und Roboterspezialist schlug Angebote der Stanford University und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) aus, um an die Technische Universität München zu gehen. Wie in den Jahren zuvor gibt es auch 2018 eine Talent Fair mit rund 100 Ausstellern und Workshops zur individuellen Karrieregestaltung.


Die Interviews zur GAIN18:

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Dr. Stefanie Kellner, 34 Jahre, aus Schorndorf (Schwaben), Leiterin einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe im Department Chemie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
 

Frau Dr. Kellner, bis 2016 waren Sie Postdoktorandin am Massachusetts Institute of Technology. Wie war es, dort zu arbeiten?

Fachlich war ich genau am richtigen Ort. Ich erforsche RNA-Modifikationen und arbeite somit an der Schnittstelle zwischen analytischer Chemie und Molekularbiologie. Deshalb habe ich vom interdisziplinären Ansatz des MIT stark profitiert. Hinzu kam eine hervorragende Laborausstattung, viel Platz und Freiheit bei der Beschaffung. Generell wurde mehr Eigeninitiative als in Deutschland erwartet. Meine Arbeitsgruppe war sehr multikulturell – zwei Chinesen, ein Kollege aus Singapur, ein Inder, ein Pakistani, eine Portugiesin, zwei Amerikaner. Eine Kehrseite gab es aber auch: Viele Kollegen verhielten sich reserviert und suchten keinen wissenschaftlichen Austausch; gemeinsames Brainstorming war selten.

Das MIT gilt weltweit als eine der ersten Adressen für Naturwissenschaftler, aber Sie sind zurück nach Deutschland gegangen. Was sprach für diese Entscheidung?

Ich kann mich im hiesigen Wissenschaftsbetrieb gut bewegen und habe eine fantastische Förderung einwerben können. Ich betreue sieben Mitarbeiter, die Arbeit macht richtig Spaß. Überall stehen Whiteboards, damit wir kritzeln können – die Idee habe ich vom MIT mitgenommen. Generell glaube ich, dass die Bedingungen für mein Fach in Deutschland besser sind als in den USA. Von amerikanischen Kollegen höre ich, dass die Forschungsförderung massiv zurückgegangen ist. Und: Für viele ausländische Kollegen ist Heimaturlaub ein Problem, seit die Regierung Trump Menschen aus muslimischen Staaten die Einreise erschwert. Solche Weichenstellungen beeinträchtigen das Arbeitsklima, auch an den Hochschulen.

Hat GAIN Ihre Entscheidung beeinflusst, nach Deutschland zurückzukehren?

Als Postdoktorandin war ich mir über meinen weiteren Weg unsicher, das geht ja vielen Kolleginnen und Kollegen so. GAIN hat mir viele Möglichkeiten aufgezeigt, die mir vorher nicht bewusst waren. Auf der Jahrestagung in Boston 2014 habe ich den Entschluss gefasst, eine akademische Karriere einzuschlagen und mich um Aufnahme in das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu bewerben. Den Antrag muss man innerhalb von vier Jahren nach der Promotion einreichen. Die Zeit am MIT möchte ich aber nicht missen. Ich habe dort eine enorme fachliche Genauigkeit zu schätzen gelernt.

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Prof. Dr. Sebastian Jobs, 38 Jahre, aus Bad Dürrenberg (Sachsen-Anhalt), Juniorprofessor für Geschichte am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin


Herr Professor Jobs, 2015 waren Sie mit dem DAAD-Programm PRIME in North Carolina. Wie haben Sie von dem Aufenthalt profitiert?

Mein Forschungsschwerpunkt ist afroamerikanische Geschichte, und die University of North Carolina in Chapel Hill verfügt über eines der wichtigsten Archive zur Sklaverei. Ich habe es als Privileg empfunden, dort über Monate hinweg in Ruhe Quellen studieren zu können, viele davon handschriftliche Dokumente. Auch die Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen – hochklassige Vertreter ihres Fachs – haben mich inspiriert und weitergebracht. Die Bewegung „Black Lives Matter“ kam gerade auf. Für uns als Historiker war es interessant zu sehen, wie bestimmte Mechanismen einsetzten, die wir aus der Geschichte kennen. Das rassistische Klischee des wütenden schwarzen Manns etwa finden wir in Dokumenten des 19. Jahrhunderts ebenso wie in Polizeiberichten der Gegenwart. Das ist ja ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit: längere Linien aufzuzeigen.

