Paris – Stadt der Zukunft

DAAD

Gemüseanbau auf den Dächern von Paris: Auch das gehört zu den Ideen für eine nachhaltige Stadtentwicklung

Die Informationsreise „The greener, the merrier? – Innovative approaches towards city development in France and Germany“ vom 15. bis zum 20. November 2015 war seit Langem von der DAAD-Außenstelle Paris geplant und organisiert. Bewusst entschied sich das Team um Außenstellenleiterin Christiane Schmeken, die Reise trotz der schrecklichen Anschläge vom 13. November stattfinden zu lassen. So zeigte der Austausch deutscher Hochschullehrer mit französischen Experten auch, dass die Wissenschaft dem Terrorismus nicht das letzte Wort überlässt.

Der Eiffelturm als Klettergerüst für Rankpflanzen? Das kommt wohl in kühnsten Ökoträumen nicht vor. Doch der Trend zur grünen Stadt hat auch die französische Hauptstadt erfasst. Ein Verein namens „Veni Verdi“ zum Beispiel will den Parisern das Gärtnern lehren. Doch wo Karotten oder Tomaten züchten in einer Stadt, die weltweit zu den am dichtesten besiedelten zählt? Auf Freiflächen von Wohnblocks etwa, auf Dächern oder Grünanlagen an Schulen. Wie etwa beim Collège Pierre Mendès. Dort stand den Schülern in den Pausen bisher eine ziemlich luxuriöse Freifläche von rund 4.500 Quadratmetern zur Verfügung. Jetzt wird auf einem Teil davon Gemüse angebaut – und wenn im Biologieunterricht von Anbau und Kultivierung von Pflanzen die Rede ist, geht die Klasse einfach nach draußen und wechselt von der Schulbank zum Hochbeet.

Simon Ronceray stellte sein Projekt im Rahmen der von der Pariser Außenstelle des DAAD organisierten Informationsreise „The greener, the merrier? – Innovative approaches towards city development in France and Germany“ vor, die vom 15. bis 20. November nach Paris führte. Die 20 Teilnehmer waren deutsche Hochschullehrer aus einem breiten Spektrum von Disziplinen: Neben den „Kernfächern“ Stadt- und Landschaftsplanung sowie Architektur waren Agrarwissenschaft, Gartenbau, Umweltwissenschaft, Stadtsoziologie und sogar Immobilienwirtschaft vertreten. Alle waren neugierig, die Sichtweise ihrer Kollegen jenseits des Rheins kennenzulernen.

Intelligente Lösungen

Eine Stippvisite nach Marne-la-Vallée im Osten von Paris führte in die 1983 gegründete Cité Descartes, ein groß dimensioniertes Campusgelände, das sich stolz mit dem in Berkeley vergleicht. Hier galt der erste Besuch „advancity – The Smart Metropolis Hub“, einem Kompetenzzentrum, das intelligente Lösungen für die Stadt von morgen auf den Weg bringt. Unter dem Dach von Advancity entstehen Produkte wie eine handliche Sonde, die die Qualität von Trinkwasser ermittelt, hochdämmende Fassadenelemente, Konzepte zur Dachbegrünung, zur Optimierung des Busfahrplans oder zur besseren Vernetzung von Nachbarschaftsinitiativen. Im Fokus stehen Start-ups, denen mit Anschubfinanzierungen geholfen wird. Keinen Zweifel ließ Florence Castel, Generalsekretärin von Advancity, daran, dass die Wirtschaftlichkeit an oberster Stelle steht: „Wenn sich ein Produkt für ein Unternehmen nicht rechnet, wird es nicht investieren.“ Rund 150 Projekte mit einem Investitionsvolumen von 436 Millionen Euro hat Advancity in den zehn Jahren seit seiner Gründung verwirklicht.

