Leibniz-Preise für DAAD-Alumni: Professor Heike Paul im Porträt

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Heike Paul: "Als Außenseiterin fallen einem bestimmte Dinge auf, die aus binnenkultureller Perspektive völlig normal erscheinen"

Fasziniert von den USA: Für ihre transatlantische Forschung und Netzwerkarbeit erhält Heike Paul, Professorin für Amerikanistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Vor vielen Jahren in Koblenz am Rhein: Ein Bus mit Abiturientinnen und Abiturienten fährt zum Tag der offenen Tür an die Universität Mainz – unter ihnen die Schülerin Heike Paul. In Mainz setzt sie sich in ein Proseminar, die Studierenden analysieren gerade Amerikas politische Kultur, und von einer Schallplatte tönen die Stimmen von John F. Kennedy und Martin Luther King. Heike Paul hört den Ideen zur Verbesserung der Welt zu, und auf dem Rückweg nach Koblenz sitzt im Bus eine junge Frau, die ein Ziel gefunden hat. „Ich war sehr beeindruckt und hochzufrieden, denn ich wusste, was ich studieren wollte.“

Anhaltende Begeisterung

Heute forscht und lehrt Heike Paul auf dem Lehrstuhl für Amerikanistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und prägt junge Menschen, die sich für die transatlantischen Beziehungen interessieren. Jedes Jahr organisiert sie in den USA und in Deutschland Sommerakademien, unterstützt durch Fördergelder des DAAD, und begeistert mit ihrem wissenschaftlichen Zugang zur amerikanischen Kultur den akademischen Nachwuchs. Für ihre Arbeit wird sie jetzt mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis geehrt, dem wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland 

Eine andere akademische Art

Dreimal war die renommierte Amerikanistin selbst mit DAAD-Stipendien in den USA – während des regulären Studiums, im Rahmen eines Doktorandenprogramms und als Postdoc. „Bei meinem ersten Aufenthalt an der University of Washington in Seattle habe ich bereits prägende Erfahrungen gemacht – akademisch und politisch“, erzählt Heike Paul von ihrem Jahresstipendium Anfang der 1990er. Es war die Zeit des Zweiten Golfkriegs. Auf dem Campus fanden Demonstrationen statt, und in den Hörsälen ging es um Geschlechterkonstruktionen in der amerikanischen Populärkultur. „Damals wurde mein politisches Bewusstsein geschärft, und zudem erfuhr ich eine andere Art der akademischen Betreuung, die mir gut gefiel, weil sie zugleich förderte und forderte, unter anderem viel mehr zu schreiben als zuvor in meinem Studium in Frankfurt.“

Transatlantischer Kulturaustausch

Heike Paul erforscht den transatlantischen Kulturaustausch – zum Beispiel mit Blick auf den 1852 erschienenen, globalen Bestseller „Onkel Toms Hütte“ der amerikanischen Autorin Harriet Beecher Stowe. „Mich interessiert, auch vor dem Hintergrund der deutschen Immigration in die USA, welche Diskurse über Fragen des Rassismus es auf beiden Seiten des Atlantiks gab und gibt“, erklärt sie – und stellt mit Bezug auf den Roman Fragen wie: Warum haben die Deutschen das Buch verschlungen? Warum hat die Wirkung des Romans eine über 150-jährige Geschichte? Und warum löst sich heute der Umgang mit dem Buch von den einstigen Diskursen – auch wenn diese noch mitschwingen, etwa bei der Berliner U-Bahn-Station „Onkel Toms Hütte“?

Vorteil der Außenseiterperspektive

Aktuell untersucht Heike Paul kulturelle Muster der Gemeinschaftsbildung in den USA, entlang von Gründungsmythen oder auf der Grundlage eines „Staatsbürgersentimentalismus“. Sie blickt von Europa aus auf solche Gemeinschaftsentwürfe, und der Abstand, sagt sie, sei grundsätzlich förderlich. „Als Außenseiterin fallen einem bestimmte Dinge auf, die aus binnenkultureller Perspektive völlig normal erscheinen.“ Zum Beispiel im Zusammenhang mit einem Gefühl der Siedler und ihrer Nachkommen, auserwählt zu sein. Zu leicht könne man das aus inneramerikanischer Perspektive als gleichzeitig selbstverständlich und singulär sehen, weil man breitere globale Kontexte nicht im Blick hat.

Schon deswegen will Heike Paul mit dem Leibniz-Preis noch stärker vergleichende Forschung betreiben – in einem multikulturellen Team und im Rahmen eines größeren Netzwerks. Sie wird auch nach Kanada und Australien blicken, wo die Siedler ebenfalls mit Mythen Gemeinschaften gründeten, oder nach Europa und das Auftreten neuer Populisten mit dem Erfolg von Donald Trump vergleichen. „Und spannend ist doch auch, warum wir in Europa vor allem über die fehlende mythische Fundierung einer transnationalen Gemeinschaft diskutieren.“ 

Bettina Mittelstraß (22. Februar 2018)