Kooperation in Krisenzeiten

DAAD

Gruppenbild der Tagungsteilnehmer in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Auf Einladung des DAAD trafen sich in Berlin zentrale Akteure des internationalen akademischen Austauschs, um Antworten auf weltweite Krisen und Konflikte zu diskutieren. Die Herausforderungen reichen vom Einsatz für syrische Flüchtlinge bis zum Engagement für die europäische Idee.

„Die Themen, die wir hier besprechen, fordern uns heraus, kreativer zu denken, partnerschaftlicher zu denken.“ Die von Professor Rebecca Hughes, Direktorin für Internationale Hochschulbildung beim British Council, angesprochenen Themen waren die Krisen und Konflikte der Gegenwart – und ihr Einfluss auf Hochschulbildung, akademischen Austausch und Forschungszusammenarbeit. „International Higher Education Cooperation: Bridges in a Time of Crises“ lautete der Titel des vom DAAD in Berlin organisierten, hochkarätig besetzten Treffens. Der direkte Austausch von internationalen Spitzenvertretern der akademischen Zusammenarbeit hat Tradition, zuletzt traf man sich in großer Runde 2013 in London. „Wir müssen in einem Netzwerk zusammenarbeiten – und das ist genau das, was wir hier tun“, sagte in Berlin DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland. Wie vielschichtig, robust und offen für neue Wege dieses Netzwerk ist, wurde während des Treffens deutlich.

Nachhaltige Lösungswege

Schon der Eröffnungsvortrag von Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung, zeigte, dass der internationale akademische Austausch aus den Krisen und Herausforderungen der Gegenwart neue Lösungswege entwickeln kann. Krull erinnerte an die nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufene „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, aus der die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft entstehen sollten. Allen Teilnehmern des Treffens, die am Tag zuvor in der Berliner Akademie der Künste am Festabend „90 Jahre DAAD“ teilgenommen hatten, war zudem sehr präsent, dass auch der Deutsche Akademische Austauschdienst in Zeiten historischer Brüche immer wieder neue Antworten finden musste – vom demokratischen Aufbruch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum ganz aktuellen Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge.

Wilhelm Krull verdeutlichte, dass die Bereitschaft, Risiken einzugehen mit kreativen Lösungsansätzen und nachhaltigen Strategien einhergehen muss. Gerade im Bereich des „capacity building“ sei das möglichst gleichwertige und gleichberechtigte Engagement der Partner von grundlegender Bedeutung. Ein Anspruch, den der DAAD und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ihrem Kodex für deutsche Hochschulprojekte im Ausland konkret festgeschrieben haben. „Nehmen Sie die Perspektive eines Studierenden oder eines jungen Forschers ein“, lautete zudem ein Appell Krulls, der daran gemahnte, bei allen Fragen von Strukturen, Finanzierungen und Strategien nicht die individuellen Sichtweisen und Potenziale zu vernachlässigen.

Ringen um Europa

Die Notwendigkeit von Perspektivenwechseln zeigt auch das Ringen um das Projekt Europa. Wie sich belastbare Beziehungen zwischen den Hochschul- und Bildungsakteuren des Kontinents auch in Krisenzeiten aufrecht halten lassen, war eine zentrale Frage des Berliner Treffens. Professor Effie Basdra, Präsidentin der staatlichen griechischen Stipendienorganisation IKY, warb eindringlich um Sensibilität für die schwere Krise in ihrem Heimatland – und darum, die einseitig negative Perspektive aufzubrechen. Zustimmung fand ihr Hinweis auf die griechische Wortwurzel „krísis“, den „Wendepunkt“, an dem auch „die richtigen Entscheidungen“ getroffen werden könnten. „Ich glaube fest an unsere gemeinsame Zukunft in Europa“, sagte Basdra. Zu der Basis für diese Zukunft trägt IKY wesentlich bei und hat etwa seit dem Beginn des Erasmus-Programms rund 57.000 Griechen einen Studienaufenthalt im europäischen Ausland ermöglicht.

