Brexit – und dann? Die Zukunft britisch-deutscher Bildungs- und Forschungskooperation

DAAD/Daniel Zimmermann

Diskutierten in der britischen Botschaft in Berlin (v. l.): Vivienne Stern, Colin Riordan, Dorothea Rüland, Hans-Jochen Schiewer und Gordon Bölling

In der Diskussion um den bevorstehenden Brexit setzt sich der DAAD nachdrücklich für einen möglichst ungehemmten Fortbestand des europäischen Austauschs ein – zuletzt auch auf einer Podiumsdiskussion in der britischen Botschaft in Berlin, zu der er gemeinsam mit dem British Council und Universities UK International eingeladen hatte.

Der Termin für die Podiumsdiskussion in der britischen Botschaft in Berlin hätte nicht besser gewählt sein können: Am 24. Januar 2017 diskutierten Vertreter britischer und deutscher Bildungs- und Forschungsinstitutionen über die Perspektiven ihrer Zusammenarbeit – und es war zugleich der Tag, an dem das oberste Gericht in Großbritannien entschieden hatte, dass die britische Regierung den Austritt aus der Europäischen Union nicht im Alleingang durchsetzen kann. Premierministerin Theresa May braucht nach der höchstrichterlichen Entscheidung trotz des Ausgangs des Referendums im Sommer 2016 die Zustimmung beider Parlamentskammern. Ein Lichtblick in einer Zeit, in der Abschottung populärer zu sein scheint als Kooperation.

Eine Mischung aus Fassungslosigkeit angesichts des Brexits, aber auch aus Hoffnung und pragmatischem Optimismus bestimmte dann auch die Diskussion. „Es wäre uns lieber, wir wären nicht in dieser Lage. Aber jetzt geht es um die Frage, wie wir die EU verlassen“, sagte Professor Colin Riordan, Präsident der Universität Cardiff in Wales. Das „wie“ wird darüber entscheiden, ob Zusammenarbeit und Austausch in der akademischen Bildung und Forschung bleiben, wie sie heute sind: eng und intensiv.

Brexit-Diskussion in der britischen Botschaft

DAAD/Daniel Zimmermann

Zuhörer in der britischen Botschaft: interessiert an der gemeinsamen Zukunft

Großbritannien ist nach Spanien und Frankreich das Land, das Studierende aus Deutschland bevorzugen, wenn sie am Austauschprogramm Erasmus+ der Europäischen Union (EU) teilnehmen. Bei Praktika steht das Land sogar an erster Stelle in der Beliebtheitsskala. Aber auch für Wissenschaftler sind die Hochschulen in England, Nordirland, Schottland und Wales attraktiv. 17 Prozent des akademischen Personals an britischen Hochschulen kommen aus Deutschland. „Wir erwarten, dass Studierende und Akademiker in Großbritannien auch weiterhin Reisefreiheit und einen sicheren Aufenthaltsstatus genießen, so wie in anderen Ländern der EU auch“, forderte daher Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des DAAD.

Es steht viel auf dem Spiel

Der DAAD hätte sich einen anderen Ausgang des britischen Brexit-Votums gewünscht; er setzt sich aber seitdem nachdrücklich für einen möglichst ungehemmten Fortbestand des akademischen Austauschs ein. DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel hatte in Reaktion auf das Brexit-Votum betont: „Der freie Austausch von Ideen, die Selbstverständlichkeit der Universitäten, zu kooperieren, gemeinsam Workshops und Summer Schools auszurichten und dabei von EU-Fördergeldern zu profitieren – all das steht jetzt zur Debatte.“

Als einzige Wissenschaftsvertreterin aus dem Ausland war die DAAD-Präsidentin im Januar zu einer Anhörung im Bildungsausschuss des britischen Parlaments eingeladen. Dort machte sie deutlich, dass dem europäischen akademischen Austausch herbe Verluste bevorstehen könnten. „Vielfältige Forschungsprojekte, Konferenzen und Publikationen sind nicht zuletzt durch europäische Forschungsförderung wie Horizon 2020 erst möglich geworden. Wir haben bei der Anhörung darüber gesprochen, wie ein ‚intelligenter‘ Brexit aussehen könnte, der diese Netzwerke nicht schädigt.“

