Erasmus+ Jahrestagung: Europa zum Austausch bewegen

Daniel Ziegert/DAAD

Äußerst erfolgreiches Mobilitätsprogramm: Seit 1987 bringt Erasmus Studierende in die Welt hinaus

Die Erasmus+ Jahrestagung in Heidelberg feierte das 30-jährige Bestehen des europäischen Austauschprogramms. Mit Diskussionen über Vergangenheit und Zukunft, einem multimedialen Rückblick und einer interaktiven Kunstinstallation.

Das Baugerüst auf dem Heidelberger Universitätsplatz ist mit Plakaten, Endlosfaxen und blau-schwarz bedruckten Blättern behängt – und es werden immer mehr. Ein Student im weißen Arbeitsanzug taucht Holzbuchstaben in Farbe, eine Etage höher rattert ein Drucker. Neben dem Gerüst hat sich eine Menschenschlange gebildet, denn hier kann man sich „Temporary Tattoos“ auf die Haut stempeln lassen: Herzen, Liebespfeile, Friedenstauben oder Fleißbienchen. Die Poesiealbum-Motive werden zu Symbolen für das Erasmus-Programm, dessen 30. Jubiläum bei der Jahrestagung am 1. und 2. Juni an der Universität Heidelberg gefeiert wurde.

„Die Philosophie von Erasmus wie von Europa ist gegenseitiges Verständnis“, sagt Professor Patrick Thomas von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Darum ist die Installation, die seine Kommunikationsdesign-Klasse gemeinsam mit der Industrial-Design-Klasse von Professor Uwe Fischer aufgebaut hat, interaktiv: Jeder kann über Instagram eigene Fotos, Illustrationen oder Texte schicken und damit die Installation ergänzen. „Wir empfangen Informationen durch das Erasmus-Netzwerk und bringen sie sofort mit digitaler und analoger Technik heraus“, erklärt Thomas. Die Stuttgarter Studierenden arbeiten auf ihrem Gerüst unter anderem mit Siebdrucktechnik, Risografie und Laserprinter. Im Laufe des Tages und der folgenden Nacht treffen Beiträge aus Florenz, Madrid, Stockholm, Vilnius und vielen anderen europäischen Orten ein. „Wir wollten kein fertiges Projekt“, sagt Uwe Fischer, „denn auch Erasmus und Europa sind ja nichts Abgeschlossenes, sondern in Bewegung.“

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Daniel Ziegert/DAAD

Vergangenheit und Zukunft standen im Mittelpunkt der Erasmus+ Jahrestagung

Verschiedene Vorträge, Präsentationen und eine Publikumsdiskussion nahmen am ersten Tag der Jahrestagung Vergangenheit und Zukunft des äußerst erfolgreichen Mobilitätsprogramms in den Blick; in den Pausen konnten die Tagungsteilnehmer immer wieder die interaktive Kunstinstallation auf dem Universitätsplatz aufsuchen. Am zweiten Tagungstag standen neun Workshops zu aktuellen Erasmus+ Themen, zum Beispiel Qualitätsmanagement und Auslandspraktika, sowie zu konkreten Fragen der Programmumsetzung zur Auswahl.

Austausch aufrechterhalten – auch in politisch schwierigen Zeiten

Zum Auftakt der Jahrestagung warnte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel eindringlich vor dem Erstarken populistischer Bewegungen in Europa: „Statt nationaler Abschottung bedarf es offener Gesellschaften. Wir müssen uns daher weiterhin unbeirrt für gegenseitigen Respekt, Anerkennung, Toleranz, demokratische Werte und Kooperationen auf Augenhöhe einsetzen.“ Dem akademischen Austausch komme dabei eine Schlüsselrolle zu, denn der Wechsel des eigenen Standortes gehe oft mit einem persönlichen Perspektivwechsel einher. „Angesichts der vielen aktuellen Herausforderungen kann die Zukunft nur in einem weiteren Ausbau des EU-Bildungsprogramms Erasmus+ liegen“, sagte Wintermantel. Sie rief dazu auf, auch nach dem „Brexit“ mögliche Hemmnisse im europäisch-britischen Studierendenaustausch zu vermeiden und trotz der aktuellen politischen Entwicklungen die Hochschulzusammenarbeit mit der Türkei aufrechtzuerhalten, da sie vielfältige Möglichkeiten der gegenseitigen Verständigung biete.

