Im Dornröschenschlaf: Forschungsdilemma an staatlichen Hochschulen in Mexiko

DAAD/Ulrike Stehlik

Bibliotheksgebäude der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM)

Die mexikanische Hochschullandschaft ist im Wandel: Die Dominanz durchaus klangvoller staatlicher Universitäten in Internationalisierung und Forschung ist ins Wanken geraten. Private Hochschulen holen kräftig auf; ein Hauptgrund liegt in ihrer Offenheit für Kooperationen mit der forschenden Industrie. Eine aktuelle Analyse von Dr. Alexander Au, Leiter der DAAD-Außenstelle in Mexiko-Stadt.

Seit jeher gelten mexikanische Hochschulen in Lateinamerika als Taktgeber, wenn es um die großen universitären Themen der Internationalisierung und Forschung geht. Gestützt wird diese Tatsache durch internationale Rankings, in denen sich mexikanische Spitzenhochschulen gemeinsam mit argentinischen, chilenischen und brasilianischen Institutionen scheinbar selbstverständlich immer die besten Positionierungen in Lateinamerika untereinander aufteilen.

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DAAD/Thomas Pankau

Alexander Au: "Private Hochschulen mit einer nachhaltigen Strategie"

Im Prinzip scheint sich daran nichts geändert zu haben. Und doch lohnt ein vertiefender Blick. Waren es in der Vergangenheit nämlich ausschließlich Mexikos staatliche Universitäten wie die Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM), das Instituto Politécnico Nacional (IPN), die Universidad de Guadalajara (UdG) oder die Universidad Autónoma de Nuevo Leon (UANL), die alleinig für die Forschungsleistung des Landes verantwortlich waren, sind es inzwischen auch einige – wenn auch wenige – private Hochschulen, die sich mit einer nachhaltigen Strategie immer mehr in den Bereich der angewandten Forschung und eben auch der Grundlagenforschung begeben und zur Gesamtforschungsleistung Mexikos beitragen.

Dieser Wandel lässt sich mittlerweile eindrucksvoll an Rankings und Forschungsleistung ablesen: So liegt die Privathochschule Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey, kurz ITESM, in den renommierten Rankings von QS und Times of Higher Education jeweils knapp hinter bzw. sogar vor der UNAM. 2016 belegte das ITESM außerdem bei der Wissenschaftsproduktion der mexikanischen Hochschulen Rang neun. Vor einigen Jahren war dies schlichtweg nicht vorstellbar. Auch wenn es bisher die einzige private mexikanische Hochschule ist, die es in den internationalen Rankings derart weit nach oben geschafft hat, so zeichnet sich durch diese Vorreiterrolle doch eine Tendenz ab.

Aber wie kommt diese Veränderung zustande? Wie kann es sein, dass private Universitäten immer mehr Anteile an der Gesamtforschungsleistung der insgesamt über 4.000 Hochschulen haben und einige der staatlichen Elitehochschulen sich in Zukunft in den Rankings mit unerwünschten Nachbarn abfinden müssen? Die Antworten sind so einfach wie komplex zugleich.

Fragwürdige Vorsicht

Ein Hauptgrund liegt darin, dass private Universitäten immer intensiver mit der Industrie langfristige gemeinsame Forschungsnetzwerke und PhD-Programme aufbauen, gemeinsam forschen und dann die Ergebnisse natürlich auch publizieren. Für die öffentlichen ist dieser vielversprechende Kooperationsbereich immer noch verminte Erde und wird mit entsprechender Vorsicht behandelt. Doch woran liegt das eigentlich?

