DAAD-Alumna Alyssa Evans: Eine Amerikanerin erforscht die Reformation

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Alyssa Evans: „Als besonderes Glück habe ich empfunden, dass ich einen Teil des Reformationsjahrs vor Ort miterleben durfte“

Alyssa Lehr Evans, Doktorandin am Princeton Theological Seminary in New Jersey, hat sich in Deutschland intensiv mit der Geschichte der Reformation beschäftigt. Bis vor Kurzem forschte sie an der Georg-August-Universität Göttingen, ausgestattet zunächst mit einem Fulbright Scholarship und dann mit einem Stipendium des DAAD. Ein Interview über alte Schriften, neue Freunde und den Nutzen eines Jubiläums für die Wissenschaft.

Ms Evans, warum interessiert sich eine junge amerikanische Wissenschaftlerin wie Sie für die deutsche Reformation?

Alyssa Lehr Evans: Das hat einen persönlichen und akademischen Hintergrund: Ich bin katholisch aufgewachsen, habe mich aber als Erwachsene dem Protestantismus zugewandt und wollte mehr darüber wissen. Im Theologiestudium habe ich Luther gelesen und war fasziniert. Vor allem ist die Reformation auch historisch, politisch, und theologisch eine spannende Zeit mit einschneidenden Veränderungen. Dieser interdisziplinäre Blickwinkel spricht mich besonders an.

Ihr Spezialgebiet ist Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, der bereits im April 1517 – ein halbes Jahr vor Luther – in Wittenberg eigene Thesen zur Reformation angeschlagen hat. Trotzdem ist er heute weitgehend unbekannt. Weshalb?

In den frühen Jahren der Reformation haben Luther und Karlstadt eng zusammengearbeitet. Aber bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Wissenschaft Karlstadts Wirken vornehmlich durch Luthers spätere Schriften interpretiert, als Luther sich mit Karlstadt überworfen hatte. Deswegen wurde Karlstadts eigenes Werk trotz seiner wichtigen Rolle lange ignoriert. In der Zahl seiner Veröffentlichungen wird er nur von Luther übertroffen. Insbesondere sein Verhältnis zu Strömungen, aus denen sich später die Anabaptisten entwickelten, ist noch weitgehend unerforscht. Wenn wir Karlstadt besser verstehen, erschließen sich die Vorgänge rund um die neue Bewegung aus Wittenberg noch einmal neu für uns.

Reformationstag: Interview mit DAAD-Alumna Alyssa Lehr Evans

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Alyssa Evans und das Team der Karlstadt-Edition konnten im April 2017 die Veröffentlichung der ersten beiden Bände der Kritischen Ausgabe feiern

Wollten Sie nach Deutschland, weil Sie hier besseren Zugang zu Archiven haben?

Ja, wenn man über die deutsche Reformation forschen möchte, ist kein besserer Ort denkbar. Es gibt über Karlstadt nicht viele Veröffentlichungen auf Englisch. In Göttingen arbeiten zudem mehrere Wissenschaftler an einer Kritischen Gesamtausgabe der Schriften und Briefe von Karlstadt, der Karlstadt-Edition. Der Kontakt zu diesen Experten war für mich sehr wichtig, insbesondere zu Professor Thomas Kaufmann und den Editoren der Edition. Sie haben mich ins Team integriert, mir Verantwortung übertragen und trotzdem Freiraum für meine eigenen Forschungen gelassen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Was waren Ihre wichtigsten Erfahrungen?

Ich habe mich fachlich enorm weiterentwickelt. Die Arbeit an der Edition war sehr spannend. Die ersten beiden Bände sind im April veröffentlicht worden, insgesamt werden es neun oder zehn Bände werden. Als besonderes Glück habe ich empfunden, dass ich einen Teil des Reformationsjahrs vor Ort miterleben durfte. All das wäre ohne die Unterstützung durch den DAAD nicht möglich gewesen. Ich habe auch andere DAAD-Stipendiaten kennengelernt und empfinde es als Ehre, dass ich für die Förderung ausgewählt wurde.

Und Ihre persönlichen Eindrücke? Deutsche gelten mitunter ja als eher reserviert.

Die Zeit war nicht immer einfach, schon weil das akademische System in Deutschland zwar sehr gut, aber auch anders ist als das amerikanische. Ich habe Freundschaften mit deutschen Kollegen geschlossen. Das ist unbezahlbar. Viele meiner amerikanischen Landsleute finden den Umgang mit Deutschen nicht leicht, weil die Kommunikation nach anderen Regeln verläuft. Aber ich fand die meisten Deutschen unglaublich freundlich und offen. Die Gespräche gingen oft tiefer, als ich es aus den USA gewohnt bin.

Wie geht es bei Ihnen weiter, werden Sie auch in Zukunft über Karlstadt forschen?

Ich bin jetzt zurück in Princeton und vollende meine Dissertation über Karlstadts Schriften von 1517 bis 1519 und seinen Stellenwert als Reformator. Sie wird nächstes Jahr abgeschlossen sein. Dann werde ich mich auf Professuren bewerben. Ich suche in den USA, bin aber auch offen für andere Länder, besonders für Deutschland. So oder so werde ich oft nach Deutschland zurückkehren, um zu forschen und meine neuen Freunde zu besuchen.

Wird das 500-jährige Jubiläum der Reformation auch in den USA wahrgenommen und gefeiert?

Nicht so groß wie in Deutschland, aber Bildungseinrichtungen und kirchliche Institutionen erinnern daran und organisieren Diskussionen und Ausstellungen. Unser Theologisches Seminar in Princeton veranstaltet eine Sondervorlesung. Besonders froh bin ich darüber, dass zum Jubiläum wieder einige Standardwerke zur Reformation ins Englische übersetzt werden. Das nutzt auch der Wissenschaft. Ich kann amerikanischen Studenten ja nicht nur deutsche Lektüre verordnen!

Interview: Christine Mattauch (30. Oktober 2017)