Aufbruchstimmung im Ostseeraum

Michael Jordan

Die Mobilität von Studierenden macht Hochschulen internationaler

Seit mehr als 15 Jahren ist „Wissenschaft weltoffen“ mit jährlich aktuellen Daten zur Internationalität von Studium und Forschung in Deutschland die zentrale Informationsquelle für alle, die sich zur internationalen Mobilität von Studierenden und Akademikern informieren möchten. Neben den Fakten bietet die vom DAAD und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung herausgegebene Publikation ein Fokus-Thema mit Blick auf Trends in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Schwerpunkt des aktuellen Berichts „Wissenschaft weltoffen 2017“ ist die akademische Mobilität und Kooperation im Ostseeraum. Dr. Jan Kercher, Referent für externe Studien & Statistiken im DAAD-Referat Forschung und Studien, spricht im Interview über das diesjährige Zahlenmaterial, die Modellregion Ostseeraum und überraschende Ergebnisse.

Herr Dr. Kercher, für Sie ist die Beschäftigung mit dem umfangreichen Zahlenmaterial zu „Wissenschaft weltoffen“ fast schon Routine. Gibt es dennoch Aspekte, die Sie bei der Arbeit an der diesjährigen Publikation überrascht haben?

Jan Kercher: Dank der Daten, die „Wissenschaft weltoffen“ über die Jahre zur Verfügung stellt, zeichnete sich schon in den letzten Jahren ab, dass die Mobilität der Studierenden schneller steigt als erwartet. Überraschend ist dennoch, dass das von DAAD und Bundesregierung für 2020 gesetzte Ziel von 350.000 ausländischen Studierenden in Deutschland schon 2017 übertroffen wurde. Mehr Überraschungspotential steckt in den jeweils fokussierten Themen. Mich persönlich hat in diesem Jahr die wirtschaftliche und wissenschaftliche Bedeutung des Ostseeraums überrascht. Es ist beeindruckend, dass ein Zehntel des globalen Bruttosozialprodukts oder etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union im Ostseeraum produziert wird. Die wissenschaftlichen Beziehungen sind über Ländergrenzen hinweg sehr eng und werden gestärkt durch das 2016 von neun Anrainerstaaten gegründete Baltic Science Network für eine gemeinsame Wissenschaftspolitik. Das sorgt für Aufbruchstimmung.

Wissenschaft Weltoffen
privat

Jan Kercher ist beim DAAD zuständig für externe Studien und Statistiken

Gibt es auffällige Trends in dieser Schwerpunktregion Ostseeraum?

Gemeinsame Interessen im Ostseeraum sind vor allem die Meeresforschung, aber auch Geschichte und Kultur des Lebensraums wie etwa Architekturgeschichte. Auffällig an dem Befund ist, dass nachhaltige Kooperationen inhaltlich getrieben sind und auf den gemeinsamen Interessen oder der gemeinsamen Geschichte der Ostsee-Anrainer aufbauen. Hier sollten also auch zukünftige Maßnahmen zur Vertiefung der Kooperation ansetzen.

Die Schwerpunktregion ist „modellhaft“ für andere Regionen Europas – warum?

Die Ostseeregion ist die erste, die von der EU von 2009 an als sogenannte Makroregion gefördert wurde. Erstmals konnten damit länderübergreifende Initiativen unterstützt werden. Das seit den 1980er Jahren eher abstrakt diskutierte Konzept vom „Europa der Regionen“ wird seither lebendig und konkret ausgestaltet. Im Anschluss wurden weitere Makroregionen ausgemacht, die von der EU gefördert werden – wie die Donau-, die Alpen- und die Adriaregion.

Welche Funktion hat „Wissenschaft weltoffen“ für akademischen Austausch und Hochschulkooperation?

Die Mischung aus Standardkapiteln mit den fortgeschriebenen Daten und dem Fokus-Kapitel mit wechselnden Schwerpunkten ist für unsere Zielgruppen an den Hochschulen sehr hilfreich. Wir beobachten kontinuierlich relevante positive wie negative Entwicklungen. Diese Beobachtungen sind wichtig, um hochschul- oder wissenschaftspolitischen Handlungsbedarf zu erkennen. Zum Beispiel machte der Ostseefokus deutlich, dass in der Wissenschaft in den vergangenen Jahren die Kooperation mit Russland eher rückläufig ist. Wissenschaftliche Zusammenarbeit ist aber eine wichtige Brücke, wenn sich politisch Gräben auftun. Auf der Grundlage unserer Befunde kann man auf solche Entwicklungen reagieren und beispielsweise mit Förderprogrammen gegensteuern. Wissenschaft weltoffen dient auch einzelnen Hochschulen zur Orientierung. Sie können sich mit der Gesamtentwicklung in Deutschland vergleichen. Und schließlich werden unsere Themensetzungen als Chance für die Internationalisierung deutscher Hochschulen betrachtet, denn sie verweisen auf mögliche neue Austauschpartner.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Arbeit an einer Publikation wie „Wissenschaft weltoffen“?

Wir arbeiten mit Datenquellen, die auf unterschiedliche Weise entstehen oder unterschiedlicher Qualität sind. Umfragedaten oder amtliche Statistiken etwa sind in ihrer Aussagekraft auch unterschiedlich zu bewerten. Wissenschaft weltoffen will aber verlässliche und verbindliche Daten liefern, die orientieren und nicht verwirren sollen. Diese Qualitätsprüfung zu leisten und transparent zu machen, ist unsere wichtigste Herausforderung.

Wie bringt sich der DAAD mit seiner Expertise ein?

Die Publikation entsteht paritätisch in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Der Fokus-Artikel wird zum Beispiel im DAAD im Referat Forschung und Studien erstellt. Es war eine bewusste Entscheidung, sich an der Erstellung der Texte und den Analysen zu beteiligen, denn damit ist ein bedeutender Zugewinn an Wissen verbunden. Der hilft uns im DAAD bei der Aufgabe, nicht nur Fördereinrichtung, sondern auch Wissensträger zu sein.

Interview: Bettina Mittelstraß (9. August 2017)