Sie sind nach Deutschland zurückgekehrt. Weshalb?

Die Stellen für Historiker werden von US-amerikanischen Kollegen sehr gut ausgefüllt, und es ist schwer, sozusagen von außen einzudringen. Ohnehin empfinde ich es als meine Aufgabe, in Deutschland zu einem differenzierten Amerika-Bild beizutragen, auch aus einer historischen Perspektive. Wenn meine Stelle in Berlin ausläuft, werde ich mich deshalb in Deutschland bewerben. Ich halte aber den Kontakt zu Nordamerika und war beispielsweise im vergangenen Jahr für zwei Wochen dort, um zu forschen und einen Workshop in Ottawa zu besuchen.

Wie sehen Sie die Debatte um Fake News, die der amerikanische Präsident Donald Trump befeuert hat?

Ich finde es höchst bedenklich, wenn der oberste Vertreter der Exekutive Fakten vom Geschehen entkoppelt und das Ansehen des Journalismus untergräbt. Die Entwicklung macht mich auch als Wissenschaftler besorgt, denn es wird ein Klima geschaffen, das unabhängige Forschung erschwert. Das ist nicht das Amerika, das ich kenne, und wir sollten uns immer bewusst sein, dass es in diesem Land auch andere Strömungen gibt. Gerade die Hochschulen sind Orte kritischen und analytischen Denkens. Wir sollten diesen Teil der USA nicht allein lassen.

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Dr. Christina Birkel, 35 Jahre, aus Neustadt an der Weinstraße, Nachwuchsgruppenleiterin im Fachbereich Chemie an der Technischen Universität Darmstadt


Frau Dr. Birkel, noch sind Sie in Darmstadt, aber nächstes Jahr treten Sie eine Stelle in Phoenix (Arizona) an?

Stimmt, der Vertrag mit der Arizona State University ist schon unterschrieben. Es ist eine Tenure-Track-Stelle als Assistant Professor. Sie erschien mir als ein logischer Karriereschritt, und für uns als Familie mit zwei Kindern ist Arizona günstig, verglichen mit den Lebenshaltungskosten an vielen Orten der amerikanischen Ost- oder Westküste. Ich werde Drittmittel einwerben müssen, das wird nicht leicht: Die Förderquoten sind teilweise schlechter als in Deutschland.

Sie waren von 2011 bis 2013 mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an der University of California in Santa Barbara. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Die Organisation des Instituts hat mir imponiert, mit klaren Strukturen und Möglichkeiten, sich wissenschaftlich zu entwickeln. Geräte, die man zur Forschung braucht, stehen in sogenannten Shared Facilities zur Verfügung, und man wird kompetent eingearbeitet. Gefallen hat mir auch der Gemeinschaftsgeist, den die Hochschule bewusst fördert. So sitzen in einem Büro stets Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Arbeitsgruppen zusammen. Es wird zur „Cookie-Time“ eingeladen, einem arbeitsgruppenübergreifenden Kaffeetrinken, zu Barbecues und Vorträgen. Dadurch findet ein toller Austausch statt.

Wo sehen Sie demgegenüber Stärken des deutschen Systems?

Zum Beispiel in der guten, breiten Grundausbildung. Amerikanische Studierende spezialisieren sich sehr früh, dadurch fehlt ihnen mitunter Basiswissen. Persönlich habe ich das allerdings nicht vermisst, weil ich den Eindruck hatte, dass sich die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen das Nötige schnell aneignen. Als sehr positiv habe ich auch die Unterstützung für eine Rückkehr nach Deutschland empfunden. Eigentlich hatte ich geplant, nach dem Postdoc in die Industrie zu gehen. Meine jetzige Mentorin, die ich in Santa Barbara kennenlernte, hat mir aber goldene Brücken für eine akademische Karriere in Darmstadt gebaut und mich seitdem toll unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe meine Habilitation eingereicht, meine didaktischen Fähigkeiten immens erweitert und mein Netzwerk ausgebaut. Auch wenn es sich jetzt richtig anfühlt, in die USA zu gehen: Ich sehe es nicht so, dass ich auswandere. In ein paar Jahren evaluieren wir erneut.

Christine Mattauch (6. September 2018)