astbeitrag in Politik & Kultur: Aktuelle Analyse aus Mexiko von Alexander Au

DAAD/Ulrike Stehlik

Zwischen Tradition und Zukunft: Austausch in den Gängen der UNAM

Die mexikanischen staatlichen Universitäten befinden sich schon Jahrzehnte in einer intellektuellen Komfortzone von universitärer Lehr- und Forschungsautonomie. Für kooperatives unternehmerisches Denken gab es weder Notwendigkeit noch Platz, oder – noch schlimmer – Initiativen in Richtung gemeinsamer Lehr- und Forschungsprojekte mit der Privatindustrie wurden von großen Teilen der Hochschulbelegschaft pauschal als Eingriff in die Hochschulautonomie gewertet. Diese unternehmerische Denkparalyse wurde noch zusätzlich befördert durch die garantierte Grundfinanzierung dieser Lehreinrichtungen durch die Bundesregierung und die Bundesstaaten. Kein Wunder also, dass erstens der Finanzierungsanteil der Privatwirtschaft an universitärer Forschung in Mexiko unter drei Prozent liegt und zweitens die öffentlichen Hochschulen unisono laut aufschrien, als 2017 Mexikos Bildungsminister Nuño Mayer zukünftig eine höhere Selbstfinanzierung der Universitäten durch Kooperationen mit Unternehmen anregte.

Außerdem werden Unternehmen an den öffentlichen Hochschulen bisweilen immer noch als Vertreter eines an Gewinnmaximierung orientierten Systems ideologisiert, das der Philosophie der traditionell eher politisch links orientierten öffentlichen Hochschulen entgegensteht. Ein im deutschen Wissenschaftssystem kaum nachvollziehbarer Gedanke. Diese längst überkommene politisierte Mentalität existiert leider an vielen mexikanischen staatlichen Hochschulen noch heute und behindert nach wie vor eine zielgerichtete ideologiefreie Kooperation zwischen Hochschule und Wirtschaft wesentlich. Das Szenario ist umso dramatischer, wenn man sich vor Augen führt, dass im Schwellenland Mexiko, das inzwischen auf dem weltweiten Foreign Direct Investment Index Platz 14 einnimmt, zahlreiche ausländische Unternehmen geradezu händeringend nach Möglichkeiten der gemeinsamen Gestaltung von Projekten im Forschungs- und Ausbildungsbereich suchen.

Enormes, aber ungenutztes Kooperationspotenzial

Im Resultat existiert ein enormes, nach wie vor unausgeschöpftes Kooperationspotenzial zwischen öffentlichen Hochschulen und Unternehmen in Mexiko. Den beteiligten staatlichen Bildungsakteuren ist es bisher weder im Forschungs- noch im akademischen Ausbildungsbereich gelungen, Instrumente der mittel- und längerfristigen institutionellen Zusammenarbeit in großem Umfang zu etablieren oder bedarfsgerecht zu entwickeln sowie die dazu notwendige unternehmerische Mentalität zu schaffen. Und selbst wenn sich die staatlichen Hochschulen in Mexiko anscheinend bedächtig – an einigen Institutionen auch durchaus tatkräftig – immer mehr in den Bereich gemeinsamer Forschungsaktivitäten mit der Privatwirtschaft hineinwagen: Von einer ideologiefreien Strategie, die beiden Seiten nützt, kann man nicht sprechen, und die Zeit läuft ihnen langsam davon.

Und noch eine weitere Sache kommt hinzu: Vielfach erlernen die staatlichen Bildungsträger im Hochschulbereich erst jetzt die notwendigen operativen Schritte, die man benötigt, um gemeinsame Kooperationsprogramme mit der Wirtschaft tatsächlich erfolgreich zu implementieren und nachfolgend zu managen. Allzu oft fehlt dann schlichtweg noch das Know-how über das praktische Instrumentarium. Nachhilfe im zielgerichteten und ideologiefreien Kooperationsmanagement könnte da die eine oder andere private Hochschule anbieten. Wenn sie denn nur gefragt würden … Eins sollten die mexikanischen staatlichen Hochschulen inzwischen gelernt haben: Der ehemals gute Ruf hilft nicht beim Ranking.

Alexander Au

Der Beitrag ist zuerst in der Zeitung des Deutschen Kulturrates erschienen: Politik & Kultur, Ausgabe 2/2018