Konferenz an der Georgetown University: Erfahrungsschatz zu Europa und Deutschland in unruhigen Zeiten

Nina Lemmens

Vor dem Hauptgebäude der Georgetown University trafen sich das DAAD-Team und alle Leiter der Zentren für Deutschland- und Europastudien zum gemeinsamen Gruppenbild

Die Konferenz zum 25. Jubiläum der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien hat gezeigt: Gerade in Zeiten, die nach Brexit-Votum und Trump-Sieg chaotisch wirken, sind wissenschaftlicher Austausch und internationale Vernetzung unerlässlich. Zugleich braucht es noch mehr Offenheit und neue Ansätze.

Das Thema der Jubiläumskonferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien hätte prophetischer nicht sein können. Vom 8. bis zum 10. Dezember diskutierten 116 Experten aus 14 Ländern in Washington, D.C. über „Coalescence or Collapse? Challenges for German and European Studies in the 21st Century“. In ihrer Eröffnungsrede betonte DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel, wie treffend das Motto „Vereinigung oder Kollaps?“ sei – obwohl es 2015 und damit lange vor Brexit-Referendum und US-Wahl festgelegt wurde.

Wintermantel zitierte aus einem Brief, den Bundeskanzler Helmut Kohl im Herbst 1989 an den Präsidenten der Georgetown University schrieb: „Ich bin mir sicher, dass wir mit diesen Zentren einen fruchtbaren Anstoß zur Intensivierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen geben können.“ Das BMW Center for German and European Studies an der Georgetown University gehört – neben den Zentren an den Universitäten in Berkeley und Harvard – zu den Gründungszentren des weltweiten Netzwerks der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien. Mittlerweile werden an insgesamt 20 Standorten überwiegend sozial- und kulturwissenschaftliche Experten ausgebildet – und deren Kenntnisse seien unerlässlich in nun vermehrt als „postfaktisch bezeichneten Gesellschaften“, so Wintermantel.

Persönliche Verbindungen

Durch die DAAD-Förderung aus Mitteln des Auswärtigen Amts konnten bereits in elf verschiedenen Ländern Zentren entstehen, an ihnen werden auch Stipendien vergeben und Workshops, Studienreisen oder Sommerschulen gefördert. Die Relevanz der Zentren hob der deutsche Botschafter in Washington, Dr. Peter Wittig, hervor. In einer Zeit, in der sich die Welt „in Unordnung“ befinde und die EU vor den „vielleicht dramatischsten Herausforderungen seit ihrer Gründung“ stehe, seien persönliche Verbindungen zwischen Wissenschaftlern und Führungskräften umso wichtiger. Er habe bei seinem Studium in Großbritannien viel außerhalb der Hörsäle gelernt und den eigenen Horizont erweitert. Die Kooperation mit dem Zentrum in Georgetown nannte Wittig „beispielhaft“ – ähnlich äußerte sich Professor Joel Hellman, der Dekan der Walsh School of Foreign Service, an der das BMW Center angesiedelt ist.

Krisen und Selbstkritik

In ihrer Keynote skizzierte Dr. Karen Donfried, die Präsidentin des German Marshall Fund, ein düsteres Bild von Europa. Die Frage „In welche Richtung bewegen wir uns?“ sei nicht zu beantworten, denn jede Krise – von den Problemen der Eurozone über die Konflikte in der Ukraine bis zu den Erfolgen von Populisten – zeige sowohl Auflösungserscheinungen (Krieg am Rande Europas) als auch enge Kooperation (gemeinsame Sanktionen gegen Moskau). Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, allerdings fehlten einer innenpolitisch geschwächten Kanzlerin die wichtigen Partner Frankreich und USA. Trumps Sieg zeige, dass nicht auszuschließen sei, dass die Nationalistin Marine Le Pen französische Präsidentin werde, so Donfried. Auch der DAAD müsse sich darauf einstellen, dass weder ein geeintes Europa noch eine enge transatlantische Partnerschaft gesichert seien. Wie gravierend sich die USA in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben, wurde zudem durch einen weiteren Programmpunkt deutlich. George Packer, Autor des preisgekrönten Gesellschaftspanoramas „The Unwinding – An Inner History of the New America“ („Die Abwicklung – Eine innere Geschichte des neuen Amerika“), diskutierte im Gespräch mit „Handelsblatt“-Korrespondent Moritz Koch unter anderem, wie sich das Stimmungsbild in den USA zugunsten Donald Trumps entwickeln konnte.

In der Diskussionsrunde zum Auftakt der Zentrenkonferenz zeigte sich dagegen Professor Abraham Newman vom BMW Center for German and European Studies optimistisch: Es sei neu, dass ausgerechnet der US-Präsident den Status quo permanent in Frage stelle, aber er glaube nicht an grundlegende Umwälzungen, so der Politologe. Sehr selbstkritische Worte fand Dr. Nicholas Martin, Direktor des Institute for German Studies (IGS) in Birmingham: „Wir waren zu selbstgefällig und elitär.“ Der Brexit habe gezeigt, dass sich das IGS auch um jene bemühen müsse, die für einen EU-Austritt votierten. Das Fazit „Wir müssen viel besser zuhören und das Gespräch suchen“ teilte auch Professor Fania Oz-Salzberger vom Haifa Center for German and European Studies (HCGES). Sie erinnerte an ein Bild des Philosophen Isaiah Berlin: Genau wie ein Zweig, der zu lange gebogen werde, dem Menschen irgendwann ins Gesicht klatsche, ließen sich manche Gruppen nicht ewig ignorieren.

