Virtuell ins Ausland gehen

DAAD/Thilo Vogel

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für das internationale Studium - gegebenenfalls auch ohne Ortswechsel, denn sie erleichtert die Zusammenarbeit von Hochschulen. Daher sind Digitalisierung und Internationalisierung unbedingt zusammenzudenken, meint Dorothea Rüland vom DAAD.

Digitalisierung gehört in der deutschen Bildungslandschaft in diesem Jahr zu einem der meistdiskutierten Themen. Zu Recht spielt sie auch bei der Internationalisierung der Hochschulen eine zentrale Rolle. Sie macht unabhängig von Zeit und Raum; gerade bei interkontinentalen Kooperationen lässt sich die Zusammenarbeit erheblich vereinfachen.
Internationalisierung hat sich an den deutschen Hochschulen in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt. Zunächst auf Auslandsmobilität fokussiert, umfasst sie heute alle Bereiche einer Hochschule von der Lehre über die Forschung bis hin zur Verwaltung - ein Querschnittsthema par excellence. Ähnlich wie Internationalisierung ermöglicht Digitalisierung auf allen Ebenen der Hochschule, neue Handlungsfelder zu erschließen. Dies zeigt sich deutlich in den drei Bereichen Marketing, Studium und internationale Kooperationen.

Ansprüche an Marketing steigen

Heutzutage macht eine Hochschule von sich reden, wenn sie eine konsequente Content-Strategie verfolgt und ihr sogenanntes "Story-Telling" geschickt durch Online- und Offline-Kanäle fließen lässt. Schließlich steigen im globalen Wettbewerb die Ansprüche der Studierwilligen. Sie erwarten spannende Präsentationen der potenziellen Gasthochschule im Netz, Führungen durch die Hochschule, Einblicke in Lehrveranstaltungen oder virtuellen Erfahrungsaustausch mit anderen Gaststudierenden und -dozenten. Die Hochschulen ihrerseits wollen Studierende rekrutieren, die zu ihrem Profil passen. Dafür, und um einen guten Start und Studienerfolg zu sichern, helfen Tests im Netz ebenso wie digitale Vorbereitungskurse, die an die Bedürfnisse des Einzelnen und sein Lerntempo angepasst werden können. Zudem kann der gesamte administrative Prozess der Bewerbung und Einschreibung durch die Digitalisierung vereinfacht und professionalisiert werden.

Das gilt auch für Inländer, die im Ausland studieren wollen. Die Bundesrepublik hat sich ja das ambitionierte Ziel gesetzt, 50 Prozent aller Studierenden eine akademische Auslandserfahrung während des Studiums zu ermöglichen. Zurzeit liegt der Prozentsatz erst bei 37. Wir führen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) regelmäßige Untersuchungen durch und wissen, dass viele Studierende immer noch fürchten, durch einen Auslandsaufenthalt Zeit zu verlieren. Dem könnte beispielweise eine Online-Datenbank mit Informationen zur Anerkennung der im Ausland besuchten Kurse Sorge tragen. Denn was für Ausländer gilt, trifft auf Deutsche umgekehrt genauso zu: Je besser ihr Auslandsaufenthalt vorbereitet ist, umso erfolgreicher gestaltet er sich. Hierbei spielt Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Und sie ermöglicht auch, während der Zeit im Ausland mit der Heimathochschule in Kontakt zu bleiben, eventuell noch ausstehende Prüfungen abzulegen und vieles mehr.

