Hochschulprogramme für Flüchtlinge: Die Zukunft nach der Flucht

DAAD/Mobile Photos Bartek Wieczorek

Erfahrungen austauschen und Best-Practice-Beispiele diskutieren: Bei der Projektleitertagung in Bonn erzählte der syrische Student Qassem Alhomayyar von seinem Weg an die Hochschule

Mit mehreren Programmen unterstützt der DAAD seit einem Jahr Hochschulen bei der Integration von Flüchtlingen ins Studium. In Bonn haben Projektverantwortliche nun eine erste Bilanz gezogen – sie fällt sehr positiv aus.

Sein Wunsch für die Zukunft? Da muss Qassem Alhomayyar aus Syrien kurz überlegen. „Meine Familie wiedersehen“, sagt der Student der Universität zu Köln dann, „und meinen Studienabschluss machen, in Biologie promovieren – und noch etwas besser Deutsch lernen.“ Die 260 Teilnehmer der Tagung der Projektleiter der Hochschulprogramme für Flüchtlinge, zu der der DAAD am 17. November 2016 nach Bonn eingeladen hat, lachen und applaudieren. Sie kennen die Sorgen, aber auch den Ehrgeiz vieler geflüchteter Studierender, die seit etwas über einem Jahr auch verstärkt ihren Weg an die Hochschulen der Bundesrepublik finden. Sie wissen, wie schnell viele von ihnen Deutsch lernen – wie Qassem Alhomayyar in weniger als einem Jahr von Null auf B2-Niveau, bald steht die Prüfung zum C1-Niveau an. Doch sie kennen auch die Herausforderungen im Alltag, Flüchtlinge wie Qassem Alhomayyar als Studierende zu gewinnen und zu einem Studienabschluss zu begleiten.

„Vor mehr als einem Jahr standen wir vor einer wirklich riesigen Aufgabe“, sagte auch Dr. Dorothea Rüland, Generalsekretärin des DAAD bei der Eröffnung der Tagung unter dem Titel „Flucht und Studium – eine Bilanz“. Mehr als eine Million Menschen flohen im Jahr 2015 nach Deutschland. „Die Hochschulen gehörten zu den ersten, die den Flüchtlingen mit Initiativen geholfen haben. Dafür möchte ich ihnen heute danken.“ Auch der DAAD hatte rasch reagiert: Mit den Programmen „Welcome“ und „Integra“ bündelte der DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Unterstützung von studierfähigen Flüchtlingen und ihre Integration in ein Studium. Die Übernahme der Kosten für den Studierfähigkeitstest TestAS, den Spracheinstufungstest onSET und das Bewerbungsverfahren auf einen Studienplatz über uni-assist erweitern das Angebot. Mehrere Tausende Flüchtlinge konnten bereits von den Programmen profitieren. „Ich freue mich, dass die Programme Welcome und Integra vom BMBF bis 2018 verlängert worden sind“, sagte Dorothea Rüland in Bonn. Damit könnten sich „Strukturen verstetigen“.

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DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland lobte das Engagement der Hochschulen

Ergänzt werden die Programme durch Initiativen in den Herkunftsregionen, wie das von der Europäischen Union geförderte Qualifizierungsprogramm „HOPES“ sowie Stipendien- und transnationale Bildungsprogramme. Für die Vertreter von Hochschulen und Studienkollegs war die Tagung in Bonn auch eine Möglichkeit, um über Best-Practice-Beispiele zu diskutieren, sich zu vernetzen und über Schwierigkeiten und Herausforderungen auszutauschen.

„Ein enormes Potenzial“

„Sie haben Großartiges geleistet und Hervorragendes auf die Beine gestellt“, lobte auch Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. „Das ist ein Beweis für die Weltoffenheit der Hochschulen.“ Er erklärte am Beispiel des deutschen Ökonoms und Sozialphilosophs Wilhelm Röpke, der die Nationalsozialisten bekämpft hatte und dann aus Deutschland fliehen musste, dass es oft die Intellektuellen seien, die zuerst das Land verlassen. „Das ist ein enormes Potenzial. Dieses sollten wir heben, zum Nutzen dieser Menschen. Aber auch zum Nutzen unseres Wissenschafts- und Innovationsstandortes.“ Rachel betonte auch, dass es unerlässlich sei, dass alle Bürger sich „entschlossen und unmissverständlich“ gegen rechtsextremistische Bewegungen stellten. „Wir müssen deutlich machen, dass viele Flüchtlinge eine sehr gute Vorbildung aufweisen, damit sich die Meinung in Deutschland in eine differenziertere wandelt.“ Bis 2019 stellt das BMBF 100 Millionen Euro für studierfähige Flüchtlinge bereit.

