Nachbar Niederlande: „Das Interesse an Deutschland wächst“

iDA

Die Teilnehmer der Hochschulpolitischen Informationsreise der Internationalen DAAD-Akademie in der Residenz des deutschen Botschafters in Den Haag

Die alljährliche Hochschulpolitische Informationsreise der Internationalen DAAD-Akademie (iDA) führte 2017 in die Niederlande. Begleitet wurden die Mitglieder deutscher Universitätsleitungen – Präsidenten, Vizepräsidenten, Prorektoren und Kanzler – auch vom stellvertretenden DAAD-Generalsekretär Ulrich Grothus. Im Interview spricht er über Eindrücke der Reise, die Innovationskraft des niederländischen Hochschulsystems und das gesellschaftliche Klima nach den Parlamentswahlen.

Herr Grothus, was hat für die Niederlande als Ziel der Hochschulpolitischen Informationsreise 2017 gesprochen?

Ulrich Grothus: Unser Hauptinteresse war, ein Land noch besser kennenzulernen, das im Hochschulbereich offensichtlich viel richtig macht. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass sämtliche staatliche niederländische Universitäten – mit Ausnahme der Fernuniversität – vom Times Higher Education Ranking zu den 200 besten Hochschulen der Welt gezählt werden. Auch haben wissenschaftliche Publikationen aus den Niederlanden, in Relation gesetzt zum Bruttosozialprodukt des Landes, weltweit den höchsten Impact.

Hochschulpolitische Informationsreise in die Niederlande

Andreas Paasch

Ulrich Grothus: "Es gibt in den Niederlanden grundsätzlich eine größere Bereitschaft, neue Wege zu gehen"

Was sind die Gründe für diese Erfolge?

Es gibt insbesondere zwei Gründe, die beide auch ihre Kehrseiten haben. Das Hochschulsystem der Niederlande ist besonders effizient. Die Universitäten können straff gesteuert werden, was auch damit zu tun hat, dass weder Rektoren noch Dekane auf Wahlen angewiesen sind. Natürlich lässt sich so nicht immer ein Konsens innerhalb der Universität herstellen. Zu den Stärken des niederländischen Hochschulsystems zählt weiterhin seine Innovationskraft: Es gibt in den Niederlanden grundsätzlich eine größere Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Zugleich gibt es ein neuerdings recht verbreitetes Misstrauen gegenüber Institutionen, das auch vor angesehenen, traditionsreichen Universitäten nicht haltmacht. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile eine Fülle von Leistungsnachweisen von den niederländischen Universitäten verlangt werden.

Was sind Beispiele für neue Wege in der niederländischen Hochschullandschaft?

Zwei Beispiele waren für unsere Gruppe während der Hochschulpolitischen Informationsreise besonders eindrucksvoll. Zum einen haben wir das Amsterdam University College besucht: Die niederländischen University Colleges bieten ihren Bachelorstudierenden eine sehr breit angelegte Ausbildung, die sich nicht auf einzelne Fächer, sondern auf ganze Fachbereiche wie zum Beispiel die Natur- oder Sozialwissenschaften konzentriert. Dahinter steht der Gedanke, dass sich die jungen Leute später ohnehin noch umorientieren müssen und deshalb von einer breiten Bildung in einem bestimmten Feld profitieren. Unsere etwas skeptische Frage, wie diesen Studierenden anschließend der Einstieg in einen disziplinären Masterstudiengang gelingt, wurde empirisch beantwortet: Absolventen der University Colleges studieren an Institutionen wie den Universitäten in Oxford und Cambridge oder dem schwedischen Karolinska-Institut weiter. Auf universitärer Ebene haben wir während der Reise mit der Universität Wageningen ebenfalls ein sehr eindrucksvolles Beispiel für Innovationskraft kennengelernt. Die Universität war ursprünglich eine Agraruniversität, erlebte aber in den 1980er- und 1990er-Jahren einen dramatischen Einbruch der Studierendenzahlen. Sie hat sich dann neu aufgestellt, hat außeruniversitäre Forschungsinstitute in die Universität integriert – und zählt heute zu den weltweit führenden Universitäten in den Bereichen Agrar- und Lebenswissenschaften.

Welche Unterschiede gibt es zwischen dem deutschen und dem niederländischen Hochschulsystem?

Bemerkenswert ist, dass in den Niederlanden ein gutes Drittel der Studierenden an Universitäten studiert, etwa zwei Drittel an Fachhochschulen, den Hogescholen. In Deutschland haben wir umgekehrte Zahlenverhältnisse. In den Niederlanden wurde schon in den 1980er-Jahren damit begonnen, erhebliche Ressourcen in die Hogescholen zu investieren – weil man eben der Meinung war und ist, dass diese Fachhochschulen für die Mehrheit der Studierenden das richtige Modell sind. Die Niederlande haben eines der egalitärsten Hochschulsysteme der Welt; der Anteil von Studierenden mit Akademikereltern entspricht weitgehend dem Anteil von Akademikern an der Gesamtbevölkerung. Es gibt fast nur im Medizinstudium einen Numerus clausus und keine Auswahl-, sondern stattdessen Orientierungsgespräche – und das bei einer starken Exzellenzorientierung des Hochschulsystems. Die Orientierungsgespräche sind für Hochschulen wie für Studierende verpflichtend; die Empfehlungen an die Studierenden sind aber nicht bindend.

Die Hochschulpolitische Informationsreise der Internationalen DAAD-Akademie fand kurz nach den niederländischen Parlamentswahlen statt. Haben Sie in der als besonders weltoffen geltenden Hochschullandschaft große Erleichterung gespürt, dass der Rechtspopulist Geert Wilders weniger stark als erwartet abgeschnitten hat?

Es war den meisten Niederländern schon zuvor klar, dass Wilders keine realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung hatte. Andererseits sind 13 Prozent Zustimmung immer noch ein bedenklich hoher Wert. Und wenn man sich die Stimmenverteilung auf die Parteien insgesamt anschaut, kann man feststellen, dass das Pendel schon stark nach rechts ausgeschlagen ist. Das gesellschaftliche Klima hat sich in den Niederlanden in den vergangenen Jahren von einer extremen Toleranz wegbewegt, hin zu einer stärkeren Orientierung an einer niederländischen Identität. In den Hochschulen ist dieser Trend erfreulicherweise noch am wenigsten zu beobachten, aber natürlich beunruhigt er die akademischen Institutionen. Umso positiver ist es, dass in den Niederlanden das Interesse an Deutschland wächst. Wir sind nach Meinungsumfragen bei unseren Nachbarn mittlerweile das beliebteste Land überhaupt. Das vom DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts geförderte Duitsland Instituut an der Universität Amsterdam leistet hier einen wichtigen Beitrag, in dem es vielfältige Informationen über Deutschland bietet und mit seinem Duitslanddesk auch umfassend über Studienmöglichkeiten in Deutschland informiert.

Interview: Johannes Göbel (31. März 2017)