Friedensnobelpreis 2017: Für eine Welt ohne Atomwaffen

Blitz Agency/Laurent Antonelli

Leo Hoffmann-Axthelm: "Es war wichtig, eine Stimme zu haben, die sich für einen Verbotsvertrag einsetzt"

Der Friedensnobelpreis für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) hat Leo Hoffmann-Axthelm jubeln lassen – und ihm seitdem zahlreiche neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Hoffmann-Axthelm, der während seines Studiums der Internationalen Beziehungen an der TU Dresden mit einem PROMOS-Stipendium für ein Semester in Buenos Aires studierte, ist Gründer und Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland e.V. sowie Vertreter der Kampagne gegenüber den EU-Institutionen in Brüssel.

Herr Hoffmann-Axthelm, warum setzen Sie sich mit ICAN für ein vollständiges Verbot von Atomwaffen ein?

Leo Hoffmann-Axthelm: Atomwaffen waren die einzigen Massenvernichtungswaffen, die international noch nicht geächtet wurden. Diese klaffende Lücke musste geschlossen werden. Als wir im Jahr 2013 ICAN in Deutschland gründeten, gab es viele NGOs, die mit unterschiedlichen Strategien gegen Atomwaffen kämpften. Es war aber wichtig, eine Stimme zu haben, die sich spezifisch für einen Verbotsvertrag einsetzt. Wir waren schon damals überzeugt, dass die Zeit dafür reif war. Deswegen haben mein damaliger Berliner Mitbewohner und ich ICAN nach Deutschland gebracht.

Wie haben Sie das erste Mal von ICAN erfahren?

Ich kannte ICAN und die anderen NGOs von den Konferenzen zum Atomwaffensperrvertrag, auf denen ich als Student viel unterwegs war. Direkt nach dem Studium war ich bei den Vereinten Nationen in New York ein halbes Jahr lang Abrüstungsbeauftragter für die Republik Nauru und habe in dieser Zeit intensiv mit ICAN zusammengearbeitet. Und als ich von New York nach Berlin zurückgekehrt bin, haben wir ICAN Deutschland gestartet.

Friedensnobelpreis 2017: Interview mit Leo Hoffmann-Axthelm

privat

Bei den Vereinten Nationen in New York: Sascha Hach, Leo Hoffmann-Axthelm und Anne Balzer von ICAN Deutschland

Wie hat sich Ihre Organisation in Deutschland entwickelt?

Am Anfang waren wir natürlich mit viel Grundsätzlichem beschäftigt, mit dem strukturellen Aufbau von ICAN Deutschland und der Bekanntmachung unseres Vereins. Aber schon unsere „Berlin Sessions on Humanitarian Disarmament“ mit rund 150 internationalen Teilnehmern waren Anfang 2014 ein großer Schritt. Wir haben uns dort auch mit anderen Abrüstungsbewegungen vernetzt, die sich gegen Streumunition, chemische Waffen, Landminen oder Killer-Roboter einsetzen. Durch Regierungskonferenzen in Norwegen, Mexiko und insbesondere Österreich bekam seinerzeit der Einsatz für ein Verbot von Atomwaffen den entscheidenden Schub. Und ICAN hat mit Kampagnen- und Lobby-Arbeit erreichen können, dass weltweit die Mehrheit der Staaten ein solches Verbot unterstützt. Dieses Ziel haben wir mit der Zustimmung von 122 Staaten der Vereinten Nationen im Juli 2017 erreicht, auch wenn Deutschland das Verbot von Atomwaffen bisher boykottiert.

Was zeichnet den erreichten Durchbruch aus?

Der Verbotsvertrag bedeutet natürlich noch nicht die Abschaffung der Atomwaffen, er kann aber der Beginn ihres Endes sein. Wenn die überwältigende Mehrheit der Staaten Atomwaffen als inakzeptabel zurückweist, hat das politische, rechtliche und auch moralische Folgen. Politikern wie US-Präsident Donald Trump oder Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un wird in Erinnerung gerufen, dass es überhaupt nicht in Ordnung ist, wenn sie sich gegenseitig mit dem Mord an Millionen unschuldigen Zivilisten drohen. Und wenn ein Staat wie Deutschland es nicht mag, wie zum Beispiel die USA und Nordkorea für Atomwaffen werben, dann hat die Bundesregierung mit dem Verbotsvertrag nun die Möglichkeit, sich anders zu positionieren.

Die Bundesregierung hält Abrüstungsinitiativen ohne Beteiligung der UN-Veto- und Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA für zu einseitig. Auch die NATO lehnt das Atomwaffenverbot bisher ab.

Man darf auf keinen Fall unterschätzen, wie stark die weltweite Wirkung einer deutschen Zustimmung wäre. Deutschland hat nun eine einmalige Chance, eine Zeitenwende einzuleiten und Massenvernichtungswaffen den Rücken zu kehren. Und was die Ängste in der NATO anbelangt: Das Bündnis war schon in der Vergangenheit sehr flexibel. Norwegen, Dänemark und Spanien etwa erlauben den Transit von Atomwaffen seit Jahren nicht mehr und verweigern auch atomwaffenfähigen Schiffen den Zugang zu ihren Häfen. Deutschland und gleichgesinnte Staaten haben eine positive Handlungsoption. 71 Prozent der Bundesbürger fordern, dem Verbot beizutreten. Es wäre eine kohärente und verantwortungsvolle Politik, wenn sich Deutschland mit seinen NATO-Partnern auf ein opt-out einigt, und nicht länger an nuklearen Übungen und der nuklearen Abschreckung teilnimmt.

Was bedeutet der Friedensnobelpreis für Ihre Arbeit?

Natürlich gab es seit der Bekanntgabe der Entscheidung eine Flut von Medienanfragen, die wir nutzen, um für unser Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu werben und Druck auf Staaten wie Deutschland auszuüben. Auch hat sich innerhalb weniger Tage gezeigt, wie viele neue politische Möglichkeiten sich mit dem Friedensnobelpreis für unsere international vernetzte Arbeit eröffnen. In Italien hat das Parlament die Regierung etwa dazu verpflichtet, eine Ratifikation zu prüfen. Schritt für Schritt wird das Verbot die Wahrnehmung von Atomwaffen verändern: Man kann sich nicht länger damit brüsten, sondern sollte sich vielmehr schämen, die gesamte Menschheit einem solchen Risiko auszusetzen. Ich habe den Eindruck, dass die Debatte allein durch den Friedensnobelpreis um Jahre vorangekommen ist.

Interview: Johannes Göbel (15. Dezember 2017)