20 Jahre Deutsche Rechtsschule Warschau: „Eine echte Marke“

Universität Warschau

Prominente Gäste der Absolventenfeier im Oktober 2016: Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer und die beiden Initiatoren der Deutschen Rechtsschule Warschau, Mirosław Wyrzykowski und Marcus Lutter

In Polen ist zuletzt der Konflikt zwischen Regierung und Verfassungsgericht eskaliert. Für einen Dialog im Sinne europäischer Verständigung steht dagegen die vom DAAD geförderte Deutsche Rechtsschule Warschau.

Mindestens zweimal pro Jahr setzt sich der Juraprofessor Wulf-Henning Roth am Flughafen Köln-Bonn in den Flieger nach Warschau. Seit 20 Jahren hält der Bonner Rechtswissenschaftler Kurse an der Deutschen Rechtsschule Warschau. Roth, mittlerweile emeritiert und für die deutsche Seite seit fünf Jahren Leiter der Rechtsschule, ist einer von den vielen deutschen Dozenten, die fest in die deutsch-polnische Wissenschaftskooperation der Universitäten Warschau und Bonn im Fachgebiet Jura eingebunden sind. „Für uns Lehrende ist die Rechtsschule sehr reizvoll, weil wir interessierten polnischen Studierenden Grundprinzipien des deutschen Rechts vermitteln können“, sagt Roth.

Im Jahr 1996 ging die Rechtsschule in Warschau an der renommierten Hauptstadtuniversität an den Start. In den Schwerpunkten Zivil-, Handels- und Wirtschaftsrecht macht sie polnische Studierende und bereits ausgebildete Juristen ein Jahr lang mit dem Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland vertraut. Gehalten werden die Kurse vor allem von Professoren und Dozenten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn – in deutscher Sprache. Wulf-Henning Roth lud Ende Oktober beispielsweise zu einem zweitägigen Kurs zum deutschen Vertragsrecht ein; im März wird er zur Einwirkung des EU-Rechts auf das nationale Privatrecht am Beispiel des deutschen Rechts unterrichten. „Polnische Studierende lernen doppelt: Zum einen bekommen sie mit, welche Problemstellungen in Deutschland durch den Einfluss des Rechts der Europäischen Union auf deutsches Privatrecht entstehen können – und zum anderen erfahren sie so auch schon etwas zum Einfluss auf das polnische Privatrecht“, sagt Roth. Die Fragen, die sich in Deutschland stellten, kämen eventuell auch noch auf das jüngere EU-Mitglied Polen zu.

Für europäische Standards

Professor Mirosław Wyrzykowski leitet für die polnische Seite die Schule. „Sie ermöglicht den Studierenden, das polnische Recht aus einer anderen Perspektive zu verstehen und zu beurteilen“, sagt der Rechtswissenschaftler, der unter anderem auch Vize-Vorsitzender der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats ist. Wyrzykowski betont, dass der von der Deutschen Rechtsschule gepflegte und von gemeinsamen Diskussionen geprägte vergleichende Prozess ein besseres Verständnis des deutschen und polnischen Rechts ermögliche. Hinzu komme, dass man so auch europäische Standards des öffentlichen Rechts fördere. „Das ist die Basis für einen gemeinsamen Nenner für ein Rechtssystem in Europa“, sagt Wyrzykowski, der die Idee für die Rechtsschule in den 1990er-Jahren während eines Spaziergangs entlang des Rheins gemeinsam mit dem Bonner Rechtswissenschaftler Professor Marcus Lutter entwickelte.

„Baustein der Internationalisierungsstrategie“

Rund 600 Absolventen hat die Rechtsschule bislang hervorgebracht, rund 30 pro Jahr. Fünf Klausuren müssen sie bestehen, dann bekommen sie das Abschlusszeugnis ausgehändigt. Die beruflichen Chancen der Abgänger gelten als sehr günstig. „Zahlreiche Absolventen arbeiten in staatlichen Institutionen oder in führenden Anwaltskanzleien in Warschau“, sagt Wulf-Henning Roth. Einige promovieren bei den Dozenten der Deutschen Rechtsschule; andere nutzen die Gelegenheit, an der Universität Bonn den durch ihren Abschluss an der Rechtsschule um ein halbes Jahr verkürzten Masterstudiengang „Deutsches Recht“ zu absolvieren. „Für die beiden Universitäten ist das Projekt nicht nur eine wichtige Säule einer langjährigen Partnerschaft, sondern auch elementarer Baustein der Internationalisierungsstrategie“, sagt Dr. Klaudia Knabel, Leiterin der DAAD-Außenstelle Warschau. Seit 1996 unterstützt der DAAD die Deutsche Rechtsschule Warschau, seit einigen Jahren im Programm „Deutschsprachige Studiengänge in Südost-, Ostmittel- und Osteuropa, im Südkaukasus und Zentralasien“. Das Programm hat das Ziel, die deutsche Sprache als Wissenschaftssprache außerhalb der Germanistik zu fördern. Unter den rund 30 Förderprojekten sind sieben deutsche Rechtsschulen, darunter in Polen neben Warschau auch die in Lodz und Krakau.

Das langfristige Engagement der Partner führt zu einer besonderen Strahlkraft der geförderten Institutionen. „Die Deutsche Rechtsschule in Warschau hat sich zu einer echten Marke entwickelt“, sagt Dr. Randolf Oberschmidt, im DAAD als Referatsleiter für Kooperationsprojekte in Europa, Südkaukasus und Zentralasien zuständig. Sie sei sehr aktiv und habe eine sehr gute Außenwirkung. Die Bedeutung der Rechtsschule zeigte sich auch besonders deutlich im Oktober 2016, als sie aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens in Warschau ein deutsch-polnisches Symposium zum Thema „Der Verfassungsstaat“ ausrichtete. Sechs amtierende Verfassungsrichter und Professoren aus beiden Staaten diskutierten dort auch vor dem Hintergrund der polnischen Verfassungskrise das Wesen des Verfassungsstaates und Mechanismen seiner Verteidigung.

Konkurrenzlos ist die Deutsche Rechtsschule freilich nicht; an der Universität Warschau gibt es fünf weitere internationale Rechtsschulen. Vor allem die US-amerikanische Vertretung reizt viele Studierende, die ihre Englischkenntnisse im Bereich der Rechtswissenschaften verbessern wollen. Die Deutsche Rechtsschule will vor allem mit der Vermittlung von juristischen Inhalten punkten: „Das Besondere ist, dass wir auch fallbezogen und mit Falllösungstechniken arbeiten, die die Dozenten gemeinsam mit Studierenden erarbeiten“, sagt Wulf-Henning Roth. Dies sei für polnische Studierende eine sehr gute Ergänzung zum universitären Jura-Unterricht – und womöglich ein guter Weg, um auch künftig für die Studierenden attraktiv zu bleiben.

Benjamin Haerdle (21. Dezember 2016)