Leibniz-Preise für DAAD-Alumni: Professor Anne Storch im Porträt

DFG/Ausserhofer

Anne Storch: "Ich glaube, dass man die Forschungsperspektive ändern muss"

Auszeichnung für herausragende Afrikanistik: Die DAAD-Alumna Professor Anne Storch hat den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2017 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten – für ihre innovativen sprachwissenschaftlichen Analysen.

„Wenn du Afrikanistik studierst, wird dir nie wieder langweilig, weil du neugierig bleiben kannst“: So lautete Anne Storchs Überlegung vor ihrem Studium. Seit 2004 lehrt sie nun als Professorin für Afrikanistik an der Universität zu Köln. Nun ist sie für ihre nach wie vor von großer Neugier angetriebene Arbeit mit dem wichtigsten deutschen Forschungsförderpreis geehrt worden. 

Mit dem mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis wird Anne Storch die Forschung intensivieren, für die man sie gerade ausgezeichnet hat: eine ungewöhnliche Arbeit, bei der sie immer auch ihre eigene Profession reflektierend ins Visier nimmt. „Die Afrikanistik entstand als akademisches Fach zu einer Zeit, da Universitäten oder auch Museen im Kontext der Kolonialisierung das neue Wissen über Afrika mit nationalspezifischem Auftrag vermittelten“, erklärt Anne Storch. Man wollte vor allem Kolonien kennenlernen und untersuchte nach festgelegten Standards.

Zu diesen Vorgehensweisen gehörte zunächst, dass man einen bestimmten Kanon an afrikanischen Sprachen erforschte – etwa Hausa, eine in Westafrika weit verbreitete Sprache, oder Swahili, die Verkehrssprache Ostafrikas. Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen. Auch Anne Storch erlernte diese Sprachen in den 1990er-Jahren – unter anderem mit DAAD-Stipendien an der Bayero-Universität in Kano in Nigeria und am Taasisi ya Kiswahili na Lugha za Kigeni auf Sansibar. „Aber die Struktur, nach der wir uns dieses Wissen aneignen, hat noch immer sehr viel mit der Entstehungsgeschichte des Fachs zu tun. Ich glaube, dass man diese Forschungsperspektive ändern muss.“

Im Ohr: das Nicht-Gesagte

Ein Schlüsselerlebnis hatte Anne Storch während der Feldforschung zu ihrer Doktorarbeit. Dank ihrer Hausa-Kenntnisse arbeitete sie im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs weiter in Nigeria – aber über Hone, eine Sprache, die am Aussterben ist. „Ich hatte bald die Essenz der Grammatik nach etablierter Methodologie zusammengetragen, aber damit nur Strukturen und eigentlich nichts von Bedeutung“, stellte Anne Storch fest. Denn für die Perspektive der Sprecher war alles Nicht-Gesagte viel wichtiger – und damit auch für die neugierige Wissenschaftlerin. Sie begann anders zuzuhören und besonders hinzuhören, als eine alte Frau den einheimischen Begleiter der Deutschen ermahnte, ihr nicht alles zu sagen, nicht die tieferen Geheimnisse des Sprechens zu verraten. „Was mir nicht gesagt wurde, war immer das Wichtigste“, sagt Anne Storch. Auf diese Spuren, die weg von den linguistischen Normen ihres Faches führten, begab sie sich.

Im Sinn: der ernst gemeinte Austausch

Man müsse sich mehr über die Art und Weise, wie über afrikanische Sprache gesprochen wird, austauschen, meint Anne Storch. Das Sprechen habe in Afrika tiefergehende Bedeutungen: „Darin kann etwas Spirituelles liegen und auch das Nicht-Sagbare spielt eine wichtige Rolle.“ Diese Aspekte fänden aber keinen Niederschlag in Konzepten von Sprache, die von der akademischen Welt der nördlichen Hemisphäre festgelegt scheinen. „Da würde ich meinen Beitrag sehen: die Perspektive des Faches für Arten des Wissens und des Wissenstransfers zu öffnen, die bisher ignoriert wurden.“

Sprache müsse also nicht nur im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext der Gruppe betrachtet werden, die sie spricht. Es gelte auch, den akademischen Kontext, in dem sie traditionell beschrieben und analysiert wird, zu hinterfragen. Diesen selbstkritischen Weg will Anne Storch mit Unterstützung des Leibniz-Preises nun ausbauen. „Ich wünsche mir mehr Optionen im metalinguistischen Diskurs.“ Denn für sie steht fest: Es gibt in Afrika theoretische Überlegungen und Konzepte über Sprache, die jenseits der traditionellen akademischen Fachterminologie existieren, derer man sich in Europa und der westlichen Welt bedient. Ein Beispiel ist, dass Hone von den alt gewordenen Sprechern bewusst nicht mehr gelehrt oder weitergegeben wurde. Ihre Begründung: Die junge Generation habe nicht mehr das spirituelle Rüstzeug für den angemessenen Umgang mit dieser Kommunikationsform. Die Sprache soll aus guten Gründen sterben. „Wenn man da nicht hinhört und dabei die europäische Perspektive über die Aneignung von Wissen nicht relativiert, erreichen wir auch keinen ernst gemeinten wissenschaftlichen Austausch“, betont Anne Storch.

Bettina Mittelstraß (22. März 2017)