Zentren für Deutschland- und Europastudien: „Die Partnerschaft zwischen den USA und Europa ist auch in Zukunft entscheidend“

Germany.info/Nicole Glass

Botschafter Peter Wittig überreicht im Juli 2016 das Bundesverdienstkreuz an Zentrumsdirektor Jeffrey Anderson

Vom 8. bis zum 10. Dezember 2016 feiert das DAAD-geförderte Netzwerk für Deutschland- und Europastudien sein 25-jähriges Bestehen an der Georgetown-Universität in Washington, D.C. Dort ist eines der drei Gründungszentren beheimatet: das BMW Center for German and European Studies. Ein Interview mit Zentrumsdirektor Professor Jeffrey Anderson

Herr Professor Anderson, Sie sind Direktor des BMW Center for German and European Studies in Washington. Es gehört zu den Pionieren im Zentrennetzwerk. Der DAAD hat mit der Förderung der Zentren für Deutschland- und Europastudien kurz nach der deutschen Wiedervereinigung begonnen. Wie hat sich der Fokus von Forschung und Lehre über die vergangenen 25 Jahre hinweg verändert?

Jeffrey Anderson: In gewisser Weise verfolgen wir immer, was in der realen Welt in Europa geschieht und passen unser Forschungsinteresse daran an. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und auch ich haben uns schon immer für Integrationsprozesse interessiert. Integration ist ein einzigartiges Experiment in unserer Welt. Derartige historische Prozesse sind spannend, weil sie sich immer wieder verändern und neue Fragen aufwerfen. Unsere Aufgabe ist es zu verstehen, was passiert. Es ist nicht unser Job, die Zukunft vorauszusagen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir helfen können zu verstehen und zu erklären, was vor sich geht. Das BMW Center und das Curriculum unseres Masterstudiengangs sind darauf ausgerichtet, unseren Studierenden ein fundiertes Wissen über Europa mit einem Fokus auf Deutschland zu vermitteln. Für unser Lehrangebot spielen die aktuellen Nachrichten, also die kurz- und mittelfristigen Entwicklungen in der EU, weniger eine Rolle. Wir versuchen unseren Studierenden das Handwerkszeug dafür zu geben, die Komplexität der Welt zu verstehen. Wenn man sich zu sehr am aktuellen Geschehen orientiert, verpasst man leicht die Gelegenheit, tiefergehendes Wissen zu vermitteln.

Interview mit Professor Jeffrey Anderson

Stephan Pramme

Jeffrey Anderson: „Das deutsche Engagement für die Zentren ist außergewöhnlich“

Welche Rolle spielen die Zentren heute in der Wissenschaft?

Die vom DAAD ins Leben gerufenen Zentren sind ein Beispiel dafür, dass Angebot Nachfrage schafft. Eine weitsichtige Regierung und der DAAD investieren so in höhere Bildung auf der ganzen Welt. Ohne diese Förderung würden wir hier in Nordamerika uns sicher auch für Europa interessieren und es gäbe auch weltweit Leute, die Europastudien betreiben. Aber wir wären bei Weitem nicht so gut in der Lage dazu. Daher nötigt es mir Respekt ab, wenn ich an die großzügige und vorausschauende Unterstützung denke, die die Deutschen durch ihre Regierung über den DAAD den Zentren zukommen lassen. Die Zentren dienen – allgemein gesprochen – als Anker für Regionalstudien. Der Fokus liegt auf Europa und dort wiederum auf Deutschland. Die Zentren bieten eine kritische Masse an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und fördern das Interesse an einer sehr wichtigen Weltregion. Wie wir unseren Studierenden immer sagen, ist die Partnerschaft zwischen den USA und Europa auch in Zukunft entscheidend. Ohne die Zentren auf dem nordamerikanischen Kontinent wären wir viel weniger gut in der Lage, diese Beziehung zu verstehen und zu stärken. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, wie wirklich außergewöhnlich das deutsche Engagement für die Zentren ist. Es ist schließlich das Geld der deutschen Steuerzahler, das diese Institutionen auf der ganzen Welt finanziert.

