Karriere – was heißt das?

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Die Arbeitswelt verändert sich und schon Berufsanfänger legen Wert auf eine gute Work-Life-Balance

Ein gutes Gehalt, der Dienstwagen – lange waren das Anreize für eine Karriere. Doch die Arbeitswelt befindet sich im Wandel und mit ihr die Definition von Erfolg.

Manchmal ist Karriere nicht planbar. Martin Drechsler bekam seine Chance während des Studiums. Aber nicht – wie so häufig der Fall – als Praktikant, sondern in einer Hamburger Kneipe, in der eine Trend­limonade aus der Hansestadt ausgeschenkt wurde. Die Gründer des Getränke-Start-ups boten Drechsler an, in den Vertrieb einzusteigen. Das Unternehmen wuchs schnell. Bald leitete er den Vertrieb in Norddeutschland und ein Team mit zwölf Mitarbeitern.

Die Arbeitstage wurden immer länger, der Druck stieg. „Als mein Privatleben zunehmend unter der Arbeit litt, kamen mir Zweifel“, erinnert sich der 36-Jährige. Er wechselte zu einem Spirituosenvertrieb mit geregelten Arbeitszeiten. Das Gehalt war üppig, der Dienstwagen groß. Nur glücklich machte ihn die Arbeit nicht. Den Anstoß zum Neuanfang gab ihm die Geburt seines Sohnes. Er wollte sich die Erziehung mit seiner Frau gleichberechtigt teilen, doch eine Reduzierung der Arbeitszeit war nicht möglich. „Die Kündigung war die einzige Chance meine Vorstellungen vom Vatersein umzusetzen“, sagt er.

Junge Berufstätige hinterfragen wie sie arbeiten

Genug Zeit für Familie und Freunde, eine Arbeit mit Sinn, Flexibilität und Gestaltungsfreiheit – diese Ansprüche stellen viele Vertreter der Generation Y, also die 1980 bis 2000 Geborenen. Dabei sind sie doch leistungsorientiert und wollen erfolgreich sein – nur eben nicht auf Kosten des Privatlebens. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage des Karriereportals Linked­In. Für eine Studie sollten Nutzer Erfolg definieren. Nur 27 Prozent sahen berufliche Errungenschaften als Erfolg, ein sechsstelliges Gehalt nur zwölf Prozent. Glücklich zu sein dagegen 72 Prozent. Auch die Familie und Zeit für Hobbys wurden höher gewichtet als die Karriere.

Im Grunde sind solche Ansprüche nicht neu. Geändert hat sich aber ihre offensive Einforderung – und zwar nicht erst nach vielen Berufsjahren, sondern von Beginn an. „Junge Berufstätige hinterfragen heute viel stärker, wie sie arbeiten. Dazu gehört nicht nur Flexibilität mit Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit, sondern auch die Möglichkeit, sich einzubringen und die Arbeit zu gestalten“, erklärt Marion Heil, Mitglied der Geschäftsleitung bei der internationalen Personalberatung Kienbaum. Weniger wichtig seien Statussymbole. Bei der Generation der geburtenstarken Jahrgänge scheiterten Arbeitsverträge noch an der Marke des Dienstwagens, heute an mangelnder Flexibilität. 

Unternehmen stehen im Wettbewerb um Talente

Dieser Wertewandel ist gerade in vielen europäischen Ländern, aber auch in urbanen Teilen der USA und im Silicon Valley spürbar. In Lateinamerika oder Asien gelten dagegen noch „traditionelle“ Karrierewerte – so führen Mexiko, Costa Rica und Korea nach einer OECD-Studie von 2017 die Rangliste der höchsten Arbeitszeiten an. Auch die Bereitschaft, Familie und Privatleben der Arbeit unterzuordnen, ist dort genau wie in China oder Japan deutlich höher.

Ein wichtiger Grund für die kulturellen Unterschiede: Die Generation Y ist in Europa in sicheren Zeiten aufgewachsen, ihre Erziehung wurde geprägt von Wertschätzung und Aufmerksamkeit der Eltern. Hinzu kommt eine durch den globalen Fachkräftemangel gestärkte Verhandlungsposition. Unternehmen müssen sich den neuen Anforderungen anpassen und Flexibilität, Gestaltungsfreiräume sowie Weiterentwicklung ermöglichen. Gelingt das nicht, verlieren sie wertvolle Fachkräfte an die Konkurrenz.

Auch Martin Drechsler fand nach seiner Kündigung schnell eine neue Tätigkeit. Heute arbeitet er in Teilzeit bei einer kleinen Unternehmensberatung, spezialisiert auf New Work. Dafür verdient er deutlich weniger als früher. Trotzdem ist Drechsler glücklich. „Eine klassische Karriere hat für mich im Moment keine Priorität. Wichtiger ist eine sinnvolle Arbeit“, sagt er. Natürlich will aber längst nicht jeder Vertreter der Generation Y auf eine klassische Karriere verzichten.

Viel Arbeit? Kein Problem!

In einer Umfrage des Zukunftsinstituts in Frankfurt gaben 55 Prozent der Befragten an, Karriere machen zu wollen. 77 Prozent sind bereit alles zu geben, wenn der Job Spaß macht. Auch ein hohes Arbeitspensum sehen 66 Prozent nicht als Problem. 

Das gilt sicher auch für Rosa Meckseper. Sie wusste früh, dass sie international arbeiten will. Nach dem Abitur ging sie als Au-Pair nach England, verließ aber rasch die Gastfamilie und jobbte bei American Express in Brighton. „Das war prägend. Ich habe gelernt, Herausforderungen in die Hand zu nehmen und bin selbst­ständiger geworden“, erzählt sie. In Deutschland studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen in Berlin, machte Praktika in São Paulo und Tokio. Ihre Noten waren exzellent, der Berufseinstieg fiel ihr leicht. Innerhalb von zehn Jahren stieg sie bei einer Unternehmensberatung zum „Principal“ auf. Sie beriet Banken in Kuwait, lebte in China, Italien und Luxemburg. „Viel zu arbeiten hat mir nie etwas ausgemacht. Die Aufgaben waren spannend und ich konnte viel mitgestalten“, sagt Meckseper. 

Der Wunsch, Dinge zu bewegen

2012 bekam sie einen Sohn, kehrte aber nach einem halben Jahr zurück in den Job, in Vollzeit und als Führungskraft. Wenig später kam ihre Tochter zur Welt. Noch im Mutterschutz erhielt sie das Angebot, in einem großen Technologieunternehmen Strategie und Marketing für den Geschäftsbereich „Autonomes Fahren“ zu leiten. Zweieinhalb Jahre pendelte sie zwischen Stuttgart und ihrem Wohnort Frankfurt. Eine Nanny und ihr Mann kümmerten sich um die Kinder. Dann wechselte sie und übernahm die Strategieleitung der zentralen Vorentwicklung beim Technologiekonzern Continental.

Ihre Tage sind weiterhin randvoll mit Terminen und Reisen. „Wir beschäftigen uns mit neuen Assistenzsystemen, die den Straßenverkehr sicherer machen. Eine solch sinnstiftende Aufgabe ist für mich wichtig“, sagt Meckseper. Ohnehin sei die Karriere nie ihr primäres Ziel gewesen, sondern eher der Wunsch, Dinge zu bewegen und Verantwortung zu übernehmen. Und das geht eben am besten in einer Führungsposition.  

©Birk Grüling/FAZIT Communication, LETTER, Ausgabe 1/2018