Europastudien: Großes Potenzial in Mittel- und Südamerika

DAAD

Arbeit an gemeinsamen Studienangeboten: Teilnehmer des Auftaktseminars des neuen Europastudien-Netzwerks

Kann die Europäische Union trotz Krise weiterhin als Orientierung für andere Weltregionen dienen? Dr. Werner Mackenbach, der seit 2012 als DAAD-Gastprofessor den Wilhelm und Alexander von Humboldt-Lehrstuhl in Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universidad de Costa Rica innehat, ist davon überzeugt – und hat gemeinsam mit zwei weiteren DAAD-Langzeitdozenten ein Netzwerk für Europastudien in Lateinamerika initiiert.

Herr Dr. Mackenbach, im Februar 2015 fand an der Universidad de Costa Rica eine konstituierende Sitzung des neuen Netzwerks für Europastudien in Lateinamerika statt. Welche Aspekte bildeten den Fokus des einwöchigen Seminars?

Werner Mackenbach: Unser Anliegen ist es, mithilfe des Netzwerks einen internationalen, interdisziplinären Ansatz zu schaffen, der die Kultur- und Literaturwissenschaften in die Europastudien integriert. Deshalb brachte die Veranstaltung 26 Dozentinnen und Dozenten unterschiedlicher Fachrichtung aus Argentinien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Guatemala, Kolumbien, Mexiko, Peru und Europa zusammen. Geisteswissenschaftler waren ebenso vertreten wie Juristen, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaftler. Unter anderem diskutierten wir über die aktuelle Situation in der Europäischen Union und ihre Rückwirkungen auf die Lehre über Europa in Lateinamerika. Insbesondere die lateinamerikanischen Kollegen betonten dabei die Ausstrahlungskraft der EU. Nicht zuletzt deshalb kamen wir zu dem Schluss: Der friedliche innereuropäische Einigungsprozess sowie die Anerkennung und Förderung der vielfältigen europäischen Sprachen und Kulturen bergen großes Potenzial.

Wie groß ist das Interesse an Europastudien in Lateinamerika?

Nach Jahren einer dynamischen Expansion beobachten wir leider an vielen Universitäten Lateinamerikas eher eine rückläufige Entwicklung, zu der auch die wirtschaftliche und politische Krise der EU beigetragen hat. Gemeinsam mit meinen beiden, ebenso vom DAAD geförderten Kollegen Dr. Florian Koch vom Instituto de Estudios Europeos der kolumbianischen Universidad del Norte in Barranquilla und Professor Günther Maihold, Inhaber des Wilhelm und Alexander von Humboldt-Lehrstuhls am Colegio de México, habe ich mich bereits in den vergangenen Jahren intensiv um die Aufrechterhaltung europawissenschaftlicher Kompetenz in Lehre und Forschung bemüht. Dabei sind wir allerdings immer wieder an personelle und finanzielle Grenzen gestoßen. Mit unserem Netzwerk für Europastudien in Lateinamerika wollen wir nun diesem Trend gezielt entgegensteuern.

Mit welchen Mitteln wollen Sie die Stärkung der europawissenschaftlichen Kompetenz an lateinamerikanischen Hochschulen erreichen?

Zunächst werden wir innerhalb des Netzwerks an gemeinsamen Studienangeboten arbeiten. Im Moment sind wir dabei, eine offene Internetplattform zu erstellen, auf der Dozenten Lehrveranstaltungen, Methoden und Materialien einstellen können. Zudem wird an der Universidad de Costa Rica in Kooperation mit mexikanischen und kolumbianischen Universitäten die Institutionalisierung eines eigenen Studienprogramms „Europastudien“ vorbereitet. Langfristig ist auch die Förderung der Mobilität von Professoren unterschiedlicher Universitäten geplant: Gemeinsame Workshops und Seminare werden sowohl auf bilateraler als auch multilateraler Ebene stattfinden. Dabei möchten wir auch deutsche Hochschulen involvieren. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder war bereits bei unserer ersten Netzwerk-Tagung vertreten.

Welchen Herausforderungen stehen Sie bei Ihrer Arbeit gegenüber?

Unsere bisherigen Aktivitäten werden von der Europäischen Union im Rahmen von Erasmus+ und der Jean Monnet Projects sowie von der Universidad de Costa Rica kofinanziert. Insgesamt verfügen wir aber nur über ein begrenztes Budget, sodass leider nicht alle interessierten Wissenschaftler an unserer konstituierenden Sitzung teilnehmen konnten. Wir hoffen jedoch, sie über unsere Lernplattform und kommende Projekte einbinden zu können. Zudem haben viele lateinamerikanische Universitäten nicht die Kapazitäten, um Europastudien als selbständiges Fach anzubieten. Damit besteht die Gefahr, dass europawissenschaftliche Fragestellungen als nur einer von vielen Bestandteilen der Politik- und Rechtswissenschaften marginalisiert werden. Die interdisziplinäre Initiative unseres Netzwerks bietet nun die Chance, europawissenschaftliche Module zu erarbeiten, die an unterschiedlichen Universitäten unterrichtet werden können.

Interview: Christina Pfänder (8. April 2015)