Deutschland bleibt in der Familie

DAAD/Natascha Senftleben

Familienbande: Đặng Xuân Họa studierte in der DDR Maschinenbau und leitete dort später eine Gruppe vietnamesischer Vertragsarbeiter; 1989 besuchte ihn seine Frau Nguyễn Thị Bích Hồng in Brandenburg. Ihre Tochter Đặng Thị Thu Hiền promovierte mit einem DAAD-Stipendium in Gießen; Schwiegersohn Nguyễn Hồng Quảng promoviert aktuell als Stipendiat des Katholischen Akademischen Ausländer-Diensts in Geografie an der Universität Göttingen. Und Nguyễn Đức Vinh lebte auch schon in Deutschland – von 2010 bis 2013 in Gießen

Deutschland und Vietnam feiern 40 Jahre diplomatische Beziehungen. Die engen Verbindungen zwischen den beiden Ländern reichen aber weiter zurück und werden insbesondere in vietnamesischen Familien gelebt. Wer als Stipendiat schon in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war, gibt seine Erfahrungen und oft sogar die Liebe zu Deutschland an seine Kinder weiter. Das zeigen eine Publikation und eine Ausstellung, die am 5. Juni 2015 im Vietnamesisch-Deutschen Zentrum der TU Hanoi vom DAAD eröffnet wurde – umrahmt von der Unterzeichnung eines neuen Wissenschaftleraustauschprogramms zwischen dem DAAD und der TU Hanoi und der Übergabe von DAAD-Stipendien an 50 vietnamesische Studierende und Akademiker.

„Ich bin von einer tiefen Liebe zu Deutschland, seiner Sprache und Literatur erfüllt. Liebe und Träume weiten den Horizont“, so beginnt ein Interview mit dem vietnamesischen Schriftsteller und Übersetzer Trần Đương – einem „Moritzburger“, das heißt, einem von hunderten Kindern vietnamesischer Revolutionskämpfer, die ihr Präsident Hồ Chí Minh ab 1955 zur Schulausbildung in die sächsische Gemeinde Moritzburg bei Dresden in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) schickte.

DAAD in Vietnam: Alumni-Familien
DAAD/Natascha Senftleben

Emotionale Nähe: Trần Đương fühlt sich Deutschland sehr verbunden

„Für mich war Deutschland der Horizont“, sagt Trần Đương, den sie in seiner Heimat als „Vietnamese in Deutschland und Deutscher in Vietnam“ bezeichnen. Er erzählt die Geschichte seiner lebenslangen Verbundenheit zu Deutschland in der DAAD-Publikation „Studieren in Deutschland – eine Familientradition“, die anlässlich der Feier von 40 Jahren deutsch-vietnamesischen diplomatischen Beziehungen erschienen ist. Die Interviews mit vietnamesischen Alumni und ihren Kindern zeigen, was Zahlen über Stipendienvergaben nicht zeigen können, sagt Anke Stahl, Direktorin der DAAD-Außenstelle Hanoi in Vietnam. „Sie sind Zeugnis einer seit mehr als 60 Jahren über Generationen in Familiengeschichten verankerten deutsch-vietnamesischen Verbindung, die heute eine wichtige Quelle für das Interesse junger Vietnamesen an einem Studium in Deutschland ist.“

Ein Dokument besonderer Verbundenheit

Rund 150 Kinder zwischen neun und 14 Jahren fuhren 1955 drei Wochen lang mit dem Zug von Hanoi nach Ost-Berlin, unter ihnen Trần Đương, der später auch als Korrespondent in der DDR lebte. Viele „Moritzburger“, die nach der Schule oft auch in der DDR studierten, sind heute wichtige Persönlichkeiten im öffentlichen Leben Vietnams. Ihre Erfahrungen, das zeigt das einmalige Dokument, haben sie weitergegeben – besonders an ihre Kinder. Trần Đươngs Kinder und Enkelkinder leben und arbeiten heute in Cottbus.

Auch Dr. Đặng Thị Thu Hiền hat die Liebe zu Deutschland von ihrem Vater Đặng Xuân Họa „geerbt“, der zwischen 1965 bis 1972 in Magdeburg (damals DDR) Maschinenbau studiert hatte und zwischen 1987 und 1994 eine Gruppe vietnamesischer Vertragsarbeiter in Brandenburg leitete. Dort besuchte ihn die Tochter als 14-Jährige, und ein Studium in Deutschland wurde zum ehrgeizigen Ziel ihrer Kindheitsträume.

DAAD in Vietnam: Alumni-Familien
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Đặng Thị Thu Hiền und Đặng Xuân Họa: die Tochter auf den Spuren des Vaters

Die Deutschland-Erfahrungen prägen Generationen

Đặng Thị Thu Hiền entschied sich für das Fach Germanistik. Heute ist das Deutschstudium an drei vietnamesischen Hochschulen möglich und die Nachfrage nach Studienplätzen in Deutschland wächst stetig. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden allerdings die Stipendienzahlen reduziert und der Weg der Tochter war steiniger als der des Vaters. Đặng Thị Thu Hiền schaffte es dennoch an die Universität Gießen und schloss 2013 mit einem DAAD-Stipendium dort auch ihre Promotion ab. Heute lehrt sie an der Universität Hanoi (HanU) und ist stellvertretende Leiterin der Deutschabteilung. „Ich konnte meine Fachkenntnisse anwenden und meine Erfahrungen teilen. Meine Studenten lernen in meinem Unterricht auch, selbst Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen“ – wichtige Werte aus dem deutschen Erfahrungshorizont, die ihr schon früh der Vater vermittelt hat.

Viele solche beeindruckenden Geschichten enthält das Buch mit den Interviews. Sie erzählen von der Weitergabe wertvoller und prägender Erfahrungen in Deutschland, von Toleranz und Offenheit, aber auch von Disziplin und Sparsamkeit. „Wir wollten mit dem Buch zum Jubiläum etwas machen, das eine dauerhafte Wirkung hat“, sagt Anke Stahl. Deshalb sind die Porträts der Alumni auch in eine Poster-Ausstellung eingegangen, die von nun an im Vietnamesisch-Deutschen Zentrum der TU Hanoi zu sehen ist. Die großformatigen Bildergeschichten werden später weiter die Außenwände der Deutschen Botschaft Hanoi schmücken und wohl auch nächste Generationen mit dem „Deutschland-Virus“ anstecken, wie Đặng Thị Thu Hiền lachend ihre lebenslange Verbundenheit nennt.

„Enormes Alumni-Potenzial“

Den Wert der Geschichten und Erfahrungen der Alumni für nächste Generationen betonte auch die DAAD-Präsidentin Professor Margret Wintermantel anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten in Hanoi. „Dieses enorme Alumni-Potenzial, was wir hier in Vietnam haben, gilt es, für die Zukunft nutzbar und fruchtbar zu machen – um neue vielversprechende Nachwuchswissenschaftler und künftige Führungskräfte für den Studien- und Forschungsstandort Deutschland zu motivieren und zu begeistern.“ Auch der 71-Jährige Trần Đương arbeitet daran, die Enkel der „Moritzburger“ zu faszinieren – er plant seine Biografie zu schreiben, mit dem Titel „Deutschland: Jahre meines Lebens“.

Bettina Mittelstraß (5. Juni 2015)