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DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel (2. v. l.) warnte vor dem Erstarken populistischer Bewegungen in Europa. Mit im Bild (v. l. n. r.): Bernhard Eitel, Rektor der Universität Heidelberg, Theresia Bauer, baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, und Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit

Auch der gastgebende Rektor der Universität Heidelberg, Professor Bernhard Eitel, und die baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Theresia Bauer, gingen auf die Krisen in Europa ein. Nur durch internationale Kooperation seien die Probleme lösbar, sagte Bauer: „Das kann man nicht aus dem Lehrbuch lernen, man muss es leben.“ Auch deshalb forderte die Ministerin deutlich mehr EU-Mittel für das Austauschprogramm. In Deutschland können derzeit nur 50 Prozent der Erasmus-Förderanträge der Hochschulen bewilligt werden.

Multimedialer Streifzug durch die Erasmus-Geschichte

Ein abwechslungsreicher multimedialer Rückblick führte die rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jahrestagung durch die Erasmus-Geschichte: Kurze Videoclips zeigten die verschiedenen Phasen des Programms – von der Gründung über die geografische Ausweitung nach Ost- und Südosteuropa bis zur neuen Programmgeneration Erasmus+, die unter anderem die mehrfache Förderung einzelner Studierender ermöglicht hat. Zwischen den Clips interviewte Dr. Markus Symmank von der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD Vertreter anderer europäischer Nationaler Agenturen sowie Alumni und Zeitzeugen, etwa den ersten Leiter des Erasmus-Büros der Europäischen Kommission, Alan Smith, dem der Name des Programms unter der Dusche eingefallen war, sowie Dr. Siegbert Wuttig, den ersten Leiter der Nationalen Agentur im DAAD.

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Interaktive Kunst: Jeder konnte über Instagram eigene Fotos, Illustrationen oder Texte schicken und damit die Erasmus-Installation ergänzen

Über die Halbzeit-Evaluation der laufenden und die Vorbereitung auf die nächste Programmgeneration diskutierten im Anschluss Dr. Henk van Liempt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und Sébastien Combeau von der Europäischen Kommission. Die Ziele von Erasmus+ – vor allem die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmer – seien erreicht worden, bilanzierte van Liempt. Zugleich empfahl er, für die nächste Programmgeneration flexiblere Ziele zu setzen. Dies sei nötig, um bei Bedarf rascher umsteuern zu können, sagte auch der Direktor der Nationalen Agentur im DAAD, Dr. Hanns Sylvester. Angesichts der Tatsache, dass sich Teile der europäischen Bevölkerung von der Idee der Gemeinschaft immer mehr abwenden, sollten künftig vor allem die europäischen Werte im Mittelpunkt von Erasmus stehen. Nationale Agentur und BMBF streben auch an, den Verwaltungsaufwand für die Förderantragsteller zu verringern und die unzureichenden IT-Tools zu verbessern. Sébastien Combeau nannte als Ziel unter anderem mehr Inklusion: Das Programm solle stärker für sozial Benachteiligte geöffnet werden.

Bis in den Abend hinein diskutierten die Tagungsteilnehmer über Erasmus und Europa. Nach Einbruch der Dunkelheit verwandelte sich das Gerüst auf dem Universitätsplatz dann in einen Lichtwürfel. Ein Beamer projizierte die eingegangenen Beiträge aus ganz Europa auf eine Leinwand – und immer wieder sieben Buchstaben und zwei Ziffern: Erasmus 30.

Miriam Hoffmeyer (7. Juni 2017)