DAAD-Alumnitreffen der Juristen in Brüssel: Perspektiven für die europäische Idee

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Brüssel-Experten: Moderator Udo van Kampen und Martin Selmayr, Generalsekretär der EU-Kommission

„Europa ist mehr als ein Binnenmarkt“ – unter diesem Motto hatte der DAAD zu seinem 8. Alumnitreffen für Deutsche der Fachrichtung Rechtswissenschaften eingeladen. Das Thema wurde mit einem Ausrufezeichen versehen: von den Alumni, die das Treffen durch ihre fachliche Expertise gestalteten – und von Professor Martin Selmayr, Generalsekretär der EU-Kommission, der einen leidenschaftlichen Eröffnungsvortrag hielt.

„Es hat mich gefreut, optimistische Menschen kennenzulernen.“ Martin Selmayr, Generalsekretär der Europäischen Kommission, war diese Freude anzusehen. Gerade hatte er letzte Fragen zu seinem Eröffnungsvortrag zum 8. DAAD-Alumnitreffen der Juristen beantwortet. Ein Vortrag, der von den Alumni mit lautem Applaus honoriert wurde. Vermutlich gerade weil er Krisen und Konflikte der Europäischen Union nicht aussparte, sondern direkt ansprach: den bevorstehenden Brexit, die Diskussionen in der Flüchtlingspolitik, den Handelsstreit um die angedrohten amerikanischen Strafzölle.

Selmayr setzte dem aber europäisches Selbstbewusstsein entgegen, das sich auch aus dem historischen Wissen um die „Friedensgemeinschaft Europa“ speist. Und aus der Gründung dieses Europa auf der „Macht des Rechts“, wie Selmayr – Walter Hallstein zitierend – herausarbeitete. Es sei doch bemerkenswert, so Selmayr, dass bis heute alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt wurden. Natürlich habe es Diskussionen, Verzögerungen, Geldbußen gegeben, aber „am Ende ist die Rechtskonformität hergestellt worden“. Die Akzeptanz des Rechts als Schlüssel in politischen Streitfragen: Dies gelte auch bei Verteilungsfragen zur Aufnahme von Flüchtlingen, in denen die Europäische Kommission die EU-Mitglieder Polen, Ungarn und Tschechien verklagt hat.

Alumnitreffen der Juristen in Brüssel 2018

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Martin Selmayr: "'America first' ist keine europäische Erfindung!"

Die Stärke der Europäischen Union liegt in ihrer Geschlossenheit – das machte Martin Selmayr mit Blick auf die gemeinschaftliche Reaktion der 27 verbleibenden EU-Staaten auf das britische Brexit-Votum deutlich. Und diese Einheit in Vielfalt beeindrucke nicht zuletzt auch asiatische Studierende des Centrums für Europarecht, an dem Selmayr seit 2001 als Direktor tätig ist. Zuspitzend brachte es der Generalsekretär auf den Punkt: „'America first' ist keine europäische Erfindung!“

Für britische Teilhabe

Also doch alles in bester europäischer Ordnung? Mitnichten: Wie auch Selmayr sprach DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel die aktuellen politischen Konflikte an. In zahlreichen europäischen Ländern, auch in Deutschland, hätten nationalistische Parteien Wählerstimmen gewonnen. Diese Parteien „schwächen das Gemeinschaftsgefühl“, so die DAAD-Präsidentin. Auch der Brexit habe gezeigt, „dass der Zusammenhalt in Europa keine Selbstverständlichkeit ist“. Die Antwort darauf sei allerdings auch klar: „Der DAAD setzt sich dafür ein, dass Bildung und Forschung keine Grenzen kennen.“ Trotz des Brexits gelte es, britischen Bürgern die Teilhabe an europäischen Forschungsprogrammen und am Erasmus-Programm zu ermöglichen.

Alumnitreffen der Juristen in Brüssel 2018

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DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel: Blick auf Europas Herausforderungen, Blick auf Europas Chancen

Die in Brüssel versammelten Alumni, von denen die größte Gruppe ihren DAAD-geförderten Auslandsaufenthalt im Vereinigten Königreich verbracht hat, dürften dieses Anliegen unterstützen. Während des Treffens setzten sie sich unter anderem in Arbeitsgruppen mit Themen wie der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, der Wirtschafts- und Währungsunion, aber auch mit der Zukunft der Welthandelsorganisation WTO und der Regulierung digitaler Plattformen aus europäischer Sicht auseinander. Und das aus ganz unterschiedlichen Perspektiven: Eine Vielzahl der Alumni ist mittlerweile in leitender Funktion in Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft tätig, von der Referatsleiterin im Bundesjustizministerium bis zum Direktor des Instituts für Recht und Ökonomik der Universität Hamburg oder dem in Moskau tätigen Anwalt einer großen internationalen Kanzlei.

