DAAD-Salongespräch: Vom Wert des deutsch-französischen Austauschs für Europa

DAAD/David Ausserhofer

Spannender Austausch: DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel und die Botschafterin der Französischen Republik in Deutschland, Anne-Marie Descôtes

In der Veranstaltungsreihe „DAAD-Alumnilounge mit der Präsidentin“ empfing Professor Margret Wintermantel in Berlin Anne-Marie Descôtes, seit Juni 2017 Botschafterin der Französischen Republik in Deutschland. Das Gespräch lotete alte und neue Chancen der deutsch-französischen Freundschaft aus – für beide Länder und für Europa. DAAD Aktuell dokumentiert die Schwerpunkte des Gesprächs zwischen der französischen Botschafterin und der Präsidentin des DAAD.

Anne-Marie Descôtes studierte Germanistik und Kunstgeschichte, unter anderem mit einem DAAD-Stipendium in Berlin. Anschließend war sie als Attachée für Kultur in Bonn tätig und arbeitete in dieser Zeit bereits eng mit dem DAAD zusammen. Auch nach ihrer Berufung ins französische Außenministerium setzte sie sich stets für die deutsch-französischen Beziehungen und für Zusammenarbeit in der Bildung ein. 

Margret Wintermantel: Der französische Präsident Emmanuel Macron möchte die deutsch-französische Freundschaft intensivieren. Frau Descôtes, wie wollen Sie diese Freundschaft stärken?

Anne-Marie Descôtes: Auf der Frankfurter Buchmesse hat der französische Präsident sein Interesse an deutscher Kultur, Literatur und Philosophie zum Ausdruck gebracht. Dahinter steht die Idee, dass wir uns für unsere Zusammenarbeit noch besser kennenlernen und die Sprache des anderen besser sprechen sollten. Ich bin der Überzeugung, dass Bildung die große Herausforderung dieses Jahrhunderts ist und dass wir sehr viel in Bildung investieren müssen. Es ist ein Anliegen, das alle Länder betrifft. Deswegen zielt Präsident Macron nicht nur auf Partnerschaften mit Entwicklungsländern ab, sondern auch innerhalb Europas auf die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Salongespräch Descotes 2

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Die Veranstaltungsreihe „DAAD-Alumnilounge mit der Präsidentin“ diskutiert aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen

Margret Wintermantel: In meiner Kinderzeit begann dieses deutsch-französische Kennenlernen mit Hilfe einer französischen Brieffreundin. Man übte sich in der Sprache des anderen, indem man einfache Fragen stellte, wie: Hast Du auch ein Fahrrad? Man besuchte sich. Die Beziehungen begannen also mit der Schule, dann gab es Partnerschaften zwischen französischen und deutschen Dörfern und Städten. Und durch diese Anbahnungen von Freundschaften und Bekanntschaften haben die einstigen Erzfeinde nach dem Zweiten Weltkrieg zueinander gefunden – ganz basal und zunächst weniger auf der akademischen Ebene.

Anne-Marie Descôtes: Auch ich habe die Freude an der deutschen Sprache durch meine Brieffreundin entdeckt. Über das Deutsch-Französische Jugendwerk lernten junge Menschen einander kennen wie heute über das Erasmus-Programm, und bis heute hat Frankreich die meisten Städtepartnerschaften mit Deutschland. In Zukunft sind auch Partnerschaften zwischen Gebietskörperschaften – Regierungsbezirken und Départements – wichtig, um etwa den Austausch in Wirtschaft und Verwaltung oder im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung und Klimawandel voranzubringen. In den Grenzregionen lohnt es sich, noch viel mehr Schritte zu gehen. Es gibt immer noch viele konkrete Hürden und Hindernisse – wie zum Beispiel fehlende zehn Kilometer Eisenbahnschienen, um die deutschen oder französischen Schnellstrecken zu verbinden. Aber es gibt auch einen starken politischen Willen, konkrete Probleme anzugehen.

