„Wir sollten Europa als Heimat stärken“

DAAD/Thomas Pankau

Klaus Birk ist als Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD unter anderem zuständig für die Umsetzung des Erasmus+ Programms

Dr. Klaus Birk, seit Januar 2018 Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD (NA DAAD), reflektiert über die vielfältigen Herausforderungen seiner neuen Aufgabe. Dabei unterstreicht er die Stärken von Erasmus+, thematisiert aber auch jene Bereiche, in denen aus seiner Sicht noch Handlungsbedarf besteht.

Herr Dr. Birk, im Laufe dieses Jahres werden ja die Weichen gestellt für die neue, ab 2021 laufende Generation von Erasmus+. Wie sehen Sie das Programm? Wenn Sie eine Bestandsaufnahme machen: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Stärken, wo die Schwächen?

Klaus Birk: Erasmus+ wird europaweit – berechtigterweise, wie ich meine – als ein erfolgreiches EU-Programm anerkannt. Das wird von höchster politischer Ebene bis in weite Teile der Bevölkerung so geteilt und gesehen. Hinzukommt, dass wir dieses Jahr, also 2018, im Rahmen der gegenwärtigen Programmgeneration einen erheblichen Mittelaufwuchs erhalten. Diesen erwarten wir gleichfalls im nächsten Jahr. Angesichts der Tatsache, dass der neue Vorschlag der Kommission für die kommende Programmgeneration 2021–2027 von einer Verdoppelung der Mittel für Erasmus ausgeht, ist die momentane Situation aus unserer Sicht grundsätzlich sehr erfreulich.

Ein gewisses Maß an Unsicherheit bedeuten die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen zum Europaparlament. Es nicht auszuschließen, dass deutlich kritischere Kräfte in Bezug auf Internationalisierung und Europa an Zustimmung gewinnen werden. Diese könnten dann jene Stimmen verstärken, die es bereits jetzt in verschiedenen europäischen Ländern gibt und die keineswegs mehr finanzielle Mittel für Erasmus möchten, sich stattdessen für eine Fortschreibung des derzeitigen Niveaus aussprechen. Die von der Kommission vorgeschlagene Erhöhung ist ja keine ausgemachte Sache. Das ist politisch noch nicht zu Ende verhandelt. Aufgrund des Brexits und der dadurch ausfallenden Beitragszahlung des Vereinigten Königreichs muss eine Erhöhung des Erasmus-Budgets Kürzungen in anderen Bereichen nach sich ziehen.

Seminar in Brüssel zur Zukunft von Erasmus+

DAAD/Iris Haidau

"Es soll zu einer Entbürokratisierung kommen": Klaus Birk auf einem vom DAAD veranstalteten Seminar im Februar 2018 in Brüssel (neben ihm DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland und Vanessa Debiais-Sainton, Vertreterin der EU-Kommission)

Dabei spricht alles dafür, so meine ich, die finanziellen Mittel in der nächsten Programmgeneration auf jeden Fall aufzustocken. Erasmus ist ein wirkliches Breitenprogramm. Es werden viele Menschen erreicht, und es könnten mit einem größeren Budget noch mehr sein. Dabei sprechen wir nicht nur von Studierenden, sondern auch von Hochschulmitarbeitenden, Dozentinnen und Dozenten sowie Jugendlichen, Auszubildenden, Lehrerinnen und Lehrern etc. Erasmus+ ist ja längst nicht auf die Studierenden-Mobilität beschränkt.

Zudem soll es gleichfalls – und da wären wir bei einer auch von der Kommission erkannten Schwäche von Erasmus+ – zu einer Entbürokratisierung kommen. Die Antragstellung ist mitunter zeitaufwendig und komplex. An großen Hochschulen ist das nicht so problematisch, weil sie Erasmus-Experten haben, die alle Tücken des Programms kennen und damit umgehen können. An kleinen Hochschulen kann das hingegen schon schwieriger sein, da dort die für Erasmus Verantwortlichen auch sehr viele andere Stipendienprogramme verwalten und Studierende mit ganz diversen Bedürfnissen betreuen müssen, sowohl Incomings als auch Outgoings.

Was wünschen beziehungsweise erhoffen Sie sich angesichts dessen von der neuen Programmgeneration? In welchen Bereichen sollten Veränderungen kommen? Wie könnten Lösungen aussehen?

Die bürokratische Vereinfachung ist aus meiner Sicht tatsächlich ein ganz wesentlicher Aspekt. Das gilt für einzelne Personen, das gilt aber auch für kleine Institutionen, und das im Hinblick auf Anträge, Verträge und die administrative Begleitung von Vorhaben. Der Aufwand kann da schon sehr erheblich sein. Wichtig ist zudem der leichtere Zugang von bislang unterrepräsentierten Gruppen, beispielsweise Erstakademikern und Migranten. Aber auch daran wird aufseiten der Kommission gemeinsam mit den Nationalen Agenturen schon gearbeitet.

Ein ganz grundsätzlicher Punkt betrifft noch Überlegungen bezüglich einer größeren Flexibilität im Programm: Wie sorgen wir dafür, dass wir auf neue Herausforderungen schneller reagieren können? Es geht also darum, dass wir nicht mehr warten müssen, bis eine siebenjährige Programmgeneration vorbei ist, bevor wir mit etwas Neuem anfangen. Die 2014 – mit dem Beginn der laufenden Programmgeneration – eingeführten Strategischen Partnerschaften sind ein solches Instrument. Sie erlauben es, innovative Ideen rascher umsetzen, was sicherlich ein Grund ist, warum sie sich an Hochschulen zunehmender Popularität erfreuen. Diesen Weg müssen wir weiterverfolgen. Der DAAD hat ein gleichlautendes Programm im Übrigen noch vor der EU auf den Weg gebracht.

