Tagung am ZDS Peking: Deutsch-chinesische Perspektiven auf Flucht und Migration

ZDS Peking

An den Diskussionen am ZDS Peking nahmen unter anderen Germanistik-Professorin Gu Yu und Soziologie-Professor Qin Mingrui von der Peking-Universität teil, ebenso (im Hintergrund) Beate Rogler (Leiterin des Büros der Freien Universität Berlin in Peking) und Benjamin Langer (Leiter des ZDS-Koordinierungsbüros der Freien Universität)

Die große alljährliche Konferenz des Zentrums für Deutschlandstudien der Peking-Universität konzentrierte sich 2016 auf die Themen Flucht, Migration und Integration. Ein weiterer wichtiger Schritt in der Kooperation mit der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin – und Teil der umfangreichen Netzwerkaktivitäten der DAAD-geförderten, weltweiten Zentren für Deutschland- und Europastudien, die in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum feiern können. 

Das Thema Flucht und Migration beschäftigt derzeit viele Menschen rund um den Globus, nicht nur in Deutschland. Dies zeigte sich auch auf einer interdisziplinären Tagung des Zentrums für Deutschlandstudien (ZDS) an der Peking-Universität, zu der Mitte September rund 25 deutsche, chinesische und österreichische Wissenschaftler aus den Rechts-, Gesellschafts-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften kamen. „In China wird sehr aufmerksam verfolgt, wie Deutschland und die EU mit den Flüchtlingen umgehen“, sagt Benjamin Langer, der an der Freien Universität (FU) Berlin das ZDS-Koordinierungsbüro leitet. Und auch in China selbst gewännen die Themen Migration und Integration an Bedeutung und gerieten zusehends in das öffentliche Interesse. Beim im Mai 2016 veröffentlichten „Refugees Welcome Index“ von Amnesty International, der die Aufnahmebereitschaft der jeweiligen Bevölkerung für Flüchtlinge analysiert hat, landeten China und Deutschland auf den Plätzen eins und zwei.

Tagung zu Flucht und Migration am ZDS Peking

ZDS Peking

"Große Aktualität des Tagungsthemas": Zentrumsdirektor Huang Liaoyu

Die chinesischen Wissenschaftler sprachen in ihren Vorträgen auf der öffentlichen Tagung vor allem über Deutschland und Europa. Ob die Integration muslimischer Flüchtlinge, die Krise der Demokratie in Europa aus der Perspektive der Flüchtlingskrise oder die Auswirkungen des Flüchtlingsstroms auf die deutsche Wirtschaft – es war eine große Vielfalt an Themen, zu denen sie ihre Expertise in deutscher Sprache vermittelten. „Die Ansichten, die die Wissenschaftler in Peking vortrugen, waren sehr differenziert“, berichtet Benjamin Langer. So hätten die deutschen Tagungsteilnehmer, die von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität kamen, beispielsweise über Flucht und Migration als Herausforderung für das Strafrecht referiert oder über Effekte der Migration für die deutsche Sprache in Berlin-Kreuzberg.

Tagung zu Flucht und Migration am ZDS Peking

Benjamin Langer

Kraft der Sprache: Martin Walser, seine Ko-Autorin Thekla Chabbi und Huang Liaoyu

„Die aktuelle so genannte Flüchtlingskrise stellt zwar eine Herausforderung dar, deren Auswirkungen momentan noch nicht klar absehbar sind, aber aus langfristiger globalhistorischer Perspektive betrachtet hat sie nichts Singuläres an sich und scheint durchaus zu bewältigen“, bilanziert Langer die Tagung. Auch Professor Huang Liaoyu, der das ZDS seit 2013 als Direktor leitet, zog ein positives Fazit: „Die Tagung zeichnete sich nicht nur durch große Interdisziplinarität der Vorträge und Dialoge sowie lebhafte Diskussionen aus, sondern auch durch die große Aktualität des Tagungsthemas.“ Zudem sei sie auffallend gut besucht gewesen, obwohl zeitgleich noch mehrere Veranstaltungen an der Peking-Universität stattfanden und viele Menschen im Anschluss an das chinesische Mondfest noch unterwegs waren. Der ZDS-Direktor, der derzeit den Roman „Ein sterbender Mann“ von Martin Walser ins Chinesische übersetzt, sorgte auch für den kulturellen Höhepunkt zum Ausklang der Tagung: Er diskutierte mit Walser und seiner Ko-Autorin Thekla Chabbi den Roman und die deutsch-chinesischen Literaturbeziehungen. 

