Grimm-Preis 2017: Wissenschaftler, die Grenzen überwinden

DAAD/Eberhard J. Schorr

Gruppenbild mit Preisträgern (v. l.): Rolf G. Renner (Universität Freiburg), Botschafterin María Victoria Morera Villuendas, Heidrun Tempel (Auswärtiges Amt), DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel, Grimm-Preisträgerin Marisa Siguan Boehmer, Grimm-Förderpreisträger Mads Christiansen, Gerhard Lauer (DAAD-Beirat Germanistik, Universität Göttingen) und Botschafter Friis Arne Petersen

Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Professor Marisa Siguan Boehmer hat den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD erhalten. Durch ihre Lehre, Forschung und Übersetzungen hat sie einen großen Beitrag zur Verbreitung der deutschsprachigen Literatur in Spanien geleistet. Der Grimm-Förderpreis ging an den dänischen Juniorprofessor Mads Christiansen.

Marisa Siguan Boehmer ist eigentlich keine Frau, der es so schnell die Sprache verschlägt. Die spanische Professorin ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und beschäftigt sich intensiv in Forschung und Lehre mit Literatur und Sprache. Als sie in den 90er-Jahren in Tokio mit der Metro unterwegs war, war es irgendwann aber so weit. Siguan war mit ihrem deutschen Forscherkollegen Professor Rolf G. Renner in der U-Bahn unterwegs, um die japanische Hauptstadt zu erkunden. Unterwegs vertieften sie sich immer mehr in ihr Gespräch über deutsch-spanische Literaturbeziehungen – bis sie irgendwann, als sie aus dem Fenster schauten, nur noch Schilder mit japanischen Schriftzeichen sahen. Mit ihren Sprach- und Schriftkenntnissen kamen sie nun nicht weiter. Das Gespräch über deutsche und spanische Literatur hatte beide so sehr gebannt, dass sie irgendwann „Lost in Translation“ waren, wie Rolf Renner bei der Verleihung des renommierten Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preises des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) erzählte.

Diese Anekdote wirft ein Schlaglicht auf das Engagement für die Germanistik in Spanien, für das Siguan am 17. Oktober 2017 in der Spanischen Botschaft in Berlin mit dem Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis ausgezeichnet wurde. Die 63-Jährige widmet sich in ihrer Forschung unter anderem den deutsch-spanischen Literaturbeziehungen und der Literaturgeschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Daneben hat sie wegweisende kultur- und übersetzungswissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Bei allem, was sie schreibe und lehre, gehe sie stets „ins Innerste der Sprache“, lobte Laudator Rolf Renner. Sie habe die deutsche Kultur nach Spanien geholt, indem sie beispielsweise die spanische Goethe-Gesellschaft mitgründete und Werke wie die „Geschichte der Literatur in deutscher Sprache“ verfasste.

Wertvolle Auslandserfahrungen

Marisa Siguan Boehmer forschte viel im Ausland, etwa in Freiburg, Köln oder Buenos Aires. Heute leitet sie den Lehrstuhl für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universitat de Barcelona und gibt ihre eigenen Erfahrungen der „kulturellen Grenzüberschreitung“, wie es Renner nannte, in einem interdisziplinären Masterstudium sowie in Doktorandenprogrammen weiter. Siguan Boehmer habe sich „seit Jahrzehnten auf unermüdliche Weise für die Germanistik in Spanien eingesetzt“, lobte die Botschafterin von Spanien, María Victoria Morera Villuendas. Durch die Studiengänge, ihre Übersetzungen und ihre Forschungstätigkeit habe sie „in sehr hohem Maße zur Verbreitung der deutschsprachigen Literatur in Spanien und weiten Teilen Lateinamerikas beigetragen“, so Heidrun Tempel, die Beauftragte für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik und Auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. Siguan erhält für ihre Leistungen ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde an diesem Abend der dänische Juniorprofessor Mads Christiansen. Er erhielt den Grimm-Förderpreis. Der 33-Jährige hat sich in der germanistischen Forschung zum einen durch seine Arbeiten zu sogenannten Enklisen einen Namen gemacht. Enklisen sind Wortverschmelzungen: so wie etwa bei dem Zusammengehen der Worte „gibt“ und „es“ zu „gibt’s“. Seine Dissertation zum Thema sei „einer der wichtigsten Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte in den letzten zehn Jahren“, betonte Festredner Professor Gerhard Lauer, der Vorsitzende des DAAD-Beirats Germanistik.

Christiansen sei zudem ein „hochgeschätzter Lehrer an der Universität und in der Schule“, hob Lauer hervor. Zudem bringe er große historische Kenntnisse über die deutsche Sprache und didaktische Leidenschaft mit, so Lauer. Das sei nötig, „damit wir unsere Sprache nicht nur plappern, sondern auch reflektieren können“. Der Däne war drei Jahre lang Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte. Heute lehrt er an der Universität Aalborg Deutsche Sprachwissenschaft und geht dabei durch seinen digital unterstützten Unterricht neue didaktische Wege.

Persönlicher Einsatz

Christiansen kann sich neben der Anerkennung und einem Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro zudem – wie auch Marisa Siguan Boehmer – über einen durch den Grimm-Preis ermöglichten Forschungsaufenthalt in Deutschland freuen. Beide würden damit „als Menschen geehrt, deren fachliche Leistungen und deren persönlicher Einsatz dazu beitragen, Grenzen zu überwinden“, betonte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel bei der Festveranstaltung. Durch ihre Arbeiten beleuchteten sie die Bereicherung, die durch den Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturräumen entstehe.

Wintermantel machte deutlich, dass es bei dem Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis nicht nur um eine Auszeichnung für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Germanistik gehe. Der Preis solle auch ermutigen, „die fachliche und kulturelle Grenzüberschreitung immer wieder zu wagen“. Die Germanistik könne einen Beitrag für eine tolerante und offene Gesellschaft leisten. Sowohl Siguan als auch Christiansen hätten sich dieser Aufgabe gestellt.

Hendrik Bensch (20. Oktober 2017)

Weitere Informationen

Der Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis
Mit den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preisen zeichnet der DAAD ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, die sich neben ihrer fachlichen Leistung in besonderer Weise für die internationale Zusammenarbeit in den Fachbereichen Germanistik und Deutsch als Fremdsprache engagieren. Vergabejury ist der Beirat Germanistik des DAAD, der den DAAD in allen Belangen der Förderung von Germanistik und Deutsch an Hochschulen berät. Die Preise werden aus Mitteln des Auswärtigen Amts finanziert.
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