Historische Entwicklungen, aktueller Wandel

Herausforderungen, aber auch Stärken des weltweiten Netzwerks der Zentren für Deutschland- und Europastudien wurden auf der Konferenz während nicht weniger als acht Panels deutlich, die sich etwa Themen wie Deutschlands neuer Rolle in der Welt oder den Netzwerkaktivitäten der Zentren widmeten. Vorab fragte eine Podiumsrunde grundsätzlich nach den Perspektiven der Deutschland- und Europastudien im 21. Jahrhundert. Professor Noam Shoval, Direktor des Zentrums für Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem, betonte dabei die historische Entwicklung: 75 Jahre nach Japans Angriff auf Pearl Harbour und der Kriegserklärung Hitlers an die USA würden nun Forscher aus Japan, Israel, Deutschland und den USA offen diskutieren. „Wir halten das für normal, aber ich wuchs in einem Haushalt auf, wo deutsche Produkte verboten waren“, sagte der Israeli. Unter seinen Studierenden gibt es ein enormes Interesse an Deutschland – besonders an Berlin.

Dr. Herbert Grieshop, Leiter des Center for International Cooperation der FU Berlin, berichtete, dass seine Uni „überrannt“ werde von „Leuten, die etwas über Deutschland wissen“ oder später als „Deutschland-Experten“ arbeiten wollen. Die FU ist als Partner am Zentrum für Deutschlandstudien der Peking-Universität beteiligt. Die von Grieshop beschriebene internationale Aufmerksamkeit ist allerdings nicht selbstverständlich. So sei in den USA im Vergleich zu den Achtzigerjahren das Interesse an Europa gesunken, sagte Professor Konrad Jarausch, ehemaliger Präsident der German Studies Association und Lurcy Professor of European Civilization an der University of North Carolina, Chapel Hill. Man orientiere sich stärker nach Asien, hob Jarausch hervor. Dies bestätigte auch Dr. Akasemi Newsome vom Center for German and European Studies (CGES) an der Berkeley University. Man arbeite mit der Business School oder technischen Fakultäten zusammen, um Doppelstudien anzubieten und damit für die Studierenden attraktiv zu bleiben. Die Jobaussichten der CGES-Absolventen seien hervorragend – und Newsome möchte den Standort in Kalifornien nutzen, um die Absolventen noch besser mit Firmendelegationen zu vernetzen, die regelmäßig ins Silicon Valley reisen.

Diesen „German plus“-Ansatz bezeichnete auch Dr. Nina Lemmens, Direktorin der DAAD-Außenstelle New York und Moderatorin der Podiumsrunde, als eine vielversprechende Strategie. Der Ruf des „German Engineering“ sei in Nordamerika ausgezeichnet, betonte Lemmens. Erst kürzlich reiste eine Delegation der TU9, eines Zusammenschlusses führender deutscher Technischer Universitäten, durch die USA, um in Gesprächen und Workshops neue Kooperationen zu diskutieren. Wie breit gefächert das Forschungsinteresse an den interdisziplinären Zentren für Deutschland- und Europastudien ist, illustrierten an der Georgetown University die Posterpräsentationen von 20 Nachwuchswissenschaftlern, die vor den Tagungssälen zu sehen waren. Die Bandbreite der dort vorgestellten Themen reichte von der „Arbeit des israelischen Konsulats in München zwischen 1948 und 1953“ bis zu „Transatlantische Perspektiven zum Freihandel“.    

Nicht nur hoffen, sondern handeln

In die Zukunft des Zentrennetzwerks blickte die abschließende Diskussionsrunde am Deutschen Historischen Institut (DHI) Washington. Professor Simone Lässig, Direktorin des DHI, betonte, dass Europa mehr über soziale Klassen reden müsse. Dem stimmte Professor Michael Werner zu: Eine Debatte über Werte reiche nicht aus. Der Gründungsdirektor des französischen Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA) betonte: „Die EU hat nicht geliefert. Wenn Europa die Leute wieder für sich einnehmen soll, dann muss die soziale Absicherung funktionieren.“ Harvard-Professor Charles Maier zeigte sich indes überzeugt, dass die USA unter Donald Trump nicht stabilisierend wirken könnten: „Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt.“

Für ein Ende des permanenten Deklarierens von neuen Krisen plädierte Professor Randall Hansen, Direktor der Joint Initiative in German and European Studies an der Universität Toronto: „Ich halte es mit Präsident Obama, der gesagt hat: ‚Ich denke, dass nichts das Ende der Welt bedeutet, solange die Welt noch nicht untergegangen ist‘.“ Dazu passt die selbstbewusste Schlussformel von Ulrich Grothus, dem stellvertretenden Generalsekretär des DAAD: „Wir sollten nicht nur darauf hoffen, dass es besser wird. Lasst uns darauf hinarbeiten.“

Matthias Kolb (15. Dezember 2016)