Konferenz mit Nachhall

Das ZDS betreibt als Lehr- und Forschungseinrichtung interdisziplinäre Deutschlandstudien und organisiert einmal pro Jahr eine wissenschaftliche Konferenz. Neu war in diesem Jahr, dass daran auch Doktoranden und gerade erst promovierte Wissenschaftler teilnehmen konnten. „Das war eindeutig ein Gewinn“, urteilt Benjamin Langer. Die Nachwuchswissenschaftler nutzten die Gelegenheit, um mit ihren Vorträgen auf sich aufmerksam zu machen und mit anderen Deutschlandexperten in Kontakt zu kommen. Viele der Tagungsvorträge sollen auch noch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden und mit deutschen Zusammenfassungen in den „Deutschland-Studien der Peking-Universität“, einer chinesischsprachigen Schriftenreihe, veröffentlicht werden.

„Entscheidender Mehrwert“

Für den DAAD, der das Pekinger ZDS als eines von weltweit 20 Zentren für Deutschland- und Europastudien aus Mitteln des Auswärtigen Amts fördert, passt das Thema der Konferenz zu aktuellen Schwerpunkten seiner Arbeit. So hat der DAAD 2016 auch ein eigenes Referat für die Hochschulprogramme für Flüchtlinge aufgebaut und zahlreiche Zentren für Deutschland- und Europastudien beschäftigen sich auf Tagungen und in Forschungsprojekten mit den Themen Migration und Flucht. Anfang des Jahres diskutierten Wissenschaftler zum Beispiel am Zentrum im israelischen Haifa über die Herausforderung für Europa; in Nordamerika widmen sich beispielsweise die Zentren in Toronto und Berkeley schon seit Jahren Fragestellungen zu Migration und Flucht. Und am Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Seoul findet Mitte November eine Konferenz statt, bei der Migration, Flucht und die Identität Europas im Mittelpunkt stehen. „Der entscheidende Mehrwert dieser Zentren ist, dass internationale Wissenschaftler Themen multilateral und interdisziplinär erörtern können“, sagt Christian Strowa, DAAD-Teamleiter für die Zentren. Dies ermögliche auch ein sehr facettenreiches Bild zur Flüchtlingssituation, von dem auch Deutschland viel lernen könne.

Tagung zu Flucht und Migration am ZDS Peking

ZDS Peking

Fragen aus dem Publikum: Die DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien fördern vielfältigen Austausch

Eine weitere hervorragende Gelegenheit, diese wissenschaftliche Expertise zusammenzuführen, bietet sich auf der Zentrenkonferenz 2016, die zugleich das 25-jährige Jubiläum der erstmaligen Förderung der Zentren durch den DAAD feiert. ZDS-Leiter, Dozenten und Nachwuchswissenschaftler werden im Dezember ans BMW Center for German and European Studies an die Georgetown-Universität nach Washington kommen. Auch dort wird es Panels, Vorträge und Diskussionen unter anderem zur Flüchtlingspolitik geben. Mit Teilnehmern aus mehr als zwölf Ländern bietet die Konferenz eine gute Gelegenheit, den multilateralen Ansatz des Zentrennetzwerks anhand aktueller Themen zu veranschaulichen.

Benjamin Haerdle (10. Oktober 2016)