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In zwei Kurzfilmen erzählten Geflüchtete, wie sie von den Programmen Integra und Welcome profitieren

Einen Überblick über den Erfolg der Maßnahmen des DAAD gaben Dr. Anette Pieper, Direktorin der Abteilung Projekte im DAAD, und Katharina Riehle, Leiterin des Referats Hochschulprogramme für Flüchtlinge im DAAD. Mehr als 170 Hochschulen und Studienkollegs werden im Integra-Programm gefördert, insgesamt wurden in zwölf Monaten fast 4.000 Plätze für Flüchtlinge beantragt. Im Welcome-Programm werden 449 Initiativen und 731 studentische Hilfskräfte an mehr als 160 Hochschulen unterstützt. „Anders als andere internationale Studierende haben die geflüchteten Studieninteressierten deutlich weniger Möglichkeiten gehabt, sich über das deutsche Studiensystem und über die jeweiligen Fächer zu informieren“, sagte Katharina Riehle. Sie seien daher auf besondere Unterstützung angewiesen.

Wie sehr sie davon profitieren, wurde in zwei Kurzfilmen deutlich, in denen Geflüchtete von ihren Erfahrungen an den Hochschulen berichteten: „Ich habe jetzt keine Angst mehr, das Uni-Gebäude zu betreten“, sagte beispielsweise ein junger Afghane. Andere bedankten sich für die Chance, schnell Deutsch lernen zu können. „Das enorme Engagement der Hochschulen und der Studierenden, Programme zu entwickeln, hat uns beeindruckt und ermutigt“, sagte Anette Pieper. Und Katharina Riehle ergänzte: „Es war eindrucksvoll, wie schnell die Maßnahmen umgesetzt wurden und sich etabliert haben.“

Gemeinsame Handreichung für den Hochschulzugang

Um Hochschulen und Studentenwerke bei der Integration von Flüchtlingen ins Studium fachlich zu unterstützen, haben das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Kultusministerkonferenz (KMK), der DAAD, das Deutsche Studentenwerk (DSW) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) kürzlich die gemeinsame Handreichung „Hochschulzugang und Studium von Flüchtlingen“ veröffentlicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hochschulen und Studentenwerken erhalten darin Antworten auf wichtige Fragen, wie beispielsweise welchen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen Flüchtlinge unterliegen, die ein Studium aufnehmen wollen, was es hinsichtlich der Zulassung und Immatrikulation bei Flüchtlingen zu berücksichtigen gibt und welche Studienförderung und Hilfsangebote Flüchtlinge in Anspruch nehmen können. Dass diese Fragen die Projektleiter beschäftigen, wurde in Bonn deutlich: In sechs parallelen Workshops diskutierten die Teilnehmer über „Flucht und Trauma“, „Interkulturelle Integration“ und „Besondere Anforderungen bei der Integration von weiblichen Studierenden mit Fluchthintergrund“. Die Prorektorin für Studium und Lehre der Universität Magdeburg, Professor Franziska Scheffler, und die Vizepräsidentin für Lehre der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Professor Birgit Müller, berichteten in Impulsreferaten von ihren Erfahrungen aus der Praxis.

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Rege Diskussion: Viele der 260 Teilnehmer der Tagung brachten sich engagiert in die Debatten ein

Das spannende Programm in Bonn wurde ergänzt durch eine Podiumsdiskussion, in der Nikolas Kretzschmar, Referent für Grundsatzangelegenheiten der Integration im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ministerialdirigent Peter Greisler, Leiter der Unterabteilung Hochschulen im BMBF, Dr. Susanne Preuschoff, Leiterin der Abteilung Internationale Studierende der Universität zu Köln, Ralf Schäfer, Koordinator des Integration Point Bonn, Nicole Grimm, Koordinatorin der Integrationskurse LINKplus an der Fachhochschule Lübeck, und Dr. Christian Thimme, Leiter des Bereichs Grundsatzfragen Projekte und Internationalisierung der deutschen Hochschulen im DAAD, über zukünftige Anforderungen und Aufgaben gelungener akademischer Integration debattierten. Wie Nikolas Kretzschmar vom BAMF klar machte, sei es nur schwer zu schätzen, wie viele der Flüchtlinge tatsächlich die Voraussetzungen für ein Studium mitbrächten. Laut aktuellen Zahlen hat von den im Jahr 2015 und 2016 nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen aus Syrien etwa jeder dritte einen Gymnasialabschluss, jeder fünfte studierte sogar an einer Hochschule. Peter Greisler vom BMBF ermutigte die Teilnehmer, in ihrem Engagement nicht nachzulassen: „Wir sollten den Spirit und Schwung, der sich in den vergangenen Monaten entwickelt hat, nutzen, um weiterzukommen“, sagte er. Und er gab ihnen einen Tipp, den die Teilnehmer voller Elan umsetzten: „Sprechen Sie miteinander, vernetzen Sie sich, nutzen Sie diesen Ort.“

Sarah Kanning (22. November 2016)