Beidseitiges Interesse

Die britische Regierung sendet bisher gemischte Signale: Einerseits kündigte Premierministerin May in ihrem Mitte Januar vorgestellten 12-Punkte-Plan für den Brexit an, Großbritannien werde fortan selbst entscheiden, wer aus Europa einreist. Anderseits verspricht sie, die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien zu schützen. In Punkt 10 kündigt die Regierungschefin zudem an, die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnerländern auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung fortsetzen zu wollen. „Dass Bildung und Forschung überhaupt Eingang in den Plan gefunden haben, das ist ein Grund zur Hoffnung“, kommentierte während der Diskussion in der britischen Botschaft Vivienne Stern, Direktorin von Universities UK International und damit Repräsentantin der Hochschulrektoren des Vereinigten Königreichs. Hoffnungsvoll sei sie auch, weil es mittlerweile eine Debatte mit deutschen Partnern, Hochschulen und anderen Partnerorganisationen über die Perspektiven der Zusammenarbeit gebe. „Das ist wertvoll, denn beide Seiten wollen die guten Beziehungen erhalten“, so Stern.

An der Podiumsdiskussion nahm auch Professor Hans-Jochen Schiewer teil – als Rektor der Universität Freiburg und in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins German U15, des Zusammenschlusses von fünfzehn Hochschulen in Deutschland, die ihre Interessen als „forschungsstarke Universitäten“ in der Hochschul- und Forschungspolitik vertreten. Schiewer zeigte sich zuversichtlich, dass Kooperationen auf individueller Ebene zwischen deutschen und britischen Hochschulen auch angesichts des Brexits nicht gefährdet sind. „Das Problem sind aber die Forschungsprojekte mit mehreren Partnern, die durch die Europäische Union gefördert werden“, warnte er. Er berichtete, dass allein die Universität Freiburg 41 Forschungskooperationen mit fünf britischen Universitäten, darunter Oxford und Cambridge, unterhalte. „Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass sich Großbritannien nicht isoliert“, sagte Schiewer. Daran dürfte auch die britische Regierung größtes Interesse haben. Denn die britischen Universitäten werben erfolgreich EU-Forschungsgelder ein. Beim renommierten Förderprogramm des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) haben sie, zählt man die die letzten beiden Ausschreibungsrunden zusammen, mit Abstand die meisten ERC-Grants erhalten. Deutschland steht an zweiter Stelle.

„Wir arbeiten an Lösungen“

Einig waren sich die Diskutanten, dass man jetzt möglichst schnell neue Wege für die Kooperation finden müsse, um die Zusammenarbeit zwischen deutschen und britischen Hochschulen nicht zu gefährden. Für konkrete Vorschläge ist es noch zu früh. „Wir arbeiten an Lösungen“, versicherte Dr. Gordon Bölling, der bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Referatsleiter für die Hochschul- und Wissenschaftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich zuständig ist. „Jede Uni sucht für sich selbst Strategien, aber die Hochschulrektorenkonferenz ist darüber auch mit ihrer britischen Partnerorganisation im Gespräch.“

Dabei ist der Einsatz für die deutsch-britische Zusammenarbeit in Forschung und Bildung mehr als nur ein akademisches Projekt. Es geht auch um die Zukunft und den Frieden in Europa. „Vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Herausforderungen sind Programme wie Erasmus+ dringender denn je. Sie stärken die europäische Identität“, sagt DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel vor dem Hintergrund des 30-jährigen Bestehens des EU-Austauschprogramms. „Wir brauchen Menschen, die für Europa Verantwortung übernehmen und gemeinsame Perspektiven jenseits nationaler Interessen entwickeln“. Das dürfte der jungen Generation in Großbritannien entgegenkommen: Schließlich hatten die 18- bis 24-jährigen Briten beim Referendum im Sommer 2016 mit über 70 Prozent für den Verbleib ihres Landes in der EU gestimmt.

Kristina Vaillant (31. Januar 2017)