Von der Stadt zur Megalopolis: diese weltweit zu beobachtende Entwicklung lässt sich in Frankreich  am Projekt „Grand Paris“ studieren. Christian Lefèvre, Kodirektor der „École d’Urbanisme de Paris“, die ebenfalls in der Cité Descartes ihren Sitz hat, stellte das Megavorhaben vor. Ausgangspunkt war die Idee einer automatischen Metro, die Paris weiträumig umrunden soll. Rund 70 neue Bahnhöfe sollen bis 2030 gebaut werden. Im Windschatten dieses Vorhabens erhalten Wohnungsbau, Universitäten, Industrieflächen und Kultureinrichtungen einen gewaltigen Modernisierungsschub. Insgesamt handelt es sich um ein gigantisches Innovationsprojekt, dessen Gesamtkosten derzeit auf rund 22 Milliarden Euro geschätzt werden. Im  Anschluss erhielten die Teilnehmer Einblick in die Arbeit des „Labex“ (vergleichbar mit einem Exzellenzcluster) „Futurs urbains/urban futures“. 13 Labore, darunter etwa LATTS (Laboratoire Techniques, Territoires et Sociétés) oder LVMT (Laboratoire Ville Mobilité Transport) forschen zu Aspekten der Stadt der Zukunft.

Tags darauf führte das Programm zum Öko-Viertel „Trapèze“ in der Gemeinde Boulogne-Billancourt im Südwesten von Paris. Knapp 40 Hektar groß, entsteht hier auf dem ehemaligen Renault-Werksgelände ein gemischtes Wohn- und Büroviertel, das sich der Idee der Nachhaltigkeit verpflichtet hat. Das wird vor allem in den breit angelegten Grünschneisen, einem am Prinzip der Biodiversität ausgerichteten Park und einem ausgeklügelten Regenwasserversickerungssystem deutlich. Einblick erhielt man auch in das ambitionierte Projekt einer Kunst- und Musikstadt auf der Île Seguin, die direkt gegenüber in einer Seineschleife liegt. Hier entsteht, nach Plänen der Architekten Jean Nouvel und Shigeru Ban, eine Cité musicale mit zwei Konzerthallen und eine Kunst-City mit Galerien, Ateliers und Ausstellungsräumen.

Diskussionsfreudige Tagung

Eine hochkarätige Tagung, die vom deutschen Botschafter Nikolaus Meyer-Landrut eröffnet wurde, rundete die Informationsreise ab. Auf diversen Podien kamen deutsche und französische Fachwissenschaftler miteinander sowie mit dem diskussionsfreudigen Publikum ins Gespräch. Kerstin Gothe vom KIT Karlsruhe informierte über Möglichkeiten, dichtes Bauen mit Begrünung zu vereinbaren, Philippe Clergeau vom Naturhistorischen Museum Paris über die Bedeutung von Grünschneisen oder Christian Ulrichs von der Humboldt-Universität über „vertical farming“. Die Bedeutung solcher Produktionsstätten für Gemüse, so Ulrichs, werde gerade in den Megastädten mit erheblicher Platznot zunehmen. Einen starken Eindruck hinterließ der Architekt Jean-Philippe Vassal, der mit einfachen Mitteln Sozialwohnungen in lichtdurchflutete Räume verwandelt. Er bekannte sich damit ausdrücklich zum Prinzip des „Low Tech“, das die Probleme künftigen Wohnens gerade nicht mit immer mehr technologischem Aufwand lösen will. Für mehr Partizipation in der Stadtplanung und die Einbeziehung von „Querdenkern“ warb Jörg Knieling von der HafenCity-Universität Hamburg, und Leonhard Schenk von der Hochschule Konstanz stellte das Prinzip von Baugruppen vor, mit dem Bürger sich ihr Stadtviertel gewissermaßen selbst bauen. Diese und weitere Informationen sorgten für  reichlich fachlichen Austausch. „Ich habe unheimlich viel gelernt“, bekannte Christian Ulrichs, „und schon meine Vorlesungen umgeschrieben.“ 

Mathias Nofze (26. November 2015)