Wie unterscheidet sich das Angebot der Zentren von dem, was andere Universitäten auf dem Gebiet der Deutschland- und Europastudien leisten?

Das Besondere an den Zentren ist die interdisziplinäre Perspektive. Wir bringen Politikwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und Kulturexperten zusammen und geben ihnen die Möglichkeit, miteinander zu diskutieren, zusammen zu arbeiten und gemeinsam Studierende zu unterrichten. Dahinter steht ein sehr facettenreiches und breites Verständnis von Deutschland- und Europastudien. Im Vergleich zum Umgang mit ähnlichen Themen in einem Wirtschafts- oder Politikwissenschaftsseminar zu Europa oder Deutschland ist der Ansatz in unseren Unterrichtsmodulen deutlich breiter angelegt. Ich bin davon überzeugt, dass die Studierenden dadurch am Ende ein sehr viel besseres Rüstzeug dafür besitzen, die komplexen Vorgänge und Zusammenhänge in Europa zu verstehen.

Interview mit Professor Jeffrey Anderson

Stephan Pramme

Jeffrey Anderson beim Besuch des DAAD-Hauptstadtbüros in Berlin: „Wir sind mehr als nur eine lose Gruppe von Professoren und Studierenden“

Ist es nach Ihrer Einschätzung ein gutes Modell, die Zentren durch eine Anschubfinanzierung in Gang zu bringen, die in der Regel nach zehn Jahren endet?

Ich halte das DAAD-Modell für absolut sinnvoll. Das Konzept ist ja, zunächst in großem Rahmen eine Anschubfinanzierung bereitzustellen und dann Universitäten oder private Geber dazu zu ermutigen, einzusteigen und die Unterstützung zu übernehmen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand wirklich erwartet, dass Deutschland derartige Projekte für immer finanziert.

Jedes Zentrum ist einzigartig, jedes hat seine eigene Geschichte und andere Forschungsschwerpunkte – was verbindet sie dennoch über die Schwerpunktsetzung auf Deutschland und Europa hinaus?

Die Zentren sind reale Orte, an denen sich Menschen treffen können. Das wird häufig übersehen. Sie sind Orte an der Universität, die Europa gewidmet sind. Das schafft eine Art besonderer Identität, die nicht nur für die einzelnen Universitäten wichtig ist, sondern auch als Ankerpunkt für ein größeres Netzwerk dient, das zu stärken und zu kultivieren dem DAAD sehr gut gelingt. Jedes Jahr kommen wir im Rahmen der German Studies Association zusammen. Alle zwei Jahre gibt es die vom DAAD organisierten Zentrenkonferenzen, das sind große Netzwerkkonferenzen mit allen Beteiligten. Die Zentren sind ein praktisch gelebtes Netzwerk. Das gibt den Veranstaltungen und Angeboten der einzelnen Zentren noch einmal Gewicht. Wir sind mehr als nur eine lose Gruppe von Professoren und Studierenden, die zufällig an Europa interessiert sind.

Die Georgetown-Universität richtet die Zentrenkonferenz zum Jubiläum im Dezember aus. Was ist geplant?

Wir haben vor, das gesamte Netzwerk zusammenzubringen und zugleich eine gehaltvolle wissenschaftliche Konferenz auf die Beine zu stellen. Eingeladen sind eine Reihe hochkarätiger Persönlichkeiten, von denen wir hoffen, dass sie mit ihrem Input die Veranstaltung bereichern werden.

Gibt es ein Thema, auf das Sie besonders gespannt sind?

Es stehen einige, sehr interessante Jahrestage an, etwa die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957. Wir stellen daher ein Programm zusammen, das sowohl zurück als auch nach vorne blickt. Ich hoffe, wir werden nicht die ganze Zeit nur über den Brexit oder Donald Trump sprechen. Es gibt sicher keinen Mangel an anderen wichtigen Themen.

Interview: Janet Schayan

Das Interview mit Professor Anderson ist zuerst im DAAD-Magazin LETTER auf Deutsch und Englisch erschienen.