Ausländische Dozenten einbinden

Doch wissen wir aus Umfragen ebenfalls, dass es immer einen bestimmten Prozentsatz an Studierenden geben wird, für den es nicht infrage kommt, ins Ausland zu gehen. Ihnen ermöglicht die Digitalisierung, zumindest virtuell Auslandserfahrung zu sammeln, indem sie im Netz an Veranstaltungen anderer Hochschulen im Ausland teilnehmen, indem ausländische Dozenten virtuell in Lehreinheiten eingebunden werden oder sich Projektgruppen verschiedener Hochschulen im Netz zusammenfinden. Erste Angebote gibt es bereits. So führen die Technische Universität Dortmund und die University of Virginia gemeinsame Online-Lehrveranstaltungen zur Technikfolgenabschätzung durch. Die Studierenden bilden transnationale Projektteams, die sich mit globalen ingenieurwissenschaftlichen Herausforderungen auseinandersetzen. Auf diese Weise bereiten sie sich auf die Mitwirkung in internationalen Teams vor und schulen ihre interkulturellen Kommunikationsfähigkeiten. Ein anderes Beispiel ist der DAAD-geförderte trilaterale Masterstudiengang "Intellectual Encounters of the Islamicate World" an der Freien Universität Berlin, der das Studium im Netz mit Präsenzphasen koppelt. In dem Programm profitieren deutsche, israelische, palästinensische und weitere internationale Studierende von einer Gruppe hochangesehener Professoren, die man ohne die virtuellen Möglichkeiten so nicht hätte zusammenbringen können.

Was Deutschland betrifft, ist davon auszugehen, dass sich eher virtuelle Studiengänge mit Präsenzphasen durchsetzen werden, da der interkulturelle Mehrwert eines persönlichen Kennenlernens für viele Studierende stark im Fokus steht. Doch auch dafür müssen erst neue Förderformate gefunden werden. Nach wie vor wird für viele Studierende der persönliche Kontakt mit einem Land und seinen Hochschulen im Fokus von Mobilität stehen, sodass die Sorge, virtuelle Mobilität könnte reale Mobilität ersetzen, eher unberechtigt ist. Jedoch greifen im Universitätsalltag reale und virtuelle Mobilität immer stärker ineinander und die Grenzen verschwinden zusehends. In dem ebenfalls vom DAAD unterstützten interdisziplinären Masterstudiengang "Global Studies: Peace and Security in Africa" mit gemeinsamem Abschluss der Universität Leipzig und der Addis Abeba University, halten sich Studierende aus elf Nationen beispielsweise drei Semester in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und ein Semester in Leipzig auf. Eingangs werden Studierende in einem Online-Propädeutikum mittels Skype und dem Lernmanagementsystem Moodle in Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens eingeführt. Neben den Präsenzveranstaltungen werden Lehreinheiten zu Grundlagenmodulen per Lehrvideo bereitgestellt. Jeder Studierende benötigt heute interkulturelle Kompetenz auch im virtuellen Raum. Studierende müssen gezielt darin geschult werden, in weltweit verteilten Teams online zu kommunizieren: Virtuelle Mobilitätsfenster sollten also in jedem Studienangebot eine Selbstverständlichkeit werden.

Multilateral zusammenarbeiten

Last but not least wird Digitalisierung auch die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen verändern. Sie entwickeln sich nicht nur bilateral, sondern zunehmend auch multilateral. Im Netzwerk "Northern Maritime University" haben sich zehn Partner aus den Nordseeanrainerländern - darunter vier Hochschulen aus Norddeutschland - zu einem virtuellen Kompetenzzentrum zusammengeschlossen und Online-Lehrmodule der maritimen Wirtschaft für Präsenzstudierende der Partnerhochschulen im Nordseebereich geschaffen. Die Qualifizierungsangebote der beteiligten Hochschulen sollten spezifischer auf den Bedarf der Maritimen Wirtschaft ausgerichtet werden. Dazu brauchen sie virtuelle Räume und Netzwerke sowohl für den Bereich Studium und Lehre als auch in der Forschung.
Digitalisierung verändert und bereichert viele Bereiche unserer Hochschulen. Durch die Einbindung hervorragender international tätiger renommierter Dozenten kann sie auch einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung in der Lehre leisten.
Beide Aspekte, Internationalisierung wie auch Digitalisierung, sollten in Zukunft zusammengedacht und wechselseitig aufeinander bezogen werden, um ihre Potenziale optimal nutzen zu können.

Quelle Erstveröffentlichung: Deutsche Universitätszeitung DUZ 13/2016