Geht die Diskussion somit aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung? Oder gibt es Aspekte, die mehr oder zumindest noch mehr Aufmerksamkeit bedürfen?

Mit dem Fokus auf Entbürokratisierung und Inklusion sind auf jeden Fall für die Zukunft des Programms grundlegende Punkte angesprochen. Speziell zum Hochschulbereich gibt es darüber hinaus zwei Aspekte, die mir wichtig sind: Das sind erstens die Europäischen Hochschulen, die von Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen wurden und Teil von Erasmus sein werden. Diese Idee begrüßen wir sehr. Ich bin überzeugt, dass die ausgewählten Projekte Modellcharakter haben werden und Vorbildwirkung entfalten können.

DAADeuroletter-Interview mit Dr. Klaus Birk (Juli 2018)

CleevesMedia

Gefragter Ansprechpartner: Klaus Birk auf der TCA("Transnational Cooperation Activity")-Konferenz zum Thema "Dissemination, Sustainability and Impact in Erasmus+ Strategic Partnerships" im Mai 2018 in Bonn

Zweitens sind das die in den Dokumenten der Kommission enthaltenen Vorschläge, in der nächsten Programmgeneration vor allem die Bereiche Jugend, Schule und Berufsbildung zu stärken, während die Förderung für die Hochschulen nicht im gleichen Maße erhöht werden soll. Gerechtfertigt wird das damit, dass die Mobilität in den Hochschulen bereits hoch sei, es in den anderen Bereichen hingegen noch mehr Luft nach oben gebe.

Diesen Vorschlag sehen wir in der NA DAAD weit skeptischer. So sehr wir eine Aufstockung der Mittel für die anderen Bereiche begrüßen, muss auch geschaut werden, so denke ich, was sie absorbieren können. Ist es immer nur eine Frage des Geldes? Oder sind da auch andere Gründe, warum es nicht mehr Mobilität gibt und eine bloße Verlagerung von Mitteln in diese Bereiche folglich vorhandene Probleme nicht lösen würde?

Diese noch nicht abgeschlossene Diskussion bedarf weiterer Aufmerksamkeit. Das ist vor allem für uns deshalb von Bedeutung, da wir ja in Deutschland vier verschiedene Nationale Agenturen haben. Aber auch in Agenturen, die mehrere Bereiche betreuen, wird dies kritisch hinterfragt.

Erasmus+ und seine Vorgängerprogramme sind seit nunmehr über 30 Jahren wichtige Instrumente für die Internationalisierung der deutschen Hochschulen. Wo sehen Sie besonderes Potenzial, um diesen Prozess weiter voranzutreiben?

Das ist erstens die internationale Dimension von Erasmus, die allzu gerne vergessen wird. Erasmus arbeitet de facto mit allen Ländern dieser Welt, ist also nicht auf die 33 europäischen Programmländer beschränkt. Ich glaube in diesem Zusammenhang nicht zuletzt, dass es für Europa gut wäre, wenn wir es schaffen würden, mehr Studierende aus außereuropäischen Ländern nach Europa zu bringen, und umgekehrt. Da sehe ich noch viel Spielraum nach oben.

Zweitens erscheint mir die sektorenübergreifende Projektarbeit erwähnenswert. Das ist eine noch nicht ausreichend visible Besonderheit von Erasmus-Projekten: dass Hochschulen mit Schulen, mit der Wirtschaft, mit anderen Bildungseinrichtungen, mit Gemeinden etc. zusammenarbeiten. Ungewöhnlich ist sie außerdem. Die meisten Förderprogramme des DAAD beschränken sich beispielsweise auf die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, manchmal zwischen einer Hochschule und der Wirtschaft. Das Spektrum der Partnerschaften, das in einem Projekt in der EU gefördert werden kann, ist somit sehr viel breiter. Das bietet, so glaube ich, interessantes Potenzial, insbesondere vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren aufgekommenen Debatte über die sogenannte Dritte Mission (oder third mission) der Hochschulen, der Frage also, wie sich eine Hochschule in ihrem sozialen, ökonomischen, politischen, regionalen Umfeld bewegt.

Noch eine abschließende Frage: Wo würden Sie die europäische Hochschulzusammenarbeit und den europäischen Hochschulraum am Ende der neuen Programmgeneration 2027 gern sehen?

Also, ich hätte gerne ein noch stärker integriertes System, in dem die Bewegung zwischen den Hochschulen noch einfacher und selbstverständlicher ist und weniger bürokratischen Aufwand mit sich bringt – und trotzdem zur Anerkennung von Leistungen im Ausland führt. Wir müssen die Systeme also kompatibel machen, dafür sorgen, dass wir zum Beispiel gemeinsame Graduiertenschulen und verstärkt gemeinsame Professuren an mehreren europäischen Hochschulen haben. In der Idee der Europäischen Hochschulen sind diese Ziele enthalten.

Gleichzeitig geht man ins Ausland, nicht weil es gleich, sondern weil es anders ist. Und auch das müssen wir uns bewahren, nämlich die kulturelle und intellektuelle Vielfalt in Europa. Es geht, wenn man so möchte, um die Vielfalt in der Einheit. Das ist ein spannender Prozess, der eine Angleichung erfordert, aber gleichzeitig die Differenzierung aufrechterhält.

Interview: Marcus Klein

Das Interview erschien in voller Länge im DAADeuroletter Nr. 64 vom Juli 2018.