Margret Wintermantel: Auf akademischer Ebene gab es nach dem Zweiten Weltkrieg den Versuch, zum Beispiel mit der Universität des Saarlandes den Austausch zu stärken und sogar eine europäische Universität zu gründen. Damals war die Zeit noch nicht reif, heute gibt es die „Universität der Großregion“ – ein Universitätsverbund aus sechs Universitäten mit Standorten im Saarland, in Luxemburg, Nancy und Metz. Müssen wir weiter in diese Richtung denken?

Anne-Marie Descôtes: Darüber sollten wir noch viel mehr kommunizieren. Für Staatspräsident Macron ist das ein erstes gutes Beispiel für eine neue Form von „gouvernance“, die wir für europäische Universitäten erfinden müssen. Er hat von 20 solcher Universitäten im Jahr 2020 gesprochen – Netzwerke mit erleichterter Verwaltung –, die nicht nur in Grenzregionen entstehen müssten. Für Ausländer aus Drittländern, aus Japan, Korea oder China, ist das höchst interessant. Man bewirbt sich für einen Platz in einer Universität und ist auf einmal gleich in vier oder fünf europäischen Ländern immatrikuliert, geht von einem Campus zum anderen und hat dasselbe Studium. Das kommt sehr gut an. Wir sollten mehr in diese Richtung machen und auch über mehr Doppelabschlüsse nachdenken. Denn das ist für die Zukunft sehr wichtig.

Salongespräch Descotes 3

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Margret Wintermantel und Anne-Marie Descôtes sprachen über die Folgen, wenn Schüler kein Französisch oder Deutsch mehr in der Schule lernen

Margret Wintermantel: Welche Bedeutung hat der Spracherwerb im deutsch-französischen Hochschulaustausch? In Deutschland gibt es eine große Diskussion, inwieweit noch Französisch in der Schule gelernt wird. 

Anne-Marie Descôtes: Wir sind natürlich besorgt, wenn deutsche Schüler in der 10. Klasse Französisch aufgeben. Da kann man nicht erwarten, dass diese Schüler Französisch als Studiensprache benutzen. Ich meine, man muss neben Englisch im Studium auch die Vielfalt der europäischen Sprachen aufrechterhalten. Mit der Sprache lernt man auch die Kultur und Denkweise des anderen kennen. Man hat mir von einer Studie bei Airbus berichtet, die aufgezeigt hat, dass deutsche und französische Ingenieure weniger kreativ und innovativ waren, wenn alle ausschließlich auf Englisch kommunizierten und nie in der jeweiligen Muttersprache. Das bedeutet eine Verarmung im kreativen Denken. Und das können wir Europäer uns nicht leisten, wenn wir im Bereich Forschung und Technologien einen Vorsprung behalten wollen. Sprachenlernen ist kein Zeitverlust, sondern ein Weg, um auch in den Wissenschaften sehr viel weiter gehen zu können.

Margret Wintermantel: Wenn Sie abschließend Ihre Zeit als Attachée in Bonn mit der heutigen als Botschafterin in Berlin vergleichen: Hat sich die politische deutsch-französische Verständigung verbessert?

Anne-Marie Descôtes: Ja, natürlich, 30 Jahre Zusammenarbeit machen schon viel aus. Ich sehe vor allem, wie sich die Gewohnheiten in der politischen Zusammenarbeit weiterentwickelt haben. Durch neue Kommunikationsmittel ist alles einfacher und viel intensiver geworden. Wir haben inzwischen auch deutsche Kollegen in fast allen Ministerien. Dadurch kennt man sich besser, und die europäische Integration ist weiter. Es gibt eigentlich keine Frage mehr, zu der man sich nicht zuallererst mit den deutschen Kollegen austauscht. Selbst wenn inzwischen weniger Schüler in Frankreich Deutsch lernen und umgekehrt und wir daran arbeiten müssen, ist das doch eine sehr positive Entwicklung. 

Protokoll: Bettina Mittelstraß (10. Januar 2018)