„Wir müssen die europäische Kooperation fördern“, sagte auch Freddy Weima, Generaldirektor der niederländischen Internationalisierungsagentur Nuffic. Weima verschwieg nicht die Hürden des europäischen Projekts, etwa die aktuell noch ausufernde Bürokratie bei Erasmus+. Aber die Bereitschaft zu Verbesserung und Reform ist für die sich dynamisch entwickelnde Bildungslandschaft ohnehin essenziell. Eines der aktuellsten Beispiele ist Nuffic selbst. Erst 2015 ist Nuffic, die 1952 gegründete Internationalisierungsagentur der niederländischen Hochschulen, mit der Bildungsinstitution European Platform verschmolzen und nun für die Internationalisierung von der Grundschule bis zur Universität zuständig.

Neue DAAD-Organisationsstruktur

Der DAAD hat sich 2015 ebenfalls eine neue Organisationsstruktur gegeben, um neben der Vergabe von Stipendien auch die Förderung von Hochschulpartnerschafts- und Strukturprogrammen noch professioneller und effizienter betreiben zu können. Für die strategische Weiterentwicklung des DAAD sowie für die Vermittlung von Expertenwissen der internationalen Hochschulzusammenarbeit wurde die neue Abteilung Strategie gegründet, deren Direktor Christian Müller das Berliner Treffen der Partnerinstitutionen federführend organisiert hatte. Neue Ansätze der internationalen Zusammenarbeit stellte dort auch Professor Carlo Naldi, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats von Uni-Italia, vor. Er berichtete von länderübergreifenden, stark berufsorientierten Studiengängen im mediterranen Raum, die auf Englisch, Französisch und Arabisch angeboten werden. Und von den Schwierigkeiten, den zahlreichen Flüchtlingen aus dem Mittelmeer eine Ausbildung ermöglichen zu können. DAAD-Generalsekretärin Rüland betonte, dass der fehlende rechtliche Rahmen auch den DAAD vor große Herausforderungen stellt. Zwar konnte gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt erst vor Kurzem ein Stipendienprogramm für über 200 syrische Flüchtlinge aufgelegt werden. Es bleibt aber viel zu tun: „Wir müssen einen europäischen Weg finden“, machte Dorothea Rüland deutlich.

International Higher Education Summit 2015 in Berlin

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​"Was können wir tun, bevor es zu spät ist?": In Berlin diskutierten unter anderen Allan E. Goodman, Carlo Naldi, Antoine Grassin, Dorothea Rüland und Rebecca Hughes

„Wir müssen handeln!“

Die akademische Zusammenarbeit wurde in Berlin freilich global diskutiert. Professor Allan E. Goodman, Präsident des traditionsreichen amerikanischen Institute of International Education (IIE), stellte gemeinsam mit IIE-Vizepräsidentin Daniela Kaisth das neue Projekt „From Camps to Campus“ vor, das Flüchtlinge im jordanischen Camp Zaatari mit Stipendien für nahe gelegene Universitäten ausstattet. Bereits seit 2002 unterstützt der Scholar Rescue Fund des IIE (IIE-SRF) verfolgte Wissenschaftler und ermöglicht ihnen die Arbeit an einer neuen Universität. 327 Partnerinstitutionen in 40 Ländern zählt der IIE-SRF weltweit; in Deutschland beteiligen sich elf Universitäten und das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Institutionen der Hochschulbildung können in Krisenzeiten den Unterschied ausmachen“, betonte Goodman, „selbst, wenn die Krise lange anhält.“ Goodman hob hervor: „Wissen zu haben genügt nicht – wir müssen es anwenden, wir müssen handeln!“

Das tun der DAAD und das British Council aktuell in der Ukraine, um den akademischen Austausch auch in Kriegszeiten nicht untergehen zu lassen. Mit dem „Active Citizens“-Programm des British Council werden beispielsweise junge Führungspersönlichkeiten gefördert. Ergänzend zu den zahlreichen Beispielen der Krisenbewältigung stellte Antoine Grassin, Generaldirektor von Campus France, in Berlin eine zentrale Frage: „Was können wir tun, bevor es zu spät ist?“ Auch Krisenprävention wird mehr und mehr in den Fokus der Internationalisierungs- und Austauschorganisationen rücken; die Aufgaben für die Zukunft werden nicht leichter. Aber das Treffen der Partner in Berlin zeigte, dass es an Einsatz und Ideen für Lösungen nicht mangelt.

Johannes Göbel (29. Juni 2015)