Alumnitreffen der Juristen in Brüssel 2018

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Viel Diskussionsstoff: Die Alumni setzten sich in Brüssel auf ganz unterschiedliche Weise mit Europa auseinander

Man konnte mit einer Alumna wie Julia Lemke ins Gespräch kommen, die stellvertretende Leiterin des Referats „EU-Koordinierung und Strategie“ im französischen Finanzministerium ist. Für die junge Deutsche sind solche Entsendungen Zeichen der gemeinsamen, deutsch-französischen „Vertrauensbasis“. Lemkes Bekannter Benjamin Hartmann ist im Generalsekretariat des Rates der EU in der Task Force zum Vereinigten Königreich tätig. Der DAAD-Alumnus hofft auf weiterhin möglichst enge Beziehungen zum Vereinigten Königreich, sagt aber auch: „Die Vorteile, die die EU bietet, kann es nicht außerhalb ihres Ökosystems geben.“

„Gut für uns alle“

Wie aber ist es um dieses Ökosystem bestellt? Fünf hochkarätige Experten – allesamt DAAD-Alumni – gingen unter der Leitung des langjährigen ZDF-Korrespondenten und Brüssel-Experten Udo van Kampen der Frage während des „Europäischen Round Table“ des Alumnitreffens nach. Professor Nikolaos Tellis von der Rechtsfakultät der Aristoteles-Universität Thessaloniki betonte: „Es ist keine Perspektive für Europa, wenn wir zehn unterschiedliche Geschwindigkeiten haben.“ Homogenität bei aller Vielfalt, Geschlossenheit bei allen Unterschieden: Dieser Punkt wurde mehrfach angesprochen. Professor Frank Hoffmeister, Referatsleiter in der Generaldirektion Handel der EU-Kommission, äußerte die Hoffnung, dass die europäischen Spitzenpolitiker nach Gipfeltreffen öfters betonen würden „Das Ergebnis ist gut für uns alle!“, anstatt das Erreichen nationaler Ziele im Kompromiss herauszustreichen.

Alumnitreffen der Juristen in Brüssel 2018

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Europäischer Round Table (v. l.): Udo van Kampen, David Capitant, Nikolaos Tellis, Krzysztof Ruchniewicz, Oliver Gerstenberg und Frank Hoffmeister

Die Fähigkeit zum Kompromiss sieht Oliver Gerstenberg, Professor für Europäisches Recht am University College London, im politischen Klima seiner Wahlheimat zunehmend schwinden. Gerstenberg sagte aber auch: „Meine Studenten sind alle Herzenseuropäer.“ Professor David Capitant, Präsident der Deutsch-Französischen Hochschule, stellte die besondere Wirkung dieser Institution auf junge Menschen heraus: „Das sind deutsch-französische Studenten!“ Auch das konnte man als positive Antwort auf die europäische „Sicherheits- und Identitätskrise“ lesen, die Professor Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Breslauer Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien, angesprochen hatte.

„Themenzimmer“ und Exkursionen

Eine positive Antwort auf die europäische Idee zu finden – das ist dem 8. DAAD-Alumnitreffen für Deutsche der Fachrichtung Rechtswissenschaften in Brüssel gelungen. Auch weil die Organisatoren neue Dialogformate einbrachten, etwa „Themenzimmer“, bei denen Alumni – basierend auf ihrer beruflichen Praxis – im informellen Austausch zum Brexit sowie zum Arbeiten in Brüssel Rede und Antwort standen. Gemeinsame Exkursionen führten nicht nur in die faszinierende Brüsseler Innenstadt, sondern auch ins Europaparlament, in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU sowie zum Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), wo mit Direktor Dr. Dominik Schnichels ein weiterer DAAD-Alumnus die Gruppe empfing.

Auch das Haus der europäischen Geschichte war Ziel einer Exkursion. Der Gang durch eben diese Geschichte ließ an ganz unterschiedliche europäische Wege denken. Erinnerten die Plakate und Parolen europafeindlicher Parteien aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen noch ungut an die von DAAD-Präsidentin Wintermantel angesprochenen Nationalismen, so luden ein paar Stockwerke höher Papier, Stifte und Tesafilm zu europäischen Visionen ein. Die Worte Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden hat ein deutscher Gast unter das Foto eines Babys geschrieben. Und hinzugefügt: „Nur, weil man es für selbstverständlich hält, heißt es nicht, dass man es nicht wertschätzen sollte.“

Johannes Göbel (3. Mai 2018)